Kapitel 1

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                                                                                        Emilia 

Es kostete mich Überwindung , mich aus dem warmen Sitz des Buses zu heben nur um dann nach einer Stunde Busfahrt in den ekligen Nieselregen raus zugehen . Ich muss zwar nur etwa fünf Minuten laufen , aber selbst dass möchte ich meiner Nase und meinen Fingern nicht bei einem grad antun ! Es ist schon lange her , seitdem ich meine Familie das letzte mal besucht habe . Ich glaube es war im Oktober . Oder doch im November ? ... Egal , lange her jedenfalls . Ich vermisse meine große Schwester Florence . Wir sind uns sehr nah seitdem unsere Mutter  1 jahr zuvor bei einem Unfall ums Leben kam . Der Nieselregen fällt in meinen Nacken und ich bekomme eine Gänsehaut. Ich hasse den regen . nasse Strähnen meiner blonden haare kleben an meinen Wangen , die mittlerweile bestimmt schon ganz rot von dem rennen und der kälte sind . ich bin mehr als froh , als ich endlich ein Schild mit dem Namen der Straße sehe , in der meine Familie wohnt . meine große Schwester studiert nicht . sie ist Künstlerin und hat ihr eigenes Straßen Caffè , das zur zeit sehr angesagt ist . als ich das haus sehen , beschleunige ich mein tempo . meine Finger kribbeln vor kälte und meine Nase spüre ich schon lange nicht mehr . ein Haufen Erinnerungen schwirren in meinem Kopf umher als ich das dunkelgrün gestrichene Gartentor öffne . es hat sich nicht verändert , aber wie hätte Papa das auch tun können ? Florence , Mama und ich haben es zusammen gestrichen als sie noch am leben war . ich laufe den kieselsteinweg bis zu den zwei Treppenstufen , die zum alten Backstein haus führen . die große Tür ist ebenfalls in einem dunklem grün gestrichen . ich hebe die Hand und drücke anschließend die Klingel die in Goldschrift mit dem Namen ,, Wilson" geziert wird . ich trete einen Schritt zurück und als ich in das Gesicht von Florence blicke ,die mir nun die Tür aufmacht , wird mir mit einem Schlag klar wie sehr ich sie brauche. mir treten sofort die tränen in die Augen , und als sie mir ohne ein Wort schluchzend in die arme fällt beginne ich zu zittern , und mir fällt nichts schöneres ein , als ihn ihren armen zu liegen . als sie mich wieder loslässt sehe ich das helle , strahlende Gesicht , das ich kenne und liebe . ,, ich bin so froh dich endlich wieder zu sehen !" Sie strahlt und wie gesagt, ich liebe es . ,, ich freue mich auch !Und ich hab dich vermisst ! Ich hab dich so sehr vermisst !!! " wir umarmen uns nochmal , sagen uns wieder wie sehr wir uns vermisst haben und umarmen uns wieder , bis wir merken , dass es immer noch Februar ist , und daher sehr kalt . als ich das haus betrete wird mir warm , und ich kann mir gar nicht mehr vorstellen , wie es ist hier zu leben. Es kommt mir zu gut vor. Zu fremd . Zu weit weg von all dem was jetzt ist . Ich lege meinen voll mit Wasser gesaugten Mantel ab , und tausche meine Winterstiefel gegen meine Schlappen die ich noch dort habe , und Mütze und Schal kommen in das regal . Florence steht im Flur vor mir und schaut mich aufgeregt und stolz zugleich an . meinen Vater hab ich wiegesagt im November das letzte mal gesehen , aber Florence seit  vorletztem Weihnachten  nicht mehr . Sie war in Spanien ,  weil ihr damaliger Freund dort ein Studium hatte .Sie ist auch erst vor zwei Monaten zurück nach England gekommen . Wir gehen ins Wohnzimmer und mir springt als aller erstes der Große , Olivgrüne Ohrensessel ins Auge , in dem ich früher immer gelesen habe , und als ich noch ganz klein war , las mir Mama dort vor . Bilder aus meiner und Florences Kindheit , und aus der zeit , in der Mama und Papa sich kennengelernt haben hängen an der Grün gestrichenen Wand . Grün war Mamas Lieblingsfarbe , und als wir hier eingezogen sind , hatten wir keine andere Wahl , als uns mit den dunklen Grüntönen zufrieden zu geben . Ich hatte sowieso nichts dagegen , aber Florence protestierte immer wieder , dass ein altrosa als Kontrast zu den anderen grünen Möbeln viel besser passen würde als noch eine grüne Wand . Mir fällt aber auch auf , dass wir ein neues Sofa haben , das 100 mal gemütlicher aussieht als unser altes . Ich schaue zu Florence rüber , die mich fragend mustert . ,, Ja , es gefällt mir ! " sage ich lächelnd , weil ich genau weis , dass sie angst hat , ich würde diese ,,Veränderung" nicht mögen . sie lacht und wir setzten uns gemeinsam auf das neue Sofa . ich stoße Atem aus , weil es gut tut endlich mal wieder nach fast zwei Stunden auf etwas wirklich bequemen zu sitzen . ,, Und , wo ist eigentlich Papa ? Ist er noch auf der Arbeit ? " frage ich . Unser Vater ist Ingenieur , und hatte früher als ich noch zuhause gewohnt habe , oft viel zu tun . ,, ja , leider . Wir wussten schließlich nicht dass du heute schon kommst . Wir haben erst nächste Woche mit dir gerechnet . Aber ich freue mich riesig , dass du nun doch schon eher gekommen bist . Ich hab dich lieb und sehr vermisst !" ,,Ich hab dich auch lieb , und noch sehr viel mehr vermisst , das kannst du mir glauben ! " Wir schweigen und lächeln uns einfach nur an , weil wir in diesem Moment nichts anderes als glücklich sind . Glücklich , weil ich meine große Schwester wieder habe , die für mich wie eine Mutter da war , als unsere es nicht mehr war .Sie hat mich vor allem beschützt , aber mich trotzdem eigenen  Fehler machen lassen . Ich bin so dankbar dass ich sie habe . ,, Und , wie läuft die Uni ? " unterbricht sie die stille , die eigentlich angenehm war. ,,Ganz gut . Sie ist fordernd , aber kein Problem . ich habe dieses Semester mehr Kurse geschafft , wie ich mir eigentlich vorgenommen hatte , und dieses Uni Leben macht mir wirklich Spaß !" sage ich stolz. ,, und , wie läuft dein Caffè ? und was machen deine Bilder so ? ich hoffe doch du malst noch ! " sage ich . ,,Ach Emmi Maus , du bist so süß ! Natürlich male ich noch ! und es verkaufen sich zur zeit erstaunlich viele Bilder . das Caffè  läuft super , neulich ist ein alter bekannter Football Spieler mit einer Reporterin  Brunchen gewesen. Und das beste daran war , mein Caffè wurde in der Zeitung am Montag erwähnt ! " sie quickt ganz aufgeregt , und ich ertappe mich dabei , wie ich mit quicke . wir lachen und ich will dass es nie wieder aufhört ! ,, Und , wie geht es Colin ? Seit ihr noch befreundet ? " fragt sie , und ich glaube ich werde leicht rot . nicht so weinrot wie vorhin im Nieselregen , aber es ist nicht gerade angenehmer ! Colin . Der junge , in den ich seit der 10. verknallt bin . der junge , der mich in den arm nahm als ich weinte , weil ich ihm gerade erzählte dass meine Mutter tot ist . der junge der eine Freundin hat . ,, Gut , gut " sage ich schnell , aber nicht zu schnell , weil es sonst gezwungen klingen würde . ,, Er studiert immer noch Psychologie , und möchte da nach in Schottland ein Praktikum an einer Psychologie Universität machen . " sage ich und lächle , um locker zu wirken. ,,Das ist doch schön "meint sie , und ich bin froh dass sie es ohne jeden Unterton sagt . sonst durchschaut sie mich immer . aber diesmal scheint es so , als wäre ich authentisch genug gewesen . Ich will gerade etwas sagen , vergesse es aber als ich einen Schlüssel in der Türe höre . ,, Ich glaube das ist Papa " sagt Florence begeistert und ich halte inne . erst als ich sein ,, hallo Liebling , bin zuhause " durch den Flur hallen höre , springe ich auf und renne zu ihm , ehe ich ihm in die arme falle . Er scheint anfangs gar nicht zu verstehen was passiert , bis er meine Umarmung zwei mal so stark erwidert . wir sagen nichts , wir umarmen uns nur . bis wir uns voneinander lösen und er mir durch meine blonden , schulterlangen haare streicht , bis er mir einen dicken Kuss auf die Stirn drückt und dann fragt : ,, was machst du denn schon hier Emmi ? Ich dachte du kommst erst nächste Woche ! ich freu mich ja so mein Schatz ! " Florence war nun auch im Flur und sagt etwas bevor ich zu Wort komme . ,, Sie wollte uns wohl überraschen . " nun habe ich mich gesammelt und füge hinzu ,, und ich konnte es nicht mehr abwarten euch zu sehen ! " Mein Vater legt seinen Mantel und seinen Hut ab , bevor er die Stiefel auszieht und uns ins Wohnzimmer folgt . wir reden eine gefühlte Ewigkeit im Wohnzimmer , und ich möchte nicht dass es aufhört . ich möchte nur eines , dass wir wieder zu viert sind . dass Mama ihren Senf dazugibt , dass ich ihr lachen nochmal hören und sehen kann , dass sie Popcorn macht , nur um sowieso wieder alles runter zu schmeißen , dass sie Papa küsst , bevor sie uns ins Bett bringt , dass sie uns in den Schlaf singt und uns am nächsten morgen zuerst sanft und dann wie der letzte Bauer weckt . den Vorhang aufreißt und sagt ,, komm , die sonne scheint , steh auf bevor du alt bist !" ich merke nicht dass ich schweige , bis Papa fragt ob alles gut ist . und das ist es doch eigentlich , oder ? Ja , das ist es . Ich bin Zuhause . Und ich will nie wieder gehen . Also nicke ich , und dann merke ich dass es schon halb elf ist , und dass ich um fünf Uhr aufgestanden bin . Kurzgesagt : ich bin müde . und ich muss dringend schlafen gehen . Also stehe ich auf , sage Papa  gute Nacht , und folge meiner Schwester in mein altes Kinderzimmer , in dem sich ebenfalls nichts geändert hat . Hier zu schlafen fühlt sich komisch , aber gut an . ich gehe noch ins Bad um zähne zu putzen , aber sobald ich in meinem Schlafanzug bin , falle ich so müde in mein Bett , dass es keine zwei Minuten dauert bis ich einschlafe .  und ich träume . von allem möglichem . Ich träume von Mama ,  wie sie noch am leben ist , und uns jeden Mittag den gleichen Tee macht . sie kommt aus England , Papa kommt aus New York . ich träume wie sie Musik anmacht und wir alle zusammen in der Küche tanzen während wir kochen . ich träume wie die Polizei vor der Tür steht , und uns mitteilt dass es einen betrunkenen Fahrer gab , der einen Unfall verursacht hat. wie ich Florence weinen und Papa sie trösten höre , und ich nur da stand und nicht zu verstehen schien, was gerade geschehen war . wie viel ich in mir verloren habe , und nur durch meine große Schwester wiedergewonnen hatte . naja , zumindest das meiste . ich habe in meinem Leben noch nie Alkohol getrunken , weil ich einfach nur verabscheue , was er anrichten kann  , spaß hin oder her . Und dann träume ich , wie ich in Colins armen lag , in seinen Hoodie heulte , und er mich nicht losließ , bis ich eingeschlafen war . wie er immer da war , und dass er eine Freundin hat ! also hör sofort auf von ihm zu träumen !!! Das geht nicht ! Außerdem gehe ich in wenigen Monaten nach New York . um genau zu sein , in zwei Monaten . also sollte mich nicht noch mehr hier halten . Weil dieses Praktikum meine Zukunft und meinen Traum , Journalistin zu werden bedeutet . und ich das nicht aufgeben kann . nicht , weil ich schon mein halbes leben darauf hinarbeite , sondern weil es auch Mamas Traum war .  und ich ihn so für uns beide erfülle . Weil ich so immer an sie denken würde , aber aber als ob ich das nicht sowieso tun würde . Ich muss nach New York ! Und ich möchte es wirklich ! Von Herzen . Das wollte ich schon immer . und jetzt muss ich aufhören an diese dinge zu denken ! Und ich muss aufhören an ihn zu denken , denn bald sehe ich ihn wieder in der uni . und natürlich auch Jane . Seine Freundin . Also , Emilia Wilson , Schlaf jetzt ! Und hör auf zu träumen ! 


everything but you ( Pausiert )Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt