Angst

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Ju:
Ich habe Rezo die Unbehaglichkeit angesehen und vorgeschlagen schlafen zu gehen, auch wenn ich ihn verdammt gerne nochmal singen gehört hätte.Irgendwie sehe ich ihn nun mit etwas anderen Augen. Vielleicht ist es die Leidenschaft zur Musik, die diese Verbindung zwischen uns knüpft?Die Jungs und ich hören größtenteils Deutschrap - sie wissen nicht, dass ich zu Hause noch immer zwischendurch am Klavier spiele. Es erfüllt mich einfach und diesen Teil meiner Selbst habe ich nie aufgegeben. Ich zeige es nur niemanden. Lange genug wurde ich gemobbt, weil ich stundenlang Violinenunterricht zu Hause hatte und keine Zeit für Partys oder abhängen mit anderen.


Aber ich habe gelernt mich anzupassen, um nicht so zu enden wie Rezo.Wir gehen schweigend zu unserem Zimmer und er verschwindet direkt im Bad, um sich fertig zu machen.Ich ziehe mich derweil um und leg mich aufs Bett um noch etwas Zeit am Handy zu verbringen. Schlafen kann ich sowieso noch nicht.Rezo kommt wieder ins Zimmer und einen Moment wundere ich mich, dass er im Pullover schläft. Vielleicht, weil wir ihn nicht nur einmal aufgrund seines Aussehens gemobbt haben? Im Nachhinein ist es mir unangenehm, dass ich mich nicht davon distanziert habe.Obwohl auf meinem Handy Tik Tok läuft, höre ich nur das eine Lied in meinem Kopf. Die Klänge der Gitarre gepaart mit der Stimme von Rezo. Mein Blick wandert zu ihm, wie er versucht, es sich auf dem Boden bequem zu machen.Wir hätten Freunde sein können. Bevor ich mich entschlossen habe mein Leben zu ändern, um zu den Coolen zu gehören.


Ich seufze.»Rezo«, beginne ich und er sieht mich direkt mit angespannter Mine an. »Komm her, das Bett ist groß genug.«Ich will irgendwie nicht, dass er da unten auf dem Boden schläft. Egal, was die anderen sagen.»Meinst ... du das ernst?«, fragt er vorsichtig. Allein sein Blick lässt Schuldgefühle in mir aufkommen. Als hätten wir ihn ... gebrochen?Aufmunternd klopfe ich auf die Matratze neben mir. »Klar. Sags nur nicht weiter.«Also schnappt er seine Sachen und legt sich auf die Matratze neben mir. Wir reden nicht weiter miteinander, ich schreibe meiner Mum, dass der erste Tag gut gelaufen ist und es mir gut geht, dann spiele ich noch einige Zeit das eine oder andere Handygame.


Irgendwann werde ich dann doch müde und lege das Handy beiseite. Rezo schläft bereits, jedoch sehr unruhig.»Ich will das nicht mehr«, nuschelt er schlafend ins Kissen und wälzt sich herum. »Bitte ... lasst mich ...«Je mehr Facetten ich von ihm kennenlerne, je mehr tut mir alles Leid, was die letzten Jahre passiert ist.Gerade als ich mich in mein Kissen kuschel, schnappt mein Bettnachbar nach Luft. Ich schrecke auf, erstickt er gerade?Rezo wird wach und greift sich an den Hals und versucht Luft zu holen.Was passiert hier? Er kann sich an nichts verschluckt haben, er hat doch geschlafen!Schweiß steht ihm auf der Stirn und sein Blick wirkt abwesend aber dennoch voller Panik. Hyperventiliert er gerade?»Rezo?«, versuche ich ihn anzusprechen, doch er nimmt mich gar nicht wahr.



Rezo:Es passiert schon wieder.Ich wache auf, mir tut die Brust weh und die Luft bleibt mir weg. Blanke Panik erfüllt meinen Körper. Ich habe das Gefühl sterben zu müssen.Während das Adrenalin durch meine Adern pumpt, versuche ich verzweifelt Luft zu bekommen.Es fühlt sich an, als ob mich jemand erwürgt, die Luft kommt einfach nicht in meinen Lungen an.Irgendwas passiert hier, irgendwas schlimmes.»Rezo«, vernehme ich Juliens Stimme, wie durch einen dichten Nebel. »Langsam atmen, es ist alles gut.«Als ich seine Hand an meinem Arm spüre, verschwindet der Nebel und ich höre ihn klar und deutlich.»Komm schon, langsam einatmen, dann ausatmen - so wie ich«, sagt er und atmet laut ein und wieder aus. Ich versuche es ihm nachzumachen, doch die Angst und das eiskalte Gefühl, welches meine Wirbelsäule hochklettert, vergeht nicht.


Ich versuche es weiter mit Jus ermutigenden Worten. Ich spüre nach und nach, wie der Sauerstoff meine Lungen erreicht und sie füllt.Mir wird langsam klar, dass das nur wieder eine Panikattacke ist und kann mich etwas beruhigen. Sobald ich mich wieder bewegen kann und die Kontrolle über meinen Körper zurück habe springe ich auf und flüchte ins Bad.Warum musste es gerade jetzt auf der Klassenfahrt wieder passieren? Warum vor Ju?


Beschämt schaue ich in den Spiegel - und erschrecke vor mir selbst. Ich sehe furchtbar aus. Blasse Haut und tiefe Augenringe bestätigen, wie schlecht es mir gerade geht.Ich spritze mir kaltes Wasser ins Gesicht und wasche mir den kalten Schweiß von der Haut.Die aufkommenden Tränen lassen sich nicht einfach wegwaschen. Ich hätte nicht mitkommen sollen. Jetzt wird jeder von meinen Panikattacken erfahren, was mich noch angreifbarer macht. Völlig fertig mit den Nerven tropft die erste Träne auf den Waschbeckenrand.Leise klopft es an der Tür.


»Hey ... ist alles okay?«, höre ich Ju mit mitfühlender Stimme. Ist das nur gespielt, um mich aus der Reserve zu locken?Einen Moment bleibe ich still, bis es wieder klopft.»Ja ... alles okay«, sage ich dann mit versucht klarer Stimme. Ich hoffe, er hört das Zittern darin nicht.»War das eine Panikattacke?«, fragt er auf der anderen Seite der Tür. Ich höre, wie er sich dagegen lehnt.»Mhh. ja«, gebe ich leise zurück und trockne mein Gesicht ab. Wie soll ich ihm jetzt unter die Augen treten?Ich werde doch eh schon als Schwächling angesehen.Einige Sekunden halte ich die Hand über die Klinke, ohne sie zu öffnen. Dann nehme ich meinen Mut zusammen und öffne die Tür.Juliens Blick zeigt tatsächlich Mitgefühl.


»Tschuldigung«, sage ich. »Ich wollte dir nicht den Schlaf rauben.«»Was?« Julien wirkt ernsthaft überrascht. Dann schüttelt er den Kopf, kommt mir einen Schritt näher und umarmt mich.Völlig perplex erstarre ich unter der Berührung. Ich hasse körperliche Nähe, es ist unangenehm ... doch irgendwie fühlt es sich dieses Mal anders an. Seine Wärme wirkt beruhigend auf mich, ganz anders als erwartet. Langsam entspanne ich mich ein wenig, als mein Körper merkt, dass jetzt nichts passiert.»Das tut mir echt leid, Rezo«, murmelt Ju an meiner Schulter. Sein Atem an meiner Halsbeuge löst direkt eine Gänsehaut aus. »Hast du das öfter?«, fragt er dann hinterher.Ich sortiere die Wörter in meinem verwirrten Kopf. Diese Umarmung bringt mich völlig aus der Fassung. Doch es fühlt sich irgendwie so gut an.


»Hin und wieder«, meine ich und spüre seine warmen Hände auf meinem Rücken.»Das muss schlimm für dich sein«, sagt er dann und löst die Umarmung - meiner Meinung nach viel zu früh.Ich weiß gar nicht was ich sagen soll. Mein Kopf schreit, dass das nur ein böser Spaß ist, den er da treibt aber mein Herz sagt mir, er ist aufrichtig.Ich habe das Gefühl ihm nicht länger ins Gesicht sehen zu können und schaue zu Boden.Er dreht sich zum Bett um und legt sich wieder hin.Weil ich nicht weiß, was ich darauf sagen soll, gehe ich auch zum Bett und lege mich wortlos schlafen.

Another Love - Liebe auf Klassenfahrt (Juzo)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt