Kapitel 2

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Bella

Das Frühstück ist eigentlich ganz gut gelaufen. Ich habe mir nichts anmerken lassen, auch wenn mir beim Aufschneiden meines Brötchens vor Schmerzen die Tränen in die Augen geschossen sind. Denn bei meinem Pech muss ich mir ja ausgerechnet die rechte Schulter verletzen, und da ich Rechtshänderin bin, stellt mich das vor einige Probleme. Sonst hat alles gut funktioniert, bis Dad mir gesagt hat, dass am Samstag ein Springturnier stattfindet, bei dem ich mit meinem Hannoveranerwallach Moonshine antreten soll. Es würde dem Apfelschimmel sicher guttun, wieder einmal ein bisschen Turnierluft zu schnuppern. Nur habe ich absolut keine Ahnung, wie ich das mit meiner Schulter schaffen soll. Irgendwas muss ich mir da noch einfallen lassen. Ich hätte wirklich irre Lust auf ein Turnier. Und als Mädchen, dass auf einem riesigen Reiterhof in Österreich lebt und aufgewachsen ist, auf dem sich alles nur ums Westernreiten dreht und der einer Farm irgendwo im wilden Westen gleicht, auf deren Weiden wilde Mustangs grasen, sind die Chancen, Springreiten zu betreiben, eher rar. Naja, wilde Mustangs gibt es bei uns nicht und es ist auch nicht so staubtrocken, wie man es von den meisten Westernfarmen kennt, aber ansonsten kommt der Vergleich mit einer amerikanischen Farm ganz gut hin. Mein Dad hat sich damit einen Lebenstraum erfüllt und Mum hat dabei natürlich mitgemacht. Sie unterstützt ihren Mann wo es nur geht, ist immer für ihre Familie da und ist die stärkste, tapferste, liebevollste und schönste Frau, die ich je gesehen habe. Sie fühlt sich sehr wohl hier und geht komplett in ihrer Rolle auf.

Moonshine ist so ziemlich das einzige Springpferd auf dem Hof. Er hat eine hervorragende Abstammung und großes Talent. Dad hat ihn mir zu meinem fünfzehnten Geburtstag als Fünfjährigen geschenkt und mir seinen Preis nie verraten. Doch ich kann schätzen, dass er locker einen sechsstelligen Betrag für den Wallach hingeblättert hat. Schon als kleines Kind war es mein größter Traum, eine erfolgreiche Springreiterin zu werden. Durch das Gymnasium und meine Ausbildung zur Pferdewirtin hatte ich aber wenig Zeit dafür, große Preise abzustauben. Moonshine hat in dieser Zeit, außer bei gelegentlichen Trainingseinheiten, wenig Hindernisse zu Gesicht bekommen. Doch seit einem Jahr trainiere ich wieder fleißig mit ihm und reite mehr Turniere, meistens sogar mit Platzierungen in den ersten drei Rängen. Moonshine ist natürlich nicht das einzige teure Pferd in unserem Stall. Auch einige Rodeopferde fallen in seine Preisklasse. Neben den Westernpferden haben wir auch einige Einstellerpferde.

Snow ist mein Pferd. Mein Großvater hat mir den weißen Mustang im Testament anvertraut, als er vor einem halben Jahr gestorben ist. Möge er in Frieden ruhen. Er hat den Hengst aus Amerika mitgebracht, wo der Vater meines Dads für viele Jahre gelebt hat. Keiner weiß, was der weißen Schönheit in seiner Vergangenheit genau zugestoßen ist, dass er so schreckhaft und ängstlich reagiert, doch ich glaube, die Tatsache, dass Snow ein Mustang ist, erklärt Einiges.

Ich mühe mich gerade damit ab, mit der Mistgabel Pferdeäpfel von Moonshines Box in die Schubkarre zu manövrieren, ohne dabei mein Gesicht vor Schmerz zu verzerren. Verdammt, ich bin doch selbst schuld. Würde ich einmal auf meinen Vater hören, wäre das nicht passiert und ich könnte am Samstag das Turnier reiten. Aber Snow tut mir so leid.

Ich hebe den Blick. Er steht ganz hinten, in der dunkelsten Box. Mitten im Mist, weil sich keiner traut, seine Box auszumisten. Er hat seit einem halben Jahr keine Wiese, kein frisches Gras mehr gesehen. Er ist abgemagert, sein Fell ist stumpf, weil er sein Futter mithilfe eines Eimers bekommt, der befüllt und mit einem Seil nach oben über die Box gezogen wird. Danach wird der Inhalt in seinen Futtertrog gekippt, wobei die Hälfte des Futters irgendwo auf dem Weg verloren geht und schlussendlich nur mehr ein minimaler Teil in Snows Reichweite landet. Es wäre alles leichter, wenn er sich anfassen lassen würde, aber er zerstört alles, was in seine Nähe kommt. Seine ersten paar Wochen hier hat er damit verbracht, Tag und Nacht gegen seine Boxenwände zu treten. Keiner darf zu ihm. Dad ist kurz davor, ihn wegzugeben, doch ich wehre mich mit Händen und Füßen. Ich weiß, dass es so nicht weitergehen kann. Snows Zustand ist miserabel. Man kann Tag für Tag sehen, wie er innerlich zugrunde geht. Er lässt den Kopf hängen, seine Augen sind leer.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Mar 14, 2023 ⏰

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