Mein letztes Konzert

24 4 6
                                    

Nun endet sie bald. Meine Zeit. Den ganzen Sommer über stand ich stolz da und präsentierte meine Pracht. Doch langsam neigt sich diese Zeit dem Ende zu und die kalten Winde übernehmen die warmen Tage und angenehme Nächte. Bald liegt Schnee auf den Dächern und neben den Straßen. Bald ist mein Dach leer und weiße Flocken schmiegen sich an meine Arme. Sie umhüllen mich und lassen mich bis in den nächsten Frühling nicht mehr los.

Meinen Brüdern und Schwestern neben mir wird das gleiche Schicksal ereilen trotzdem sieht uns niemand zu. Niemand schaut auch nur auf und bewundert unser letztes Konzert. Jeder hastet schnell an uns vorbei und würdigt uns nicht mal eines Blickes.

Sie starren auf ihre Handys, die Menschen. Sie pinkeln mich an, die Hunde. Sie verlassen ihre Nester in meinen weiten Armen, die Amseln. Im Sommer war ich stark und jedermann sah ehrfürchtig zu mir hoch, im Herbst verliere ich meine Blätter und werde kahl. Sie ignorieren mich.

Ein Mann mit einer Aktentasche hastet vorbei, er sieht nicht mal eine Sekunde auf, sondern sucht sich seinen Weg durch die Allee im Stadtzentrum. Er wird immer schneller, fast wäre er in eine Frau mit Kinderwagen hineingerannt. Sie schaut ihm nur kopfschüttelnd hinterher. Zwei junge Mädchen, Teenager, schlendern an mir vorbei. Beide blicken in ihre Handys und tippen geschäftig darauf herum. Ich werfe ihnen ein Blatt zu. Es landet direkt auf einem der Bildschirme. Doch wird es nur weggewischt. Die Rechte der beiden stolpert daraufhin über meine Füße und blickt ganz kurz zu mir, doch schon kommt eine neue Nachricht und ihr Blick wird von dem kleinen leuchtenden Gerät eingefangen. Das ist heute die einzige Reaktion, die ich bekommen habe.

Frustriert schüttle ich mich und lasse das Laub tanzen. Die Blätter schaukeln im Wind und werden weggetragen mit einem sanften Rascheln. Ein kleines Blatt landet im Kinderwagen der Frau, sie nimmt es, betrachtet es kurz und wirft es wieder weg. Langsam segelt es neben ihr zu Boden und sucht sich einen Platz neben all den anderen farbenfrohen Genossen. Tausend Leute werden über sie hinwegtreten und keiner wird dieses Blatt registrieren.

Ein Fahrradfahrer kurvt durch die Menschen hindurch. Langsam und vorsichtig, doch er nimmt sich keine Zeit stehenzubleiben und abzusteigen. Er fährt weiter und schaut nur nach vorne, ohne einen Blick zu mir zu riskieren.

Schon seit vielen Jahren stehe ich hier und erfreue die Menschen, die um mich herumlaufen. Schon seit einer Ewigkeit lebe ich mit Vögeln und Eichhörnchen in mir. Doch noch nie fiel es mir so schwer aufrecht zu stehen. Die starren Blicke und das schnelle Treiben erdrücken mich förmlich. Niemand scheint sich auch nur eine Sekunde lang eine Pause zu gönnen. Der Frau mit dem Kinderwagen würde ein paar Minuten Stille und das leise Rascheln des Laubes sicherlich guttun. Sie würde sich endlich etwas entspannen, sie würde mir helfen mich selbst zu entspannen, um meine letzten Wochen genießen zu können. Doch stattdessen schiebt sie weiter ihr Kind durch die Allee und fischt ununterbrochen das tanzende Laub aus dem Wagen.

Traurig lasse ich meine Arme sinken. Was bringt es noch meine Schönheit zu präsentieren, wenn niemand mich sieht? Was bringt es noch ein letztes Konzert zu geben, wenn niemand zuhört? Was bringt es noch zu leben, wenn alle so tun als sei ich schon lange tot?

Erschrocken zucke ich zusammen. Was war das? Ich senke meinen Blick langsam nach unten und kann meinen Augen kaum glauben. Es gibt sie also noch, die guten Menschen. Die Menschen, die aufschauen und die Schönheit der Natur bewundern. Ein kleines Mädchen streicht über meinen Stamm und lacht. Mit funkelnden Augen schaut sie bis ganz nach oben. Sanft schüttle ich mich, sodass ein paar Blätter hinabfallen. Sie kichert vergnügt, als eines auf ihrem Gesicht landet. Langsam fällt es zu Boden und das Mädchen folgt mit ihren Blicken. Dann setzt sich auf die Erde, direkt neben mich. Ihre kleinen Hände fischen nach einem Blatt und ertasten neugierig die raue Oberfläche. Erstaunt über die Vielfältigkeit des bunten Laubs gräbt sie nach weiteren in der Blätterschicht. Sie wirft sie nach oben und versucht einige wieder einzufangen.

Ich kann es kaum glauben, doch ich werde wertgeschätzt. Ich bin in diesem Moment nicht unsichtbar, sondern der Mittelpunkt der kleinen Welt des Mädchens. Ich lasse mich von ihrer Ausgelassenheit anstecken und werfe ihr ein paar tanzende, gelbrote Blätter zu. Immer wieder schüttle ich mich und ich bin so froh wie schon lange nicht mehr. Ich könnte ewig so weitermachen, käme da nicht ihre Mutter eilig angerannt.

Schimpfend zieht sie das Kind auf die Füße und zerrt es weg von mir, weg von unserem Blätterspiel. Immer weiter weg geht sie, doch das Mädchen schaut zurück. Sie schaut zu mir und lächelt. Ich sehe in ihren Augen die Freude, die sie empfunden hat, als ich mit ihr gespielt habe. Ich schüttle meine Äste noch mal, nur für sie. Ihr kleiner Arm ragt in die Luft und schwingt tatkräftig.

Dieses Mädchen ist der Grund, warum ich weiter mache. Der Grund, warum ich mich freue, dort zu sein, wo ich bin. Tausend Menschen eilen schnell an mir vorbei und beachten mich nicht. Das ist ihr Problem. Das ist ihr Versäumnis, denn wenn sie stehen bleiben würden, würden sie sehen, was das kleine Mädchen gesehen hat. Die Schönheit dieses Augenblickes, wenn ich mein letztes, farbenfrohes Konzert gebe.

An der Stelle möchte ich gerne die Möglichkeit nehmen und mich bedanken für die Unterstützung meiner Buchclub Freunde, besonders triss_seidenfels

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

An der Stelle möchte ich gerne die Möglichkeit nehmen und mich bedanken für die Unterstützung meiner Buchclub Freunde, besonders triss_seidenfels

Ein großer Dank gilt auch _MaliaFox_
Sie hat den Fall in Love Award Veranstaltet und die Schwere Aufgabe übernehmen müssen die ganzen tollen Geschichten zu bewerten.

Ich bin so unglaublich stolz auf mich, dass meine Geschichte hier tatsächlich zu den Top Geschichten zählte und es bis auf Platz drei schaffte.

Ich bin so unglaublich stolz auf mich, dass meine Geschichte hier tatsächlich zu den Top Geschichten zählte und es bis auf Platz drei schaffte

Hoppla! Dieses Bild entspricht nicht unseren inhaltlichen Richtlinien. Um mit dem Veröffentlichen fortfahren zu können, entferne es bitte oder lade ein anderes Bild hoch.

Herzlichen Glückwunsch auch an alle anderen Gewinner und Teilnehmer. Eure Geschichten waren alle super und jede einzelne hätte eine Platzierung verdient.

WortbrunnenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt