Kapitel 10 - verstohlene Blicke

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"We are all mortal until the first kiss and the second glass of wine." - Ecuardo Galeano

Das Feuerwerk, was sich in allen Farben, in ihren Augen spiegelte, war in diesem Moment das Schönste, was ich je gesehen hatte. Als würden tausend Farben die dunkle Nacht erleuchten, was sie gerade auch taten. Nur am Sternenhimmel und nicht in ihren Augen. Trotzdem sah ich es von weitem, wenn ich ganz genau hinsah. Wenn ich jeden Winkel von ihr musterte und mich fragte: „Was jetzt?"
Chloe knuffte mich in die Seite, sodass ich gezwungen war meinen Blick abzuwenden und sie anzusehen. Sie strahlte wie immer, was ich ihr dieses mal alles andere als verübeln konnte. Ich tat es ja selbst, ganz unterbewusst. Denn Chloe hatte uns, um mich zu überraschen, doch noch zum Times Square geschleppt damit wir uns dort das Feuerwerk ansehen konnten. In meinem Herzen schien auch ein Feuerwerk hochzugehen. Allerdings mit mehr Gefühlen, als Chloe überhaupt ahnen konnte.
„Sag mal, weißt du zufällig was mit Autumn los ist? Als ich sie vorhin aus der Küche kommen sah, war sie knallrot und schien total durch den Wind und jetzt gibt sie kein Wort von sich. Ich meine, sie ist ja sowieso keine von der redefreudigen Truppe, aber guck sie dir doch mal an." Und wie ich sie ansah. Wie sie in ihrem roten Mantel da stand, die gelockten Haare akribisch nach hinten gelegt und in den Himmel starrend. Es war ein Bild für die Götter. Sie hätte ganz friedlich gewirkt, würde ihr Fuß nicht so nervös auf der Erde tappen, hätte sie nicht ihre Arme vor der Brust verschränkt und wären ihre Augenbrauen nicht zusammengezogen.
Ich zuckte nur ahnungslos mit den Schultern, da ich es ja selbst nicht wusste. Ich wollte wissen, was in ihrem Kopf vorging.
Obwohl vielleicht nicht in ihrem Kopf, ich wollte wissen, wie es in ihrem Herzen aussah. Vielleicht auch um zu wissen, was ich davon denken sollten. Und um meine Gefühle zu sortieren, die gerade Achterbahn fuhren.
Chloe zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. „Hm, ich hätte gedacht, dass es was mit dir zu tun hat." Fragend sah ich sie an. „Mit mir?" Sie nickte. „Das ist definitiv ihr: Ich denke über Gracie nach - Blick." Ich war erstaunt, dass es sowas überhaupt gab. Chloes Blick zu folge, gab es sowas auch nicht, denn sie fing laut an zu lachen.
„Ach Gracie, ich bin froh, mit dir ins neue Jahr gerutscht zu sein." Sie zog mich lächelnd in die Arme, sodass ich die Umarmung nur grinsend erwidern konnte.
Das erste mal, dass ich mich zuhause fühlte, mein Herz einen Platz hatte, wo es gut aufgehoben war und es waren ausgerechnet Chloes Arme, die mir dieses zuhause gaben.

Meine Schritte hallten auf dem hellen Marmorboden wieder, sodass ich mich fast vor meinen eigenen Lauten erschreckte. Ich sah mich unsicher in der riesigen Eingangshalle um, als hätte ich diese noch nie gesehen, obwohl ich das sehr wohl getan hatte. Es fühlte sich an, als wäre das schon ewig her, dabei waren es erst ein paar Wochen seitdem ich die Treppenaufgänge zu den oberen Etagen begutachtet und letztendlich auch hinaufgestürmt war. Und zu guter Letzt sogar auf dem Dach gelandet war. Da ich immer noch etwas verloren war und keine Ahnung hatte, wo ich hin musste, ging ich mit großen Schritten auf die Rezeption zu, an der eine junge Frau, vielleicht drei oder vier Jahre älter als ich, saß und in ihrem Computer herumtippte. Durch räuspern versuchte ich ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen, aber sie widmete mir nicht einen einzigen Blick, sodass ich ganz höflich sagte: „Ich möchte gern zu Miss Blakes Büro. Wo finde ich das denn?" Die brünette Frau, nicht so hübsch brünett wie Autumn, eher ein streniges brünett mit beigemischtem Blond sah nicht einmal auf. „Haben Sie einen Termin?" Sie klang fast schon genervt, als würden die Leute hier Schlange stehen um zu Miss Blake persönlich zu kommen. „Nein, ich..." wollte ich gerade ausholen, da wurde ich direkt schon harsch unterbrochen. „Dann wenden Sie sich bitte an einen anderen Mitarbeiter oder machen Sie einen Termin aus. Miss Blake ist momentan nicht zu sprechen." Diese Frau vor mir trieb mich in den Wahnsinn, sodass ich mich nun straffte, meinen Blazer gerade zog und sie förmlich mit meinen Blicken durchbohrte. Was sie leider immer noch nicht sah, da sie mich auch immer noch nicht eines Blickes würdigte.
„Ich bin ihre neue persönliche Assistentin." Sofort schnellte ihr Blick nach oben und sie betrachtete mich neugierig wie einen verloren gegangenen Welpen. Nun gut, was wollte man als Frischfleisch hier schon erwarten? Ihr Mund verzog sich zu einem Grinsen und ihr Blick wurde warm. Hätte nur noch gefehlt, dass sie freudig klatschend auf und ab sprang. „Sag das doch gleich!" Sie streckte mir eine zierliche Hand mit rot lackierten Fingernägeln entgegen, welche ich dankbar schüttelte. „Ich bin Stephanie und du musst Gracie sein." Überrascht, dass Sie gleich meinen Namen wusste, sah ich sie an. „Woher...?" Sie kicherte hinter vorgehaltener Hand. „Miss Blake hat mir von Ihnen erzählt, sie scheint ziemlich aufgewühlt zu sein eine neue Assistentin zu bekommen. So kenne ich sie gar nicht. Wie kommen Sie zu der Ehre für Sie zu arbeiten? Ich versuche seit Jahren direkt bei ihr eine Stelle zu bekommen und bin immer noch an die Rezeption gefesselt. Wie ungerecht. Aber du scheinst nett, also hast du es dir wohl verdient." Als ihr Redeschwall endlich vorbei war und ich mich von den Wortfluten erholt hatte, lächelte ich nur schief. „Naja, ob man das Ehre nennen kann... Wie die freundlichste Person erscheint mir Miss Blake nicht gerade." Nun lächelte ich auch. „Ach, Sie kennen sich persönlich?" Ich dachte für einen Moment nach. Ich hatte Zeit mit Miss Blake verbracht, keine Frage, doch kannte ich sie wirklich? Sie versuchte mich immer auf gesunder Distanz zu halten, ja nicht zu viel Nähe zu zulassen, aber irgendwo hatte ich das Gefühl ein wenig von ihr zu wissen. Allerdings wahrscheinlich nur das, was jeder von ihr wissen durfte. Sie war einer von den Personen, die genau selektierte, was andere von ihr wissen durften und was nicht. Und vorallem wer etwas von ihr wissen durfte.
Also zuckte ich bei dieser Frage nur mit den Achseln. „Wie man es nennen mag." Stephanie sah mich kurz verwirrt an, ehe sie sich jedoch fing, ihr bestes Zahnpastalächeln hervor holte und hinter dem Tresen hervortrat. „Komm Gracie, ich bring dich zu Miss Blake, bevor du noch zu spät kommst!" Ein Blick auf meine Armbanduhr sagte mir, dass ich schon ziemlich spät dran war und in nicht einmal ein paar Minuten schon zu spät wäre. Das würde Miss Blake ganz sicher nicht gefallen.
Kurz bevor wir die Tür zu den Großraumbüros öffneten, die zu einem weiteren Raum führte, rückte mir Stephanie noch einmal den Kragen zurecht, ehe sie mich vergnügt durch die vielen Schreibtische navigierte. Ich spürte ein paar Augen auf mir, traute mich jedoch keinesfalls Acht darauf zu geben. Ich wollte nicht noch nervöser werden als eh schon. Denn ich spürte das deutliche Mitleid in Ihnen. Als würde ich bei der nächsten Tür, die zum Vorraum von Miss Blakes Büro führte, das Tor zur Hölle aufstoßen. Zumindest tat ich schon mal genauso schwitzen. Ich war ungewöhnlich nervös, was ich mir nicht wirklich erklären konnte. Als ich damals das Gespräch bei dem Verlag gehabt hatte, hatte ich niemanden gekannt. Ich hatte mich einem Haufen fremder Gesichter gegenüber gesetzt, die mich gemustert hatten, als würden sie mich schon mit ihren Augen in Einzelteile auseinander nehmen wollen. Sie hatten mir einen Haufen Fragen gestellt, zu denen ich nur Antworten gestammelt hatte, bei denen ich in diesem Moment nicht einmal mehr gehört hatte, ob diese überhaupt logisch klangen. Ich hatte überhaupt zu kämpfen, meine Stimme noch wahrzunehmen, war der Ohnmacht so nahe, dass ich gefühlt schon Engelsstimmen im Ohr hatte. Und dieses mal hatte ich den Job schon sicher. Ich war nicht auf Probezeit, ich musste mich nicht erst bewerben. Ich war einfach da und vor mir wäre auch kein fremdes Gesicht. Sondern das Gesicht, dessen Lippen Meine schon einmal versehentlich berührt hatten. Und auch wenn es nur ausversehen war, Funken hatte sprühen lassen, die dort definitiv nicht hingehörten.
Das war das erste mal, dass ich auch realisierte, dass mir nicht einmal leid tat was passiert war. Denn ich hatte es in gewissen Maße gemocht. Vollkommen verwirrt, führte ich meine Finger zu meinen Lippen, die einen Moment noch auf diesen lagen, bis ich mich wieder fing.
Wir standen mittlerweile direkt vor Miss Blakes Office. Wir waren nur eine große, dunkle Tür von ihr getrennt. „Bereit?" fragte mich Stephanie, was mich nur mulmig nicken ließ. „Und nicht vergessen, sieh ihr nie direkt in die Augen!" Doch das war genau das, was ich tat, als Stephanie klopfte und kurz darauf die Tür zu meinem Verderben aufschwang. Es war sofort, als wäre die Luft elektrisiert, als ihre Augen ebenfalls sofort meine Augen fanden.
Sie sah mal wieder umwerfend aus in ihrem schwarzen Anzug, wobei ihr Blazer über ihrem Stuhl hing und sie nur noch die weiße, figurbetonte Bluse trug. Als sie merkte wie mir der Mund bei ihrem Anblick aufgeklappt war, zuckte ihr rechter Mundwinkel nach oben und sie betrachtete mich amüsiert. „Guten Morgen, Miss Parker." Sie betonte meinen Namen ganz bewusst und ließ ihn sich auf der Zunge zergehen wie Honig. Es war als wäre das alles an Silvester gar nicht passiert. Und für einen Moment überlegte ich auch, ob ich mir das alles nur eingebildet hatte, aber ich spürte immer noch ihre weichen, gut schmeckenden Lippen auf Meinen. Ob sie wohl auch gerade daran dachte? Ich löste mich aus meiner Starre und lächelte peinlich berührt. „Ihnen auch einen guten Morgen, Miss Blake." Den letzten Teil des Satzes sagte ich bewusst langsam.
„Sie können im Übrigen gehen." wandte Sie sich an Stephanie, die hinter mir stand und uns schweigend musterte. Trotzdem sah ich ihr an, dass sie sichtlich erstaunt wirkte. Sie nickte nur hastig und verließ mit gesenktem Kopf den Raum. „Dass ich sie mal im Anzug sehe..." Sie stand auf und ging um ihren großen, braunen, massiven Holzschreibtisch herum, nur um sich im selben Atemzug dagegen zu lehnen und ihre Arme neben sich abzustützen. „Aber steht Ihnen." Sie ließ ihre Augen ganz bewusst über meinen Körper gleiten, sodass ich mich etwas unbehaglich fühlte.
„Das Gleiche könnte ich zu Ihnen sagen." Immer noch belustigt schaute Miss Blake auf und in meine Augen. „So? Ist es denn ungewöhnlich, dass ich einen Anzug trage?" Ich schüttelte mit dem Kopf. „Nein, aber der steht Ihnen." Miss Blake musste ganz offensichtlich gegen ein Lächeln ankämpfen. Sie wollte sich wieder setzen, drehte aber noch einmal ihren Kopf zu mir, sodass ihre Haare über ihre Schulter wehten. Sie sah aus wie eine Prinzessin aus einem Disneyfilm. Nur im Anzug und mit einem weniger überdimensionierten Kopf. „Bringen Sie mir erstmal einen Kaffee."

Die Assistentin der Miss Blake Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt