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Mit sechzehn Jahren war ich das erste Mal richtig verliebt. Ausgerechnet in den besten Freund meines Cousins. Luke war nur ein paar Monate älter und total toll. Mit seinen grünen Augen und den braunen, lockigen Haaren war er einfach knuffig. Das ist lange her. Damals war er noch keineswegs berühmt oder bekannt. Er war ein ganz normaler Teenager. Vier Jahre später hat er mit unserem Cousin bei einem Casting einen Plattenvertrag ergattert. Mit noch zwei anderen Jungs haben sie eine Band gegründet. Luke hat gesungen und Gitarre gespielt, genauso wie Will – unser Cousin. Die anderen beiden, Jasper und Zac übernahmen Schlagzeug und Bass. Ich freute mich natürlich für alle vier, aber Luke wollte sich danach nur noch um die Musik kümmern und unsere Beziehung war plötzlich Geschichte. Und so kam ich zu meinem ersten großen Liebeskummer, während er mit der Band auf dem Weg an die Spitze war. Frozen Dynamite war geboren und machte später seinem Namen alle Ehre.

Im Radio lief in einer Tour das neueste Lied der Band, das machte es mir natürlich nicht leichter. Außerdem tauchten relativ schnell Fotos von Luke und zig wunderhübschen Models auf.

Wir lebten zwar zu Beginn noch in derselben Stadt, aber Chicago war groß und so konnten wir uns gut aus dem Weg gehen. Nein. Ich konnte ihm aus dem Weg gehen. Luke hat immer versucht, mit mir zu sprechen, aber ich konnte nicht über meinen Schatten springen.

Durch den Erfolg von Frozen Dynamite zogen die vier Jungs nach New York. Will kam nur noch selten nach Chicago, also beschränkte sich der Kontakt nur auf Telefonate.

Auch war ich auf keinem ihrer Konzerte, ich wollte das nicht sehen. Die Plakate waren schon schlimm genug.

Aber jetzt, im Jahr 2019, komme ich nicht mehr daran vorbei. Die verlorenen Jungs kehren für ein Konzert nach Chicago zurück. Wow. Eigentlich hatte ich auch hier keine Ambitionen für, aber meine besten Freunde haben es einfach für mich entschieden. Und Will hat sich natürlich daran beteiligt und uns Karten, VIP Pässe besorgt. Ganz toll. Ich brauche vermutlich nicht erwähnen, wie sehr sich Ella und Maddie freuen. Beide sind riesige Fans von Frozen Dynamite. Für mich waren die letzten Tage schon eine Qual. Vergisst man mal die Bilder in der Presse oder im Fernsehen, habe ich Luke fünf Jahre nicht mehr gesehen und eigentlich ging es mir damit gut. Lüge.

„Ist das nicht unfassbar cool hier?", fragt Ella und macht mit ihrem Handy zahlreiche Fotos. Vermutlich für Instagram. Meine andere Freundin strahlt ebenfalls und nickt nur, während ich mir am liebsten meine Bettdecke über die Augen ziehen würde. Ich hätte es mir heute so schön machen können. Aber nein, jetzt stehe ich hier im United Center in Chicago mit weiteren 23.499 Menschen und muss mir das jetzt zweieinhalb Stunden antun. Es gibt nichts Besseres.

Als dann das Licht ausgeht und die Scheinwerfer auf die Bühne gerichtet werden, hab ich das Gefühl, die Stimmung kocht noch höher als die Minuten zu vor. Kaum haben die vier die Bühne betreten, gibt es nur noch lautes Gekreische.

„Chicago, wie schön wieder hier zu sein", ruft Luke in sein Mikro und stimmt sofort das erste Lied mit seiner Gitarre an.

Meine Hoffnungen, nach dem Konzert sofort nach Hause zu fahren, werden von einem großen Mann der Security vernichtet. „Ich soll euch in den Backstagebereich bringen", meint er und so wie er aussieht, duldet er keinen Wiederspruch. Davon mal abgesehen, würden mich meine Freunde umbringen. Sie benehmen sich gerade wie Kängurus. Anders kann ich mir das auf und ab hüpfen nicht erklären.

Kaum sind wir angekommen, werde ich schon von Will in eine feste Umarmung gezogen. „Rosie, du bist tatsächlich hier." „Ja, ich wurde sozusagen dazu genötigt. Aber ich freue mich wirklich dich zu sehen, Will", sage ich ehrlich und sehe, dass sich die Jungs schon umgezogen haben. Eigentlich wollte ich Zac und Jasper meine Freundinnen vorstellen, aber das haben sie schon selbst geschafft. „Ich sag dann auch mal hey", meint Luke und hebt seine Hand. „Hey", erwidere ich und erhasche einen Blick. Er trägt seine Haare kürzer und hat nun deutlich mehr Tattoos auf dem Arm. Aber es steht ihm. Viel zu gut.

„Wie lange bleibt ihr denn in Chicago?", frage ich interessiert. Das war das letzte Konzert der Tour also kann es gut sein, dass sie etwas Zeit in der alten Heimat verbringen wollen.

„Wir haben jetzt ein bisschen Urlaub, also bleiben wir zumindest für eine Woche hier. Jasper und Zac fliegen wieder nach New York. Aber Luke und ich werden hier sein", antwortet Will grinsend. Er ist zwei Jahre älter als mein Ex und ich und ziemlich eng mit meiner älteren Schwester. „Da wird sich Ruby ja freuen".

Bevor wir weitersprechen können, kommt jemand und sagt, dass jetzt die Pressetermine anstehen. Die Band soll über die vergangene Tour reden. Für mich ist das eine pure Erlösung.

Während sich Ella und Maddie vom Bassisten uns Schlagzeuger verabschieden, kommt Luke zu mir und stellt sich in die Tür. „Du weißt ja jetzt, dass wir die kommende Woche hier sind, vielleicht sehen wir und ja mal", meint er und legt sein nun weltbekanntes Lächeln auf. „Das wird sich wahrscheinlich nicht vermeiden lassen", erwidere ich. Schließlich ist er nicht nur der beste Freund meines Cousins, sondern auch der Cousin meines Schwagers. Alles eine blöde Konstellation.

Schon auf dem Heimweg habe ich meiner Schwester eine Nachricht geschrieben und gefragt, ob sie zu Hause ist. Sie ist selber in der Musikbranche tätig und arbeitet so auch gerne noch spät im Studio.

Zu meinem Glück ist sie schon zu Hause und da sie mit ihrem Freund direkt neben dem Hotel meiner Eltern lebt, ist das super praktisch.

„Erzähl doch erst einmal, wie es dir gefallen hat?", fragt sie mich und reicht mir eine Tasse Tee. Unser Dad stammt aus England und hat uns seine Liebe zum Tee vererbt.

„Wie soll es schon gewesen sein? Ich glaube, ich war die einzige von 23.500 Leuten, die nicht die tollsten drei Stunden ihres Lebens hatte. Warum warst du eigentlich nicht da?"

„Ach, ich habe die vier schon so oft auf ihren Konzerten besucht, außerdem hab ich momentan ein bisschen Stress mit allem", meint sie und fährt sich durch die dunkelblonden Haare. Meine Schwester plant gerade ihre Hochzeit. Sie und Philipp sind seit Kindheitstagen ein Paar und wagen nun endlich den großen Schritt. Dass ich mich für beide freue, ist eine enorme Untertreibung. Meine Schwester hat harte Jahre hinter sich und Philipp hat ihr in jeder Sekunde den Rücken gestärkt.

„Du weißt ja, ich helfe dir wo es nur geht", meine ich ehrlich. Da ich im Hotel unserer Eltern arbeite und auch lebe, bin ich ohnehin in die Planung involviert.

„Ja, aber das ist jetzt egal. Wie war es für dich, Luke zu sehen?", fragt sie und sieht mich neugierig an.

„Was soll ich dir da groß sagen? Es war nicht so schlimm wie befürchtet, aber es war jetzt auch kein großes Vergnügen. Zum Glück war seine Modelfreundin nicht da. Das wäre bestimmt komisch geworden". In den letzten Monaten wurde er immer wieder mit einem spanischen Model fotografiert. So eine Art Frau passt vermutlich auch besser zu einem Rockstar als eine studierte Journalistin, die in Papas Hotel arbeitet.

Ja, ich wollte früher immer Reporterin werden und habe Journalismus studiert, aber trotz gutem Abschluss, habe ich keinen Job gefunden. Also helfe ich meinen Eltern im Hotel mit der Öffentlichkeitsarbeit.

„Ihr werdet euch bestimmt in den nächsten Tagen häufiger sehen. Will und Luke kommen zu mir ins Studio. Wir wollen an ein paar neuen Texten arbeiten".

Ach ja, habe ich erwähnt, dass meine Schwester Alben für andere Künstler produziert? Natürlich auch für Frozen Dynamite.

Frozen DynamiteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt