Am See

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Ju:

Ich kann lange nicht schlafen. Meine Gedanken kreisen um Rezo. Noch nie in meinem Leben habe ich solche Schuldgefühle gehabt.
Wir sind schuld daran, dass er das alles erleiden muss. Ich habe ihm nie eine Chance gegeben, sondern einfach hingenommen, dass er das Opfer der Klasse ist und mitgemacht.
Das war falsch, das weiß ich jetzt. Und auch wenn wir nicht viel miteinander geredet haben mag ich ihn inzwischen irgendwie.
Mit diesem Gedanken schlafe ich schließlich ein.


Am nächsten Morgen werden wir durch ein Klopfen an der Tür geweckt.»Aufstehen, um 7 Uhr ist Frühstück« ruft unser Lehrer und geht weiter.
Ich strecke mich ausgiebig, obwohl ich am Liebsten weiterschlafen würde.
Rezo steht direkt auf und legt sein Bettzeug zurück auf den Boden, um den Schein zu wahren, während ich noch damit beschäftigt bin, meine Beine auf den Boden zu setzen.
Schließlich gehen wir gemeinsam zum Frühstücksraum, wo meine Kumpels mir schon winken.
Ich setze mich zu ihnen und sehe aus dem Augenwinkel, dass Rezo sich alleine an einen Tisch setzt und vollkommen verloren wirkt.


»Und, wie war die Nacht?«, fragt Bao und nickt mit dem Kopf zu Rezo hinüber.
Hat er gesehen, wie ich zu Rezo geschaut habe?
»Gut«, antworte ich schnell und beiße von meinem Croissant ab.
»Was, hat sich der Schlumpf nicht an dich rangemacht?«, fragt Joon mit gespielter Empörung und lacht. Die anderen steigen ins Lachen mit ein.
»Der hat doch bestimmt auf deinen Anblick gewichst, Digga.«
Sie lachen lauter und ich spüre Rezos Blick auf mir. Ich schlucke. Mir ist unangenehm, dass er das hören könnte.
»Er ist gar nicht so übel«, verteidige ich ihn mit gedämpfter Stimme. »Und nein es ist nichts passiert.«
Rewi prustet los und verschluckt sich an seinem Croissant. ›Geschieht dir Recht‹, denke ich mir nur.
»Nicht übel? Hat die Schwuchtel dich schon angesteckt?«, feixt Rewi zwischen zwei Hustern.
»Fick dich Rewi«, gebe ich nur zurück und esse weiter. Zu meinem Glück lassen sie es darauf beruhen und essen ebenfalls.
Überall ertönt das Klimpern von Besteck, der einzige, der nichts isst, ist Rezo, wie ich bemerke. Er starrt stumm auf die Tischplatte und scheint total in Gedanken versunken.


Rezo:

Nach dem Frühstück wird uns verkündet, dass wir an einen See gehen. Mir graut es jetzt schon davor.Während alle ihre Schwimmsachen packen, nehme ich bloß mein Handy und Kopfhörer mit. Die Blöße, mich auszuziehen gebe ich mir nicht.Im Zimmer treffe ich auf Ju, der gerade sein Handtuch einpackt. Nachdem, was im Essensraum passiert ist, ist es mir unangenehm, nur im selben Raum wie er zu sein. Ich habe jedes Wort gehört und den Rest der Zeit damit gekämpft, nicht wie ein Weichei in Tränen auszubrechen. Was ist so schlimm daran, bi zu sein? Warum ist das ein Grund, mich so fertig zu machen? Ich versteh es nicht, frage aber auch nicht nach. Wir reden nicht darüber, sondern nehmen nur unsere Sachen und gehen zum Versammlungspunkt.


Am See suche ich mir ein ruhiges Plätzchen unter einem Baum mit Blick auf die anderen und das Wasser. Mit Musik auf den Ohren beobachte ich meine Klasse, doch immer wieder fällt mein Blick auf Julien. Ich muss zugeben, dass ich ein leichtes Kribbeln im Bauch nicht leugnen kann, als er sich auszieht und mit den anderen ins Wasser geht. Was mich noch schlechter fühlen lässt. Ich muss schließlich noch 6 Tage mit ihm verbringen. Auf keinen Fall dürfen sich da irgendwelche Gefühle anbahnen, die nächsten Monate werden so schon schwer genug.


Ich setze mir die Kopfhörer auf und mache mir Musik an. Sofort kann ich mich mehr entspannen. Ich beobachte die anderen beim Schwimmen, reden und Spaß haben. Mir reicht meine Ruhe. Nach einer Weile fühle ich, wie sich meine Magengegend unangenehm verhärtet, der Grund dafür ist vor mir im Wasser.
Ju, der sich mit einem Mädel aus der Klasse eine Wasserschlacht liefert. Sein Lachen lässt mein Herz etwas schneller schlagen als es sollte. Dass dieses Lachen ihr gilt, stößt mir bitter auf. Warum? Weil er einen Abend mal nett war?
Ich bin verrückt, das ist alles. Ich bilde mir auf eine kleine Nettigkeit zu viel ein. Dennoch kann ich nichts gegen den Gedanken tun, dass ich jetzt lieber an ihrer Stelle wäre.
Ich bin so vertieft, dass ich sie nicht kommen höre.
Mit einem Mal werden mir die Kopfhörer vom Kopf gerissen.
Rewis Lachen dringt in meine Ohren.


»Ey Schwuchtel, bist etwa am Spannen?«, fragt er lachend. Ich antworte nicht darauf, stehe nur auf und drehe mich zu ihn um.
»Gib mir die Kopfhörer«, sag ich und strecke die Hand danach aus. Er gibt sie Joon und tritt näher an mich heran.
»Du hast hier nix zu verlangen, Köter« Diesmal klingt seine Stimme bedrohlich ernst. »Halt dich von Julien fern, der versaust ihn nur«
»Du denkst doch nicht wirklich ihr könntet Freunde werden«, feixt Bao.
»Ach der Schlumpf will sich doch nur in den Arsch ficken lassen«, lacht Joon.
Mein Herz rast und ich höre den Puls in meinen Ohren rauschen. Warum tun sie mir das an?


»Du gehörst hier nicht her«, meint Rewi leise. »An deiner Stelle würde ich mich direkt ertränken.«
»Wir können dir dabei helfen«, grinst Joon.
»Lasst mich einfach in Ruhe, ich hab euch doch nichts getan«, sage ich lauter als beabsichtigt. Bao schaut kurz zu unserem Lehrer hinüber, der aber gerade mit zwei Schülern redet und nichts mitbekommt.
»Deine Anwesenheit kotzt mich an«, knurrt Rewi und schubst mich so hart, dass ich das Gleichgewicht verliere und - schon wieder - hinfalle.
Als würde das nicht reichen, tritt er nochmal nach und trifft mich schmerzhaft an den Rippen. Ich keuche vor Schmerz.
Noch 2 Tage, Rezo. Die schaffst du.
»Wage es nicht, Herrn Krämer etwas zu sagen«, droht Bao, während Joon meine Kopfhörer mit einem Ruck zerbricht und mich damit bewirft.
»Kommt, lasst uns nen Eis holen«, sagt Rewi und die Drei verschwinden - lassen mich am Boden liegen zurück.

Another Love - Liebe auf Klassenfahrt (Juzo)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt