Kapitel 7 (Magnus)

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Magnus erwachte an diesem Morgen nicht vom Hahnenkrähen. Es begann gerade erst zu dämmern, als das Rasseln der Schlüssel ihn aus dem traumlosen Schlaf riss. Müde richtete er sich auf und rieb sich das Gesicht. Ragnars Spuren waren mittlerweile abgeschwollen, nur ein großer Bluterguss auf Magnus' Wange zeugte noch von seinen Schlägen.

"Sara?" , murmelte er und streckte sich. Ein Gähnen entwich ihm. Das Bett quietschte, als er aufstand und zur Tür trottete. Sie war früh dran. Dennoch strich er sich ein paar Mal durch die fettigen Haare und wartete, dass sie herein kam.

Von der anderen Seite der Tür konnte er hören, wie die Wachen feixten. Sie schienen sich über irgendetwas zu amüsieren. Der junge Mann legte ein Ohr an das schwere Holz, um ihnen zu lauschen. Aber mehr als brummendes Gemurmel drang nicht zu ihm durch.

Einzig Saras Stimme konnte er nicht ausmachen. Aber wenn sie ihm kein Essen brachte, wieso hatte man dann seine Tür aufgeschlossen? Die Antwort auf diese Frage fiel ihm wie Schuppen von den Augen, als er schwere Schritte die Treppe hoch kommen hörte. 

"Nein, nein, nein ..." , betete er vor sich her und wich ängstlich von der Tür zurück. Er wünschte, es gäbe einen Ort, an dem er sich verstecken könnte. Eine Flucht vor dem, der sich anbahnte.

Der König riss die Tür auf. Er wartete nicht, bis sie hinter ihm wieder scheppernd ins Schloss fiel. Mit wütendem Blick kam er auf Magnus zu. Dieser konnte nicht mal mehr zur Wand zurück weichen, da hatte ihn der Ältere schon am Kragen gepackt.

Magnus' Kehle schnürte sich zu. Er spürte Ragnars heißen Atem auf seinem Gesicht, die großen Hände unweit von seinem Hals. Angst stieg in dem Jungen auf. Er wollte weg. So weit es nur ging. Stattdessen sah er voller Furcht in die dunklen Augen seines Gegenübers.

"Was hat er dir erzählt?" , raunte der Schwarzhaarige und knirschte aufgebracht mit den Zähnen.

Magnus verstand nicht. "Wer?" , brachte er leise und stotternd hervor. Seine Stimme zitterte.

Der Griff um seinen Kragen wurde fester. "Arian! Was hat er dir gesagt?"

"Er hat mir gar nichts gesagt." 

"War er hier?"

"Nein. Bitte." In Magnus' Augen sammelten sich Tränen. Er atmete kaum. Jede Sekunde wartete er darauf, dass er ihn wieder schlagen würde. Bei jedem von Ragnars ausgespienen Worten zuckten seine Lider.

"Und Thorin?"

Sein Herz zog sich zusammen. Woher wusste er von Thorin? Wer hätte ihm davon erzählen können? Wieder machte sich Angst breit. Wo war Sara? Wenn er es herausgefunden hatte..

"Antworte mir!" , brüllte der Ältere ihm entgegen. Der Blonde kniff die Augen zusammen.

"Ich weiß nichts von Thorin. Gar nichts." Seine Worte klangen weinerlich. Er konnte nur hoffen, dass er ihm glaubte. Doch wenn er es schon wusste, konnte den Jungen das Lügen auch nicht mehr retten.

Ragnars Augen verengten sich zu Schlitzen und sahen ihn durchdringend an. Es schien, als würde jedes Geräusch verstummen. Die Vögel draußen hörten auf zu singen, der Wind hielt inne, die Wachen vor der Tür schwiegen still. Allein Magnus' schneller Atem war zu hören.

"Wenn du mich anlügst ..."

"Ich lüge nicht." 

Des Königs Blick schien ihn durchbohren zu wollen. Stunden der Stille vergingen, in denen er sich nicht traute, auch nur Luft zu holen. Schließlich lockerte sich der Griff.  Wie aus einem Reflex stolperte der junge Mann zurück und brachte so viel Abstand zwischen sich und seinen Peiniger, wie er nur konnte.

Aber Ragnar machte diesen sofort wieder zunichte, denn er schritt unheilvoll auf ihn zu. In seinem Rücken spürte Magnus die kalte Wand. Er wollte seine Schwäche nicht eingestehen, doch ihm liefen wider Willens heiße Tränen über die Wange. Wie sehr sehnte er sich in diesen Momenten nach seinem Zuhause, seiner Familie, seiner Mutter, die ihm beruhigend durch das helle Haar strich und ein Schlaflied sang. 

Die groben Hände des Hünen stützten sich neben Magnus' Kopf an den Stein. Wieder war sein Gesicht nah an seinem. "Wenn ich herausfinde, dass du mich anlügst, wirst du dich zu diesem Turm zurück sehnen." Weitere Tränen tropften von dem Kinn des Jungen auf den Boden. 

"Niemand wird dich retten. Niemand. Hast du mich verstanden?" 

Ergeben schloss der Blonde die Augen und nickte. Wann würde der König endlich gehen?

"Sieh mich gefälligst an!" Grob packte er ihn am Kinn. Glasige grüne Augen sahen zu ihm hoch. "Dein Leben wird da unten im Dreck enden. Und es gibt keinen Mann, der das verhindern kann. Nicht Thorin, nicht Arian oder sonst jemand."

Er verfluchte sich innerlich dafür, doch Magnus weinte. Ein Schluchzen voller Angst drang aus seiner Kehle. Ragnars hartem Blick mochte er nicht standzuhalten. Eine kalte Hand hatte sein Herz umschlossen und zerdrückte jede Hoffnung, die er noch am Abend zuvor gefühlt hatte.

"Bitte ..." , sagte er mit zitterndem Kiefer. Die salzigen Tränen brannten auf seiner Haut. "Bitte töte mich einfach." Der König ließ ihn los und Magnus sank zu Boden. Wie das Kind, als dass er sich fühlte, kauerte er sich an der Wand zusammen, geschüttelt von jedem neuen Schluchzen. 

Er spürte den verachtenden Blick des Älteren, doch es war ihm gleich. Mit rotgeweinten Augen sah er zu ihm hoch. "Wenn ich mich selbst töte, verstößt du doch nicht gegen das Gesetz. Gib' mir irgendwas. Bitte." Wieder wurde er von Tränen übermannt. "Ich will hier nicht mehr sein."

Ragnar hatte die Arme vor der breiten Brust verschränkt. Seine Miene ließ keine Emotionen erkennen. Kein Mitleid, keine Schadenfreude, nur Ausdruckslosigkeit. Schweigend sah er auf ihn herab.

"Warum tust du mir das an?" Beinahe flüsternd drangen die Worte über die Lippen des Jungen. Sein Gegenüber blieb still, die Augen regungslos. "Wieso sagst du nichts?" Er fühlte sich noch hilfloser als sonst. Es schien ihm, als würde er gegen eine Mauer reden. Nur seine eigene Stimme hallte immer wieder zu ihm zurück. Erfüllt von Verzweiflung schloss er die Augen und ließ den Kopf auf seine knochigen Knie fallen.

"Menschen fürchten Monster."

Mit diesen Worten ließ Ragnar ihn zurück und verließ sein Gefängnis. Eine Weile saß Magnus nur dort auf dem kalten Boden, während still Tränen über sein Gesicht liefen. Die ersten schwachen Sonnenstrahlen drangen nach und nach in das dunkle Zimmer. 

Er starrte noch immer auf die Dielen, als draußen die Trommeln geschlagen wurden. Antriebslos zog er sich auf die nackten Füße und sah aus dem vergitterten Fenster. Im Hof hatte man einen Richtblock aufgestellt. Darum ringten sich Hofstaat und Diener gleichermaßen. Automatisch hielt er nach Sara Ausschau. Er fürchtete schon, sie nicht zu entdecken, doch dann fand er sie, am Rande des Hofes, beinahe verdeckt von den langen Schatten, die die Mittagssonne warf.

Und er sah seine Schwester. Ihre langen Haare glänzten im Licht. Sie stand neben Ragnar, der, sein Langschwert in der Hand, auf einen Gefangenen blickte, der so eben auf den Hof gezerrt wurde. Es brauchte kaum eine Sekunde, bis Magnus Arian erkannte. Er hatte also seinen König verraten. Doch wofür? Für Thorin? Hatte er womöglich mit seiner Nachricht zu tun?

Der junge Mann hörte, wie erneut die Trommeln erklangen, während zwei Wachen den einstigen königlichen Berater auf die Knie zwangen. Wie sehr sehnte sich Magnus danach, derjenige zu sein, der dem Tod begegnen würde. 

Und doch zog sich seine Brust zusammen, als Ragnar mit langen Schritten auf Arian zuging. Die Sonne spiegelte sich im Stahl, als er das Schwert hob. Magnus hielt den Atem ab. In Gedanken betete er für Arians Seele. Wie in Zeitlupe schien die Klinge niederzufallen, auf den Hals des Verurteilten.  

Doch bevor das frische Blut den Boden tränkte, spürte er einen Schlag. Vor seinen Augen wurde es schwarz.

Magnus - Der Sohn des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt