Kapitel 22 (Magnus)

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Als sie zurück kehrten, lag Lille Fjellet schon im Dunkeln. Die letzten Sonnenstrahlen krallten sich noch verzweifelt an die steinige Erde, doch der Einzug der Nacht war nicht aufzuhalten. Die ersten Sterne erwachten bereits am dunklen Himmelszelt. Der Junge fröstelte ein wenig, denn mit der Sonne war auch die Wärme des Frühlings verschwunden. Seine dünne Jacke mochte ihn kaum warmzuhalten.

Sie übergaben die schnaufenden Pferde dem Stalljungen und betraten das Schloss. Ihm schlug der Geruch von Zwiebeln entgegen, einige Diener brachten dreckiges Geschirr mit Resten des Abendessens zurück in die Küche. Eine junge, schwarzhaarige Frau zündete Kerzen auf den dunkler werdenden Fluren an und tauchte so das sonst leblos wirkende Gemäuer in warmes Licht. 

Magnus hatte schon gegessen. Arne hatte ihm in Etrat ein noch warmes Handbrot gekauft, das mit köstlichem geschmolzenen Käse und kleinen Schinkenstücken gefüllt gewesen war. An einem Trinkbrunnen am Rande der Stadt hatte er anschließend seinen Durst gestillt. Ihm war glücklicherweise nicht mehr so schlecht, wie am Tag zuvor, obwohl er heute zwei volle Mahlzeiten zu sich genommen hatte. Der Königssohn fühlte sich auch langsam nicht mehr so müde, sein tauber Geist begann allmählich zu erwachen und lernte wieder, was 'leben' bedeutete. Kein Dahinsiechen im dunklen Zimmer, wo der Alltag nur daraus bestand, aus dem Fenster zu sehen und vielleicht eine karge Mahlzeit in sich hinein zu stopfen. Nein. Nie wieder.

"Willst du noch was essen?" , fragte Arne von der Seite. Er hatte selbst auch eines dieser Brote gegessen, nur war seines mit Pilzen und Schweinefleisch gefüllt gewesen. Der Blonde schüttelte den Kopf. "Bin noch voll." Wie so oft nickte sein Beschützer nur als Antwort und ging die Vorhalle entlang, an dessen Ende der Thronsaal lag. Bevor sie den Rückweg angetreten waren, hatte er Magnus gesagt, dass der König noch mit ihm reden wollte. Jetzt, wo er nur wenige Schritte entfernt war, überkam ihn auch allmählich die altbekannte Nervosität. Worüber wollte Artur nur mit ihm reden? Und würde Thorin dabei sein? Dem Prinzen wurde mulmig, allein beim Gedanken daran.

Er wartete, dass Arne die Türen der Halle aufstieß und schaute kurz verwirrt drein, als dieser stattdessen den Weg nach rechts einschlug. "Ich dachte, wir ... " Unschlüssig blickte er zwischen dem Braunhaarigen und dem Thronsaal hin und her. "Wir gehen zu seinem Arbeitszimmer. Um die Zeit ist er nicht mehr im Saal." Der Junge nickte leicht und lief ihm, mit schnellen Schritten,  nach, um wieder zu ihm aufzuschließen. 

Diesen Flügel der Burg hatte er bisher nicht betreten. Wie in seiner ersten Nacht, brannten wieder kaum Kerzen auf den Fluren, doch es gab hier mehr Fenster, die schwaches, weißes Mondlicht hereinließen. Jemand musste gerade gegessen haben, denn, wie in der Vorhalle hinter ihnen, roch es auch hier stark nach Zwiebeln.

Arne schwieg, deutete immer nur mit einem unscheinbaren Nicken an, wann sie in einen weiteren Flur einbogen und immer tiefer im Labyrinth aus Stein verschwanden. Sie mussten zwei Treppen hinaufsteigen, um zu den Gemächern des Königs zu gelangen. Mit einem Schlag änderte sich das Innere des Schlosses hier seine Farbe. Statt den warmen Brauntönen und schummrigem Licht, waren die Wände aus weißem Marmor. Kerzenhalter aus Silber verscheuchten die Dunkelheit und die tänzelnden Flammen spiegelten sich in ihnen.

An jeder Seite hingen Portraits von schönen, jungen Frauen, etwas weniger als ein Dutzend, schätzte der Königssohn. Die, die ihm am nächsten war, hatte langes, schwarzes Haar und ebenso dunkle Augen, die ausdruckslos ins Leere starrten. Um den Hals trug sie eine schwer aussehende, goldene Kette, in die ein funkelnder Rubin eingefasst war."Arne?" Magnus war stehen geblieben, um das Gemälde zu betrachten und nun bemerkte auch der Ältere dessen Zurückbleiben. "Ja?" Er sah fragend zum Prinzen herab, dieser hatte jedoch nur Augen für das Bild. "Wer ist das?" 

"Meine Schwester." Erschrocken von Arturs Erscheinen sah Magnus auf. Der hatte seine Silberkrone abgelegt, seine hellen Haare hingen offen über seine Schultern und fielen auf den langen, dunkelblauen Morgenmantel, den er nun trug. Arne verbeugte sich wortlos und der Prinz tat es ihm gleich. Artur hob einhaltend die Hand.  "Nicht doch."

Magnus - Der Sohn des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt