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„Ach, sieh mal an wer uns da mit seiner Anwesenheit beehrt." - begann der alte Brecht seine Schimpf-Tirade. „Jessica Steffens Du bist zu spät. Schon wieder. Aber warum auch pünktlich zum Unterricht kommen, he? Das ist ja für Leute wie dich nicht wichtig." - er musterte erst mich abwertend, dann sah er in die Klasse und zu meinen Freunden. Aus der letzten Reihe am Fenster sah man einen knall grünen Irokesen hervorragen, sowie lilane, auftoupierte Locken.
„Setzen Fräulein." - fauchte er mich weiter an.
„Nennen sie mich nicht so!" - forderte ich. Ich konnte es auf den Tod nicht ausstehen, als Fräulein bezeichnet zu werden. Es klang so lieb, fast süß. Kotz.

Seine Augen verengten sich zu Schlitzen und er funkelte mich böse an. Langsam kam er dichter auf mich zu. Fast bedrohlich. - Aber eben nur fast, denn ich blieb einfach starr stehen und sah ihm fest in die Augen.
Ich werde nicht zurückweichen, diese Genugtuung bekommt er von mir nicht!
„Pass ja auf wie Du mit mir redest, Fräulein." - beim letzten Wort betonte er jeden einzelnen Buchstaben. „Und jetzt setzen!" - schrie er.

Ich verdrehte nur die Augen und ging an dem alten Knacker vorbei in Richtung letzte Reihe, zu meinen zwei besten Freunden: Georg Ratte Hänsel, der mehr auf seinem Stuhl lag als saß, und Frida Kittie Sonnberg, die überraschenderweise noch nicht eingeschlafen war.
„Dem hast Du's gezeigt." - grinste Ratte mich an, während ich mich zwischen ihm und meiner besten Freundin Kittie auf den Stuhl fallen ließ. Ich zuckte nur gleichgültig mit den Schultern. „Und wenn schon. Er ist und bleib ein Arsch." - meinte ich nur. „Ach, sei nich so. Der Kerl hat gekocht vor Wut, als Du Widerworte gegeben hast." - sagte Kittie stolz und schlug mir auf die Schulter. Da musste auch ich grinsen. Jap, sein Gesicht war wirklich klasse gewesen.

Der Unterricht zog sich schier endlos in die Länge, so mal niemand Herrn Brecht wirklich zuhörte. Zum einen lag das an unserem derzeitigen Thema: Otto von Bismarck und seine Außenpolitik. - Zugegeben, der Kerl war wirklich gewieft bezüglich der ganzen, mitunter geheimen, Bündnissen die er eingegangen war. Aber trotzdem: Nicht die interessanteste Persönlichkeit der Geschichte.
Und außerdem war der Unterricht beim Brecht einfach nur stinkend langweilig. Die eine Hälfte der Klasse schlief, während die andere in ihren Heften kritzelte, miteinander flüsterte oder einzig und allein zwischen Fenster und Uhr hin und her sah: Hoffent, dass die Stunde so schneller vorüber sein würde. - Spoileralarm: Bringt nix.

Als die schrille Schulklingel jedenfalls endlich die erste Pause ankündigte, hatten fast alle ihre Sachen schon von der Bank in ihre Taschen gestopft und verließen den Raum. Brecht stand noch immer vorne und sah recht enttäuscht den Schülern nach, denen er doch mit so viel Leidenschaft die Geschichte Bismarcks erklärt hatte.
Nachdem wir den Klassenraum ebenfalls verlassen hatten, brachen wir in Gelächter aus und versuchten Brechts dummes Gesicht nachzumachen, das er drauf hatte während alle aus dem Raum geflohen waren.
Auf dem Weg nach draußen stellten wir unsere Taschen noch vor'm Bio-Raum ab, machten einen kurzen Abstecher in die Cafeteria, dort gab es die besten Brezeln der Welt, nur um danach in unserer üblichen Ecke auf dem Pausenhof zu landen. Gott sei Dank hat der Regen aufgehört.
Zwei weitere Punks standen bei uns: Michael Breiti Breitkopf, einen Jahrgang unter uns, also in der achten Klasse, und Peter Lander, genannt Lumper. Er war zwei Jahre über uns und würde in guten anderthalb Jahren seinen Abschluss machen.
Lumper bot mir eine Kippe an, die ich dankend annahm, während sich auch meine zwei Klassenkameraden eine ansteckten. Breiti, dementsprechend der Jüngste von uns, rauchte nicht.
Die anderen Schüler mieden uns. Für sie waren wir nur ausgestoßene, es nicht wert ihre Beachtung zu bekommen, oder gar ein paar Worte. Aber das war egal. Schließlich hatten wir uns.
„Sehen wir uns heute Abend im Ratinger Hof?" - wollte Lumper dann wissen. „Klar doch." - grinste Kittie und schlang Ratte und mir jeweils einen Arm um die Schultern. Sie stand unglaublich auf Lumper. Und das schon seit über einem Jahr.
„Bin dabei." - grinste der jüngste ebenfalls. „Wer spielt'n eigentlich?" - fragte Ratte neben mir. „Keine Ahnung, Mann. Bier und Weed heißen die, glaub ich zumindest. Aber kennen tu ich se nich." - erzählte Lumper weiter. „Wir werden's ja sehen, wa?" - meinte ich nur. Die Anderen nickten nur.
Es würde mit Sicherheit ein toller Tag werden. Sofern wir in der Schule nicht an Langeweile sterben würden jedenfalls.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jan 13, 2023 ⏰

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