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2005

Meine Hände zitterten und mir war kalt. Mir war so verdammt kalt. Erschöpft wischte ich mir die Reste meines Erbrochenen vom Kinn und beschloss nie wieder Alkohol zu trinken. Ein Vorsatz, den ich spätestens nächstes Wochenende wieder brechen würde, das wusste ich. Trotzdem. Immer noch ein wenig schwindelig stieß ich mich von der Ziegelsteinauer ab und versuchte die letzten Stunden zu ordnen. Da war Tequila. Eigentlich viel zu viel Tequila für einen Dienstagabend und eine kleine, schäbige Bar die nicht viel darauf gab ob man volljährig war oder nicht. Irgendwann, vielleicht nach dem 9. oder 10. Kurzen, verschwamm meine Erinnerung zu seiner grauen, trostlosen Masse und das Nächste was ich wieder bewusst wahrnahm war mein Mittagessen auf dem Bürgersteig. Schöne Scheiße.

In dem schwachen Licht der Straßenlaternen bemerkte ich erst nach mehreren Minuten das Blut an meinen Händen. Die aufgesprungenen Fingerknöchel und die roten Sprenkel auf meinem Shirt. Das Pochen meiner Nase oder das Blut, das immer noch langsam mein Kinn hinab rann, waren nur ein leises Flüstern im Hintergrund verglichen zu dem Druck unter meiner Schädeldecke an dem der Alkohol Schuld war. Weichei, hallte es in meinem Kopf und ich fuhr mir frustriert durch die Haare, verteilte dabei nur noch mehr Blut und Galle. Ich ekelte mich vor mir selbst, wurde mir schlagartig bewusst. Du musst hier weg, sagte mir eine Stimme und im ersten Moment realisierte ich nicht warum ich nicht einfach hier bleiben und mich verkriechen konnte, bis der Alkohol meinen Organismus verlassen hatte. Dann hörte ich sie - Polizeisirenen. Ich konnte nicht sagen, ob es fünf oder fünfzig Streifenwagen waren, aber mit jeder Wiederholung hallten sie lauter in meinem Kopf wider, sodass ich das Gefühl hatte, als müsste mein Schädel explodieren. Und plötzlich hatte ich Angst. Sie überrollte mich so unerwartet, dass ich verzweifelt nach Luft schnappte. Die werden dich einsperren, realisierte ich schlagartig, als ich mir die schweißnassen, blutigen Hände an meiner Jeans abwischte.

Mühsam kämpfte ich mich auf die Beine und lief an der Hauswand entlang, weg von dem Lichtkegel der Straßenlaterne. Die Sirenen der Polizei klingelten mit jeder Sekunde lauter in meinen Ohren. Die Panik schnürte mir die Kehle zu und ich hatte den Drang mich erneut zu übergeben. Mit klopfendem Herzen erreichte ich das Ende der Hauswand von der aus das Rathaus in den Stadtpark mündete und ich fühlte mich für einen kurzen Moment in Sicherheit. Die Galle brannte in meiner Kehle, während ich mich immer wieder daran erinnerte nicht stehen zu bleiben. Lauf weiter, verdammt. Der Schotter knirschte unter meinen Schuhen. Alle paar Meter warf ich einen Blick zurück über meine Schulter in die Richtung aus der immer noch das schrille Kreischen der Polizeisirenen ertönte. Schritt, Schritt, Schritt - umdrehen. Schritt, Schritt, Schritt - umdrehen. In der Ferne konnte ich schon erkennen, wie die Blaulichter groteske Muster auf die Hauswände projizierten. Schritt, Schritt, Schritt - umdrehen. Ich war mir sicher, am Rand des Stadtparks mehrere Personen zu sehen. Ich wurde schneller. Schritt, Schritt, Schritt - umdrehen. Die Personen waren weg, aber ich war mir sicher immer noch ihre Stimmen hören zu können. Ich rannte beinahe schon durch den nächtlichen Park. Mein Herz setzte einen Schlag aus, als plötzlich lautstark ein Hund zu bellen begann. Ich wusste nicht was ich tun sollte. Sollte ich wegrennen? Meine Beine quittierten ihren Dienst, als ich wie angewurzelt stehen blieb.

„Junger Mann", rief mir die Passantin entgegen, deren Hund immer noch lautstark vor sich hin bellte. Zwischen all den Bäumen und bei der kaum vorhandenen Beleuchtung brauchte ich ein paar Sekunden, ehe ich ihre Anwesenheit vollkommen realisiert hatte. „Ist alles in Ordnung bei Ihnen?", fragte sie besorgt, während sie langsam näher kam. Wie erstarrt stand ich mitten auf dem kleinen Schotterweg.

„Ja, alles okay", presste ich angestrengt hervor und versuchte ihr ein beruhigendes Lächeln zu schenken. Vergebens.

„Um Gottes Willen, Sie bluten ja", stieß sie erschrocken hervor, kaum, dass wir uns gegenseitig im schwachen Licht der Straßenlaternen erkennen konnten. Mir blieben die Worte im Hals stecken, als die Polizeisirenen so laut waren, dass ich mir sicher war sie müssten in wenigen Augenblicken da sein. Hektisch sah ich mich um. Der Lärm dröhnte in meinem Kopf, sodass ich nicht sagen konnte aus welcher Richtung er kam.

„Was gucken Sie denn immer so?", fragte die fremde Hundebesitzerin verwirrt und verunsichert. Wahrscheinlich hielt sich mich für einen Kriminellen, ich würde es ihr nicht verübeln. „Hier ist doch gar nichts", stellte die Fremde fest und kaum, dass sie Worte ihren Mund verlassen hatten sah ich mich um, hörte mich um. Stille. Dunkelheit. Nichts. Die Erkenntnis traf mich wortwörtlich wie ein Schlag in die Magengrube und schaffte es gerade so hinter die nächste Parkbank, um mich nicht auf die Schuhe der armen Frau zu übergeben.

„Oh je, oh je. Ich ruf Ihnen lieber mal einen Krankenwagen", beschloss die Spaziergängerin, nachdem ich verzweifelt auf der Parkbank zusammengesunken war. Schwer atmend stützte ich den Kopf in meine Hände und lauschte der Umgebung in der Nichts außer dem leisen Winseln des Hundes zu hören war.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 20, 2016 ⏰

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