6 Tage

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Celeste

,,Ich kann nicht fassen, dass du die ganze Packung Eis alleine gegessen hast, nach den vier Tellern Nudeln. Wo bleiben diese ganzen Mengen? Versteckst du das irgendwo?"

Noville hebt mit einem schelmischen Grinsen alle Kissen um uns herum hoch und tut so, als würde er etwas suchen. Leicht irritiert lehne ich mich vor und stelle die nun leere Verpackung zu den Tellern auf den niedrigen Tisch aus Eiche. Kurz lasse ich meine Hand über das Holz gleiten und erinnere mich daran, wie sehr sich Noville darüber gefreut hat, als sein Vater ihm diesen Tisch zu seinem Einzug in die erste eigene Wohnung vor einem knappen halben Jahr schenkte.

,,Ich weiß, wo du es versteckt hast!"

Kurz bin ich orientierungslos und weiß nicht, was er meint, doch dann möchte ich mich damit verteidigen, dass ich bereits joggen war, bevor wir uns getroffen haben. Doch dazu bekomme ich keine Zeit, stattdessen gibt mir der junge Mann einen Stoß gegen die linke Schulter, scheint dabei aber vergessen zu haben, dass er durch seinen nahenden zwanzigsten Geburtstag seinen finalen Kräfteschub bekommen hat, weshalb ich ohne jegliche Chance seitlich von der Couch rutsche. Ich versuche noch, mich an den Kissen festzuhalten, ich bin aber nicht reaktionsschnell genug und plumpse äußerst unelegant auf den Boden. Doch entgegen meiner Erwartung hält der junge Mann in seinen Bewegungen inne und bricht nicht in lautes Gelächter aus, wie er es sonst jedes Mal getan hat, wenn mir etwas Tollpatschiges passiert ist. Er reagiert komplett gegensätzlich und rutscht zu mir auf den Teppich. Ein Blick in sein Gesicht reicht aus, um auch das in mir aufkommende Lachen zu einem Kloß werden zu lassen. Unbehaglich schlucke ich, darauf hoffend, dass wir doch noch in Gelächter ausbrechen werden.

,,Das wollte ich nicht, tut mir leid! Ist dir was passiert? Hast du dich verletzt? Tut dir was weh?"

,,Meine Güte, ich bin doch nicht aus Zucker."

Weil mir sein prüfender Blick zu unangenehm wird, greife ich nach einem der grauen Sofakissen und lasse es mit Schwung seinen Kopf seitlich treffen. Triumphierend strecke ich ihm die Zunge raus, was seinen besorgten Ausdruck einem Angriffslustigen weichen lässt. Noville schnappt sich ebenfalls ein Kissen und schneller als ich reagieren kann, schlägt er damit auf mich ein. Reflexartig hebe ich meine Unterarme, um meinen Kopf zu schützen. Nun bricht das Lachen aus mir hervor, während ich mich daran erinnere, dass Angriff stets die beste Verteidigung gegen seine Attacken war. Darum lasse ich mein Kissen auch wieder durch die Luft wandern. Zu meinem Bedauern, kollidieren die Kissen meist miteinander, bis Noville Meines zu greifen bekommt und es zurück aufs Sofa segeln lässt. Sofort hebe ich beide Hände als Zeichen meiner Kapitulation.

,,Ich ergebe mich!"

Noville beugt sich mir ein Stück entgegen, sein Kissen noch bereit für einen Schlag erhoben. Wir blicken einander in die Augen und fast vergesse ich, wie man atmet.

,,Was bekomme ich denn?"

,,Eine Packung Eis."

,,Damit du sie wieder aufessen kannst? Nein, das ist abgelehnt."

Ich schiele an ihm vorbei und blicke auf die Uhr, die unmittelbar in dem Moment den Signalton für Mitternacht ausstößt. Ich bin beinahe erleichtert, dass ich der Spannung entfliehen kann, die sich in den letzten Minuten entwickelt hat. Ich schiele kurz zu ihm zurück und bemerke dadurch das undefinierbare Funkeln in seinen eisblauen Augen.

,,Es ist schon spät, ich sollte nach Hause gehen. Wir verhandeln beim nächsten Mal."

,,Du kannst auch hier übernachten, das wäre mir deutlich lieber."

,,Ich bin bisher immer heile nach Hause gekommen. Von mir aus schreibe ich dir, wenn ich angekommen bin."

,,Ich bitte darum."

Mit diesen Worten erhebt sich der junge Mann und greift ohne einen weiteren Blick in meine Richtung das Geschirr, mit dem er zur Küchenzeile geht. Noch leicht irritiert von seinem nun abweisenden Verhalten starre ich seinen muskulösen Rücken an. Was ist denn heute mit ihm los?

CelesteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt