Sommergewitter

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Ich rannte. Ich rannte so schnell wie ich konnte. Ich spürte den heißen Asphalt unter meinen Füßen. Die kleinen Kieselsteine drückten in meine Fußsohlen. Ich war so schnell, dass ich den drücken Schmerz vergaß. Ich spürte den Wind. In meinen Haaren. An meinen Beinen. An meinem gesamten Körper. Meine Haare flogen wie die Mähne eines Mustangs in der Prärie. Es war mir egal ob sie zerzaust und wild waren. Aus den dicken grauen Wolken begannen Wassertropfen zu fallen und prasselten dann immer schneller auf den dampfenden Boden. Die Sonne hatte sich einen Weg durch das schwere Dickicht gebahnt und schien mir in mein nasses Gesicht. Ich blieb stehen. Mitten auf der Straße. Ich sah geradeaus, wo der warme Wind herkam. Ich drehte meinen Kopf nach rechts. Zu dem Weizenfeld, das durch die Sonneneinstrahlung wie wachsendes Gold aussah. Ich atmete den Geruch von feuchter Erde ein. Ein tiefes Grollen ließ meinen Körper beben und machte mich auf die tanzenden Regentropfen aufmerksam, die wie tausend kleine Explosionen auf der dunklen Straße einschlugen. Meine weiße Bluse wurde an den Schultern schwerer, bis sie meine arme fest umschlungen hatte. Der Wind wirbelte die heruntergefallenen Blätter in der Luft herum und peitschte sie mir ins Gesicht. Ich schloss meine Augen. Breitete meine Arme aus und begann ein Bein vor das Andere zu setzen. Die angenehme Wärme und das gelbe Licht unter meinen Augenliedern verschwanden, als ich immer weiter in Richtung Gewitter rannte. Der Wind wirkte als würde er von allen Seiten kommen, da meine nassen Strähnen in mein Gesicht fielen. Die Baumkronen um mich herum raschelten so laut, dass ihre Geschichten überall zu hören waren. Ein ohrenbetäubender Knall rumorte direkt über mir, wodurch ich meinen Blick empor hob. Es lagen dichte schwere Kissen im schwarzen Himmel. Ich blinzelte, um den Wasserperlen nicht den Eintritt in meine Augen zu gewähren. Ich lächelte und sammelte die Luft in meinen Lungen, bevor ich sie in einem lauten Schrei in die Welt presste. Ich stieß jedes letzte Sauerstoffteilchen aus. Ich ließ mich auf die Straße fallen, die an der Seite einen reißenden Bach gebildet hatte und Stöcke und Blätter von diesem Ort trieb. Ich legte meinen Kopf auf den duftenden Boden, wodurch mein Rücken von einer Wasserflut überwältigt wurde. Mein Brustkorb hob sich und sank wieder. Die Sonne, die von der Seite noch zu sehen war, verlor nach und nach ihre Stärke, bis sie dem Druck der Wolken nachgab. Sie wurde in Sekunden verschluckt und überließ den Schatten alles. Alles das gerade eben noch fröhlich mit den Regentropfen gesungen hatte, wurde nun von ihnen zu Boden gedrückt, wurden verbogen, so angestrengt, dass auch sie der Sonne gleichtaten und ihren Widerstand aufgaben. Tiere, die es nicht mehr ins Sichere geschafft hatten, wurden auf den Rücken gedreht und ertranken in der Flut von Trauer. Der Bach um mich herum stieg, lief über und schob kräftige Wellen gegen meinen Körper. Ich sah auf. Wasser des Regens füllte sich in meinen Augen und verschwamm meine Sicht. Ich sträubte mich gegen den Zwang, zu blinzeln und dann sah ich es. Das grelle Licht riss einen Spalt in die Dunkelheit und strahlte die Umrisse jeder einzelnen Wolke an, bis mich das laute Zischen erreichte. Ich spürte das Licht in meinen Venen, in meinen Nerven, in jeder Faser meines Körpers. Dieser Sekundenmoment kam mir wie in Zeitlupe vor. Ich merkte, wie der Schmerz eine Zelle nach der Anderen verzehrte und ich zum letzten Mal meinen Atem ausstieß, der sich in den singenden Windböen verlor. 

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