Angekommen in ihrem Hotelzimmer warf sich Annalena zunächst frustriert auf ihr Bett. Sie konnte nicht fassen, wie dieser Tag verlaufen war. Natürlich hatte sie gewusst, dass Kanada beinahe zeitgleich mit Deutschland eine neue und zudem weibliche Außenministerin bekommen hatte. Doch um sich eingehender damit beschäftigen zu können, wer Justin Trudeaus neue Frau für die Außenpolitik war, hatte ihr schlicht die Zeit gefehlt. Wahlkampf, Koalitionsverhandlungen und schließlich Antrittsbesuche hatten sie quasi völlig eingenommen und dabei ihre Spuren hinterlassen. Dass sie sich dann nicht auch noch in ihrer wenigen freien Zeit mit der Politik anderer Länder eingehend befassen konnte, hätte ihr eigentlich niemand übelnehmen können. Und doch hätte sie sich in diesem Moment am liebsten selbst eine Ohrfeige dafür verpasst. Sie hätte vorbereitet darauf sein können am heutigen Tag nicht nur einer unglaublich attraktiven Frau gegenüberzustehen, sondern vor allem einer Frau, die ihr bereits in ihrer Jugend gehörig den Kopf verdreht hatte. Eine Frau, die sie jetzt auch noch auf ihr Zimmer eingeladen hatte, um sich „zu unterhalten".
Die Deutsche seufzte. Es machte ihr zu schaffen, dass sie die Begegnung mit Mélanie so wenig souverän hatte meistern können. Dabei war doch gerade das ihre zugeschriebene Aufgabe – Diplomatie auch unter widrigsten Umständen erreichen zu können. Doch wenn es um Mélanie ging, war jegliches politisches, jegliches sprachliches Geschick welches Annalena sonst hatte offensichtlich wie weggeblasen. Vor allem beschäftigte die Außenministerin, was sie eigentlich hatte sagen wollen, als ihre ehemalige Freundin sie auf ihren Ehering angesprochen hatte. Die einzig richtige Antwort hätte sein müssen: „Ja, seit 14 Jahren und er ist ganz wundervoll!" Aber gesagt hatte sie nichts dergleichen. Dabei wäre es die Wahrheit gewesen. Er war wundervoll, ein fantastischer Vater und ein liebevoller Ehemann. Und doch wusste Annalena, dass das schon länger nicht mehr ausreichte. Es lag nicht an ihm, nur an ihr, das wusste sie. Es lag an ihrer Arbeit – das hatte sie sich immer eingeredet. Sie fühlte sich innerhalb ihrer Ehe nur deshalb gelangweilt, stagnierend, weil innerhalb ihres Berufes so viel passierte. Jeden Tag etwas Neues erlebte und es nicht möglich war dabei auf der Stelle zu treten. Doch mit dem heutigen Tag war ihr schlagartig klar geworden, dass da noch etwas ganz anderes war. Sie hatte sich nie ganz erholt von der Erfahrung in London. Nie ganz die Gedanken daran aufgegeben, dass sie hätte zurück gehen sollen, so wie sie es Mélanie damals versprochen hatte.
Aber all das lag so lange zurück, weder sie noch ihre kanadische Kollegin könnten jemals zurück dorthin, wo all ihre Erinnerungen lagen, da war sich Annalena sicher. Und das war mit Sicherheit auch nicht Mélanies Plan. „Scheiße!" Annalena fuhr erschrocken aus ihrer liegenden Position und sah auf den kleinen Wecker, der auf dem dunklen Nachtkästchen neben ihrem Bett stand. Dieser ganze Vorgang des Nachdenkens hatte sie viel zu lange aufgehalten. Noch immer trug sie das knielange schwarze Kleid, welches nach der langen Liegezeit auch eher aussah, als sollte man es in die Reinigung geben, als dass man damit wirklich in einem Hotelzimmer essen gehen sollte. Mal ganz davon abgesehen, dass es eigentlich auch nicht ihr Plan gewesen war zu einem privaten Gespräch in einem derartig strengen Outfit aufzutreten. Sie gab sich selbst noch ungefähr eine halbe Stunde, für eine ausgiebige Dusche würde das wohl kaum noch reichen. „Dann halt Katzenwäsche," sagte sie zu sich selbst und schwang die Füße über den Bettrand.
Es klopfte recht zaghaft an der Tür und Mélanie war sich sicher, dass es sich bei der Person vor der Tür nicht um jemanden vom Sicherheitspersonal oder dem Hotel handeln würde. Keiner von ihnen würde so sanft an eine derartig dicke Tür klopfen. Auf ihrem Gesicht zeichnete sich ein kleines Schmunzeln ab. Den großen Auftritt hatte Annalena noch nie genossen. Vorausgesetzt sie hatte sich nicht völlig verändert, was angesichts ihres Berufes durchaus im Bereich des Möglichen lag. Es klopfte erneut, dreimal, und Mélanie realisierte, dass sie außer dem leichten Schmunzeln noch nicht darauf reagiert hatte. Sie schwang sich von der kleinen Couch die inmitten des geräumigen Hotelzimmers stand und ging auf die Tür zu, nicht ohne sich zuvor selbst im Stillen zu ermahnen ihre alte Freundin nicht auf die alte Geschichte anzusprechen. Die Geschichte mit dem Springbrunnen...
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You're in my past - but my future needs you too!
Romance"Natürlich liebe ich dich!" - "Und was ist dann mit ihm?" "Dich und nur dich!" -"Dennoch bist du damals gegangen." ----------------------------------------------------------------------------------------- Die handelnden Personen basieren nur namentl...