Humanitas

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Sie hatten sie dazu gezwungen. Seit Stunden saß sie nun in diesem Raum, unfähig, auch nur einige Sätze herauszubringen. Sie wischte sich die Tränen mit dem Handrücken vom Gesicht. Ihre Augen mussten vollkommen verquollen sein, so viel, wie sie in den letzten Stunden geheult hatte.

Der Berakaner gegenüber von ihr spielte mit seiner Waffe herum. Ein Stab mit einer Art Elektroschockfunktion. Die Berakaner waren leidenschaftliche Kämpfer. Klar, bei diesem Körperbau.

Die Tür ging auf. Ein schlanker Mann trat herein. Er trug einen Anzug, elegant, aus den alten Tagen, darunter ein weißes Hemd und eine Fliege. Sie kannte solche Kleidung nur aus den Filmen der alten Zeit.

»Wie kommen Sie voran, Latara?« Seine Stimme war tief und ließ sie zusammenzucken.

Sie blickte auf ihr leeres Blatt, zwang sich zu einem Lächeln. »Es braucht Zeit, wenn man schreiben will.«

Ein verächtlicher Blick des Mannes. »Dann machen Sie schneller, Latara. Unsere Gastgeber haben nicht ewig Geduld. Ich brauche Ihnen wohl nicht sagen, was passiert, wenn sie scheitern?«

Dann ging er.

Sie brach erneut in Tränen aus. Warum sie? Warum hatten sie sie ausgewählt? Sie konnte doch nicht einmal gut schreiben. Und jetzt hingen Menschenleben davon ab, ob sie die richtigen Worte aufs Papier brachte.

Der Berakaner blickte sie an. Die drei Augen auf seinem Gesicht hatten eine fast hypnotische Wirkung. Sie schienen sie zu durchdringen, bis in ihren Kopf vor, und ihre Gedanken zu lesen.

Sie löste den Blickkontakt, blickte wieder auf das Pad vor sich. Sie nahm den Stift in die Hand. Sie musste losschreiben. Einfach irgendetwas. Aber was, wenn es schlecht war? Wenn es den Berakanern nicht gefiel? Würden dann Menschen sterben müssen.

Sie führte den Stift näher zum Schreibpad. Es ging nicht! Sie konnte es einfach nicht. Ihr ganzer Kopf war leer, alle Worte waren einfach daraus gewichen. Sie wusste nicht einmal, wie sie anfangen sollte.

»Ich kann das nicht«, stieß sie hervor.

Der Berakaner drehte seinen Kopf zu ihr. Ein Computer im Raum stieß berakanische Laute aus, übersetzte, was sie gerade fatalerweise laut ausgesprochen hatte. Sie schlug die Hand vor den Mund. Noch mehr Tränen brachen hervor, als ihr klar wurde, was das für Konsequenzen hatte.

Sie würden sie umbringen! Oh Gott, sie würden sie alle töten.

Der Berakaner erhob sich, gleich würde er gehen und den anderen Bescheid geben. Dass sie versagt hatte. Dass sie nicht schreiben konnte.

Warum hatten sie bloß sie ausgewählt?

Doch der Berakaner verließ nicht den Raum. Stattdessen kam er hinter sie, nahm ihr mit seinen klobigen Finger den Stift aus der Hand. Und dann zeichnete er auf das Pad. Zuerst ein großer Kreis. Dann Linien, die den Kreis durchzogen, sich entlang schlängelten, kleinere Kreise bildeten. Sie hatte keine Ahnung, was das alles bedeutete, aber es sah wunderschön aus.

Ohne den Stift abzusetzen, zeichnete der Berakaner weiter. Wild geschlängelte Linien am unteren Ende des Kreises, die wie eine Reihe Bäume aussahen. Dann im Herzen des Kreises weitere umschlungene Linien, wie ein Labyrith, in dem man sich verlor.

Noch nie in ihrem Leben hatte sie etwas so Wunderschönes gesehen.

Dann war der Berakaner fertig. Er setzte ab und in diesem Moment übersetzte das Programm, was der Berakaner geschrieben hatte.

Ein Text erschien. Eine ganze Geschichte! Sie las die Worte des Berakaners, die wunderschöne Geschichte, und ihr kamen die Tränen. Aber diesmal nicht, weil sie verzweifelt war. Nein, diesmal, weil sie so gerührt war von dieser Geschichte. Eine Geschichte, wie sie niemals von einem Menschen stammen könnte.

Sie wusste, was sie zu tun hatte. Sie musste die Geschichte der Menschen schreiben. Eine Geschichte, wie sie nur von einem Menschen geschrieben werden konnte.

Sie nahm den Stift in die Hand und schrieb den ersten Satz auf das Pad: Er wollte schon immer nach den Sternen greifen. Mit einem Mal flossen die Wörter nur so aus ihr. Es war, als hätte die Zeichnung des Berakaners etwas in ihr ausgelöst. Etwas ... Menschliches.

Bilder strömten in ihren Kopf und verwandelten sich in Wörter auf dem Pad.

Eine menschliche Perspektive.

Die Geschichte neigte sich dem Ende zu. Die letzten Worte formten sich in ihrem Kopf, fanden auf das Pad: Die Sterne um ihn herum strahlten.

Sie atmete durch, drückte die Übersetzen-Taste. Es dauerte einige Sekunden, dann zeichnete der Computer ein Bild. Ein Kreis und darum Linien, die ihren Weg nach außen bahnten, immer verschnörkelter wurden, sich in die Mitte des Kreises schraubten, dann wieder nach außen.

Der Berakaner starrte auf den Computer, seine drei Augen zuckten. War das Überraschung? Freude? Sie kannte Berakaner zu schlecht, um das sagen zu können.

Dann war die Zeichnung fertig. Sie sah völlig anders aus als die Zeichnung des Berakaners. Etwas, das nur ein Mensch schreiben konnte, dachte sie und lächelte.

Der Berakaner verließ den Raum, zusammen mit dem Pad. Sie saß da, tippte mit den Fingern auf den Tisch.

Es dauerte nur eine Minute, dann betrat der Mann im Anzug den Raum. »Herzlichen Glückwunsch, Latara. Sie haben es geschafft. Die Berakaner wollen Frieden.«

Sie atmete aus und in diesem Moment fiel die ganze Last von ihr ab. Sie hatte es geschafft.

Der Berakaner kam zurück und malte etwas auf das Pad. Sekunden später kam die Übersetzung.

Eine wahrlich menschliche Geschichte.

Niklasatw

Other Worlds / Science-Fiction-ShortStoriesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt