11 - Fahrräder und Ständer

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„Ab morgen übernehme ich den Kundenchat", sagte Tim, Janniks Kollege, nachdem dieser den Chat geschlossen hatte und sich ans Packen der Bestellungen gemacht hatte. „Was? Warum? Mir macht der Chat nichts aus", sagte Jannik verwundert.

„Das sieht man. Du grinst danach immer wie ein Honigkuchenpferd. Also weißt du, das ist echt nicht fair. Du hast Spaß im Chat. Du bekommst den Typen mit dem verschwundenen Analplug und was bekomme ich? Einen richtigen Beschwerdeanruf, weil der Vibrator Stromstöße verteilt hat." „Erspart einem die Intimrasur, oder?", sagte Jannik lachend.

Doch Tim hatte recht, er kam auf der Arbeit, in letzter Zeit, voll auf seine Kosten und das lag vor allen Dingen an Herrn Kronberg. Dass er allerdings den Kundenchat als Datingplattform missbrauchte, müsste unbedingt ein Geheimnis bleiben, weshalb er auch beschlossen hatte, Herrn Kronberg über WhatsApp noch eine Chance zu geben.

Am heutigen Tage hatte er tatsächlich mal keine Schicht im Café und so würde er das wöchentliche Telefonat mit seiner Mutter hinter sich bringen, von welchem er wahrscheinlich erschöpfter sein würde, als von der ganzen Wochenendschicht.

Nachdem er es zuhause geschafft hatte, sich mit der Hausarbeit zwei Stunden zu beschäftigen, rief er schließlich seine Mutter an. Dann hörte er sich eine Stunde den neusten Klatsch aus dem Dorf an. Welcher Nachbar es gewagt hatte bis tief in die Nacht eine Party zu feiern, welche seiner Schulfreunde nun miteinander ausgingen und dass die Preise im Supermarkt explodiert waren.

Auch wenn Jannik nur mit halben Ohr hinhörte und gelegentlich ein „Mhm" und „Aha" einwarf, war ihm dieses Gespräch lieber, als das, was noch folgen würde. „Und Schatz, wie sieht es bei dir aus?"

„Wie immer. Arbeit, Arbeit, Arbeit."

„Und dieses Mädchen? Wie hieß sie noch, Jana?"

„Was soll mit ihr sein? Sie ist nur eine Freundin."
Jannik rollte mit den Augen, gleich würde sie ihm was einreden wollen, was nicht da war. „Aber sie könnte mehr sein."

„Nein Mama, sie wird nie mehr sein, weil ich schwul bin." Dann betretenes Schweigen am Telefon. Eigentlich vermied Jannik es, dieses Thema immer und immer wieder durchzukauen, schließlich war er Single und es war unbedeutend, welche sexuelle Orientierung er hatte.

Aber nun, da Leonard in sein Leben getreten war, dachte er, müsste er es seiner Mutter ein für alle Mal klar machen. „Schatz, das geht doch wieder vorbei und du denkst nur, dass du das willst, weil es verboten ist."

„Bitte was? Was ist verboten? Verstehe doch endlich, dass daran nichts unnormal ist."

„Nein Jannik du musst verstehen, dass sich zwei Männer nie so lieben können, wie Mann und Frau. Die Liebe, die dein Vater und ich verspüren, wirst du mit einem Mann nie nachempfinden können."

„Ich verstehe das. Du gibst deine ganze Liebe Papa, weshalb du für mich keine übrig hast. Tschüß Mama."

Dann legte Jannik auf, obwohl er es nicht ausstehen konnte, mit jemanden im Streit auseinander zu gehen. Doch die Worte seiner Mutter hatten ihn hart getroffen.

Ja, vielleicht hatte er bei Dennis tatsächlich nicht das empfunden, was seine Eltern hatten, aber dies war garantiert nicht der Tatsache geschuldet, dass Dennis ein Mann war. Jannik war sich ziemlich sicher, dass es sich bei Leonard anders anfühlen würde. Vielleicht würde dessen Stimme ihm ja schon die Bestätigung geben, die er so sehr brauchte.

Leonard hatte gerade den Fahrradhelm aufgesetzt und war nun dabei das Schloss von der Fahrradkette zu lösen, als er eine Nachricht von Jannik erhielt.

Hallo! Ich dachte, ich gebe ihnen noch eine Chance. Können Sie mir einen Gefallen tun? Können Sie mich anrufen und von ihrem Tag erzählen? Ich brauche das jetzt.

Leonard lächelte wie blöd das Handy an, bevor er es in die Halterung an seinem Lenkrad anbrachte, Janniks Nummer wählte und los fuhr.

„Hallo Herr Schuman, ich habe mich sehr über Ihre Nachricht gefreut. Wie geht es ihnen?", fragte Leonard, nachdem sein Anruf am anderen Ende der Leitung entgegengenommen wurde. Doch anstatt zu sprechen, schrieb Jannik eine Nachricht.

Sie haben eine angenehme Stimme.

„Ah, ich sehe schon. Ihre Telefonphobie. Wundern Sie sich nicht, wenn ich so hechele. Ich fahre gerade mit dem Fahrrad nachhause und bin nicht in eine wilde Orgie verstrickt."

Ist das schon ein Vorgeschmack darauf, wie Sie im Bett klingen?

„Herr Schumann, Herr Schumann, Sie wollen wohl, dass ich gleich in der Notaufnahme lande. Mit 'nem Ständer fährt es sich nicht besonders gut."

Den müssen sie ja auch einklappen.

„Der lässt sich nicht mehr einklappen. Aber Sie wollten wissen, wie mein Tag war. Wenn ich sage, dass das hier der Höhepunkt des Tages ist, sagt das bestimmt alles, oder?

Ja, dass Sie wirklich an vorzeitigem Samenerguss leiden.

Leonhard hielt am Straßenrand an und schüttelte den Kopf. „Herr Schumann, Sie machen mich wirklich fertig. Ich glaube Ihnen kein Stück, dass Sie so schüchtern sind. Ich bin übrigens Leonard."

„Jannik", presste er hervor.

„Das Kompliment mit der Stimme kann ich übrigens nur zurückgeben." Ein Donner ließ Leonard aufhorchen. „Du, ich muss Schluss machen, sonst werde ich gleich pitschnass. Bis später?"

„Bis später!"

Jannik lag noch Minuten nach dem Telefonat einfach nur da. Leonards Stimme war direkt vom Handy aus in sein Herz geflossen. Auch wenn er das ganze Gespräch gescherzt hatte, wusste er, dass der Grund dafür nur seine Unsicherheit gewesen war.

Er fragte sich, welche Wirkung Leonard wohl auf ihn haben würde, wenn er leibhaftig vor ihm stehen würde. Welche Wärme würde sich wohl in seinem Körper ausbreiten, wenn er ihn in den Arm nehmen würde.

Schon längst hatte Jannik ein Bild von Leonard in seinem Kopf kreiert, doch was war, wenn er optisch nicht so ansprechend war, wie seine Stimme und sein Charakter? Und viel schlimmer, was wäre, wenn er optisch Leonard nicht zusagte?

Fehlgeleitet - Zum Glück verklicktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt