Schön dich wieder... kennenzulernen.

148 15 2
                                    

Sie realisierte zunächst nicht, dass es wirklich sie war, die ihr hier gegenüberstand und ihr mit einem freundlichen Lächeln die Hand zur Begrüßung hinhielt. Erst als eben jenes Lächeln auf dem Gesicht der Jüngeren für einen kurzen Moment gefror und ihre Augen aufblitzten wurde es ihr klar. Das hier war dieselbe Person mit der sie damals beinahe für ein ganzes Semester Mensatisch, British Ale und irgendwann auch das Bett geteilt hatte. Sie hatten beide einen Moment gebraucht, um sich wiederzuerkennen und für eben jenen Moment waren sie beide wieder Anfang 20.

Zu schnell war der Augenblick vorbei und sie mussten zurück in die Realität kehren. In die Realität in der sie sich nun nicht mehr als Studentinnen gegenüberstanden, sondern als Kolleginnen in hohen Ämtern, die sich professionell verhalten mussten, um ihre Länder angemessen zu repräsentieren. „Miss Joly, schön dich wied... Sie kennenzulernen."

Annalena verhaspelte sich und beinahe hätte Mélanie schelmisch gegrinst, denn diese Situation kam ihr sehr bekannt vor. Es war beinahe wie in London, nach dieser ersten Nacht die von zu viel Bier, schrägen zweisprachigen Gesängen und engem Körperkontakt geprägt gewesen war. Wieder schweiften die Gedanken der Kanadierin ab und sie sah die 24-jährige Annalena vor sich, wie sie versuchte sich nichts anmerken zu lassen zwischen ihren Europäischen Kommilitoninnen, als sie sich am nächsten Morgen das vermeintlich erste Mal bei der Einführungsveranstaltung begegneten. Die leichte Rötung auf ihren Wangen hatte sie auch jetzt wieder.

Unsanft wurde Mélanie schließlich zurück in die Gegenwart befördert als einer ihrer Assistenten sie möglichst unauffällig von hinten in die Seite stieß. Sie blinzelte kurz, sah, dass Annalenas Hand noch immer in der Luft vor ihr schwebte und ergriff diese vielleicht ein wenig zu hastig und beherzt. Auch wenn die Deutsche sich in ihrem Gesicht nichts anmerken ließ, spürte Mélanie, dass ihr Handgelenk leicht unter der Berührung zuckte. „Vielen Dank Miss Baerbock, die Freude ist ganz meinerseits, schön eine weitere Frau in dieser Männerdomäne kennenlernen zu dürfen." Sie wollte ihrer Kollegin zuzwinkern, doch erneut stieß sie ihr Assistent in die Seite. Verärgert drehte sie den Kopf, um ihm einen wütenden Blick zu schenken der ihm suggerieren sollte, diese Misshandlung ihrer Nierengegend sein zu lassen, da hörte sie ihn bereits flüstern: „Mrs. Baerbock, sie ist verheiratet!"

Diese Aussage versetzte Melanie einen Stich in einer ganz anderen Gegend ihres Körpers, so fest, dass sie die Stöße des Assistenten sofort vergaß. Ihr Gesicht entglitt ihr für einen weiteren kurzen Moment und sie sah wieder in die strahlend blauen Augen ihrer Gegenüber, welcher ihr Ausdruck natürlich auffiel. Doch sie kommentierte ihn nicht weiter, überlächelte die unangenehme Stille und wollte sich offenbar gerade zum Gehen wenden, als Mélanie ihre Sprache wiederfand. „Verzeihung, Mrs. Baerbock natürlich, ich wollte Sie nicht beleidigen." Jetzt war es an Annalena blass zu werden. Das Strahlen wich aus ihren Augen und sie sah die Kanadierin beinahe traurig an. „Schon gut, ich bin ja nicht...", doch sie kam nicht dazu den Satz zu beenden. Ihre beiden Teams drängten nun darauf, dass die beiden sich an ihren Plätzen einfanden.

Mélanie hätte sich gerne besser gefühlt, wäre lieber für einen Moment an die frische Luft gegangen, anstatt sich an einen der kleinen weißen Tische zu setzen, doch der Job als Außenministerin ließ grundsätzlich kaum Zeit um einmal durchzuatmen, geschweige denn wenn man sich auf dem G7 Gipfel befand und Elizabeth Truss nun bei ihrer Willkommensrede lauschen sollte. Ein wenig entspannte sie sich, als sie feststellte, dass neben ihr nicht die Auslöserin ihres plötzlichen Gefühlschaos sitzen würde und diese sich in eine deutlich andere Richtung als sie selbst bewegte. Doch das Gefühl hielt nicht lange an, als ihr klar wurde, dass sie nun quasi direkt auf Annalena blicken würde, wenn sie die Gastgeberin ansah. „Merde..." flüsterte sie leise vor sich hin, was ihren Nebensitzer dazu veranlasste sie skeptisch anzusehen. Natürlich, wenn man irgendetwas von einer Sprache verstand, waren es immer zuerst die Schimpfwörter. Mélanie hielt sich bewusst davon ab die Augen zu verdrehen und versuchte inständig sich auf die Gesprächsthemen zu konzentrieren, doch ihr Blick schweifte immer wieder zu der Person hin, die hinter dem kleinen blauen Schild mit der Aufschrift ‚Germany' saß. Selbst dann, wenn sie nicht gerade sprach.

Zur Pause hatte Mélanie selbst maximal drei Mal etwas zu den Gesprächen beigetragen und was die Sinnhaftigkeit dieser wenigen Aussagen betraf, war sie sich auch eher unsicher. Aus dem Augenwinkel nahm sie wahr, wie ihr Assistent bereits auf sie zueilte, doch sie hob abwehrend die Hand. Noch mehr französisches Geflüster und schmerzhafte Seitenhiebe konnte sie gerade nicht ertragen. Zumal sie gerne einen privaten Moment mit Annalena gehabt hätte, wenigstens um festzustellen, wie es ihr in all den Jahren ergangen war, in denen sie sich nicht gesehen hatten. Hoffnungsvoll sah sie zu ihrem Platz hinüber und stellte fest, dass ihre deutsche Kollegin sich noch angeregt mit Truss unterhielt. Nicht ganz so privat wie Mélanie sich das vorgestellt hatte, aber zumindest ein Anfang und zugleich ein Vorwand, um ihrem Assistenten zu entkommen. „... dass es Deutschland nun auch endlich zu einer Frau geschafft hat! Ah, Miss Joly, noch eine weitere Dame in unserer Runde. Schön, dass Sie da sind!" Die Britin band Mélanie sofort in das Gespräch mit ein und obwohl sich die Kanadierin nicht ganz sicher war, was sie von der Art dieser Frau halten sollte, war sie froh darum an dem Gespräch teilhaben zu können. Umso mehr freute sie sich jedoch, als Elizabeth sich schließlich entschuldigte, um am anderen Ende des Raumes weitere Hände zu schütteln und auch die männlichen Außenminister in Liverpool willkommen zu heißen.

Eine unangenehme Stille trat ein, während Mélanie und Annalena nun allein voreinander standen. Es war als hätte Liz nichts zurückgelassen als all die unausgesprochenen Erinnerungen, welche die beiden Frauen mit sich herumtrugen und die bis zum heutigen Tag tief geschlummert hatten. Mélanies Blick fiel auf Annalenas Hände, mit denen sie nervös an dem goldenen Ring herumdrehte. „Verheiratet also...?" Sie hob den Blick, um Annalena direkt anzusehen. Da war es wieder, diese leichte Röte auf Annalenas Wangen, die Mélanie schon damals das Herz erwärmt hatte. Und sie stellte irritiert fest, dass sie das immer noch tat. „Sieht so aus, oder?" Die Deutsche versuchte zu lächeln doch so richtig schien ihr das nicht zu gelingen. Mélanie wollte etwas sagen, ihr das traurige aus dem Gesicht nehmen, dabei verstand sie nicht einmal was dieses Gefühl dort zu suchen hatte. Sollte der Gedanke an jemanden mit dem man verheiratet war einen nicht glücklich statt traurig stimmen? „Bist du... Wie ist es... Ich meine...", sie fand die Worte nicht. Wusste nicht, wo sie anfangen sollte oder wo sie genau mit diesem Gespräch hinwollte. Sie wollte über alles mit Annalena reden, wollte wissen, woher die Traurigkeit kam, warum sie nicht mehr so voller Überzeugung und Lebenskraft steckte wie damals als sie noch glücklich waren. Doch das hier war nicht der richtige Ort dafür. Es konnte nicht im Interesse einer der Beiden sein, ihre Vergangenheit am nächsten Tag ausführlich auf Presseseiten ausgeschlachtet zu sehen.

Annalena sah sie kurz verwirrt an, bevor Mélanie es endlich schaffte, wieder einen geraden Satz zu formulieren. „Willst du heute Abend gemeinsam was essen? Ich meine, ein Restaurant wird wohl eher schwierig, aber wir könnten uns ja was aus dem Hotel aufs Zimmer kommen lassen und uns Mal... Du weißt schon... unterhalten." Kurz zuckte etwas in Annalenas Gesicht und Mélanie befürchtete schon sie würde ablehnen, doch dann nickte sie nachdenklich. „Hört sich gut an. Wobei unterhalten ja schon fast bösartig klingt." Das bescherte Mélanie ein Grinsen aufs Gesicht. Vielleicht war doch noch etwas von dieser Annalena da in der viel zu seriös aussehenden Schale der Außenministerin. Etwas von der Annalena, die Mal für eine viel zu kurze Zeit ihre Annalena gewesen war.

You're in my past - but my future needs you too!Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt