Kapitel 1: Ein ungleiches Duo

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Haven:
Die Gischt des Meeres peitschte immer wieder gegen den silbernen Leuchtturm unter der blauen Sonne der Hafenstadt. In seinem Inneren herrschte großer Tumult unter den versammelten Mitgliedern des Netzwerks. Stimmen wurden laut. Stimmen, die sich fragten, weshalb sie hier waren. Beinahe niemand erinnerte sich wann das letzte Mal eine solche Versammlung einberufen wurde.

Die großen Ohren des weißen Kaninchens wechselten immer wieder die Richtung und lauschten, was überall gesprochen wurde. Lennerd bekam daher nur am Rande mit, dass Viola versuchte alles unter ihre Kontrolle zu bringen, bis Gilligan eintreffen würde.

Ein abfälliges Schnalzen verließ Lennerds Lippen. Fünfzehn Jahre war die finale Schlacht gegen den Weltenfresser jetzt her und Viola spielte sich immer noch auf, als sei sie befugt, andere zu bevormunden. Es nervte Lennerd nur noch. Er hatte verstanden, dass Viola ihren Sieg über den Verschlinger unzähliger Welten anzweifelte, doch langsam glaubte er, dass es mehr Wunschdenken als Vorsicht war. Viola und ihr Team jagten hinter jedem geflüsterten Gerücht her, das von der Rückkehr des Weltenfressers sprach. Doch alles, was Lennerd und die anderen je gefunden hatten, waren erstarrte Überreste, die wer weiß wie alt waren.

Bald war es nicht mehr zu ignorieren. Violas Ruhm verblasste mit jedem Tag, der sie von ihrem glorreichen Sieg davon trug, ein wenig mehr. Bis man ihre verbohrte Suche nach einem Beweis für die Rückkehr des Weltenfressers nur noch belächelte.

Das Hosen tragende Kaninchen verschränkte trotzig die pelzigen Arme vor der winzigen Brust und betrachtete den großen und für sich allein stehenden Drachen in der hintersten Ecke des silbernen Konferenzsaals. Hätte man es nicht gewusst, so hätte man ihn für einen muskulösen Echsenmenschen mit Flügeln gehalten. Kein Zweifel, das war Diego höchstpersönlich. Lennerd wusste nicht viel über ihn. Niemand wusste das. Der mürrische Drache blieb gern für sich. Besonders nachdem sein Mündel vor fünf Jahren spurlos auf der Suche nach ihrem Vater verschwunden war. Daher wertete Lennerd seine Anwesenheit mit einem misstrauischen Stirnrunzeln.

Ein stechender Schmerz machte sich in den Köpfen aller Anwesenden breit, bis auch das letzte Wesen begriff, wohin es seine Aufmerksamkeit zu richten hatte.
Es erfüllt mich mit größter Freude zu sehen, wie viele von euch erschienen sind, ertönte eine Stimme zeitgleich in allen Köpfen und in den unterschiedlichen Sprachen ihrer jeweiligen Herkunft. Während Gilligan plötzlich seelenruhig auf dem großen runden Tisch in der Mitte des Raumes stand, dessen silberne Oberfläche das eingravierte Symbol des Netzwerks zierte.

Ihr fragt euch sicher, warum ich euch alle gerufen habe.

Die graue Eminenz wartete einen Moment geduldig, obwohl er wusste, dass niemand seine Stimme erheben würde.

Ich versichere euch, wenn es nicht von allerhöchster Dringlichkeit wäre, hätte ich nicht nach euch schicken lassen. Er lächelte gewohnt freundlich. Aktuell sorgt offenbar eine Gruppe von Springern in einigen Menschenwelten für Unruhe. Wenn die Berichte stimmen, sind sie in der Lage nach Belieben die Welten zu wechseln, egal wie weit sie von ihrem derzeitigen Standort entfernt ist. Gestern sind sie noch im B-Sektor gesehen worden, heute befinden sie sich im Q-Sektor. Dieses sonderbare Sprungverhalten erschwert enorm die Ergreifung der Springer seitens der Grenzschützer und birgt zudem das Potential, eine Gefahr für die Sicherheit aller Welten zu sein.

Ein Raunen durchzog die fassungslose Menge.

Dampf rieselte in ruhigen Zügen aus den Nüstern des Drachen, als er seine Augen öffnete und bei den Worten der grauen Eminenz aufhorchte.

Gilligan pausierte, sah sich zwischen den versammelten Mitgliedern des Netzwerks um und verharrte für einen Moment, als sein Blick den des Drachen kreuzte.

Tales from Haven 2: VerlorenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt