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Die beiden Freunde verbrachten den restlichen Abend und große Teile der Nacht mit weiteren Filmen und Streicheleinheiten für Ju. Rezo war froh, dass er ihn bei sich behalten wollte. Schon oft hat Ju sich in schlechten Zeiten verkrochen und niemanden an sich ran gelassen, stattdessen fraß er seinen Frust in sich hinein. Auf Dauer konnte das nicht gut für ihn sein. 

Er selbst verhielt sich leider nicht wirklich anders, aber im Gegensatz zu Ju ließ er seine Emotionen entweder im Stream oder bei seiner besten Freundin raus. 

Der letzte Film war schon seit einer halben Stunde vorbei, doch die beiden Youtuber befanden sich immernoch auf der Couch. Ju schlief, während Rezo ihm weiter über den Kopf strich. Eigentlich eine gute Vorlage für einen romantischen Abend. Nur war das Girl in diesem Szenario kein Echtes, sondern ein zutiefst verunsicherter Ju in einem Frauenkörper. Diese Gedanken voneinander zu trennen fiel ihm aus unerklärlichen Gründen schwerer, als bei anderen Arbeitskollegen. Selbst beim Dreh mit Katja damals, kamen keine zweideutigen Gedanken in seinen Kopf. 

Ju hier mit dieser veränderten Optik so liegen zu sehen machte was mit ihm. 

Und er konnte nicht so recht deuten was. Einerseits war der Gedanke verlockend, dieser neuen Person näher zu kommen, denn optisch und charakterlich passte für ihn alles. 

Andererseits redete er hier von Julien Bam. Seinem Kumpel und Kollegen. 

Beide Gedanken gleichzeitig erzeugten in seinem Kopf einen Kurzschluss. Er musste definitiv lernen, dass der erste Gedanke nicht zu präsent werden durfte, wenn er mit Ju weiter umging. Im schlimmsten Fall würde es nämlich ihre ganze Freundschaft maximal whack machen oder komplett zerstören. 

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Ju musste raus. Er musste definitiv raus! Er hielt es einfach nicht mehr aus immer nur von seiner Wohnung zur Villa und zurück zu pendeln. 

Wieder ist eine Woche vergangen und noch immer hatte sich nichts an seinem Zustand verändert! Er drehte langsam durch! Er wollte Videos machen, Podcast aufnehmen, raus gehen...!

Stattdessen schlug er sich letzte Woche noch mit "seiner" Periode rum, musste diverse Calls absagen und Protokolle schreiben, da seine Anrufer ja nicht wussten, dass seine Stimme anders war aufgrund des seit zwei Wochen bekannten Fluches. 

Es nervte ihn einfach. 

Mega. 

"Kannst du mal bitte aufhören ständig so angepisst zu seufzen?", sagte Joon leicht aufgebracht, welcher gerade mit ihm im Garten der Villa stand und ihm beim aufräumen half. Das Wetter passte gerade einigermaßen um Laub zu rechen und diverse Sträucher zu verschneiden. Die Sitzecke am Pool musste auch noch gefegt werden. 

"Sorry wenn du das abbekommst, aber wir können liebend gern tauschen.", antwortete Ju genervt sarkastisch, während er einen Haufen alte Blätter in einen Müllsack stopfte. Im gleichen Moment rutschte ihm sein Zopf aus seinem übergroßen Hoodie und kitzelte ihm im Gesicht. 

"Alter! Ich schneid mir noch die Haare komplett ab. Ist das ätzend jedes Mal.", fauchte Ju und band sich daraufhin einen Dutt. Es war doch echt lächerlich. Annika war zwar so lieb und zeigte ihm diverse Alltagsfrisuren, aber dass er sich überhaupt damit beschäftigen musste, war nach wie vor so absurd. Die Mädels in seinem Team haben alle einstimmig ihren Unmut geäußert, als Ju genervt äußerte, seine nun langen Haare abzuschneiden. Hätten sie ihm nicht gedroht ihn mit Permanentmarker im Schlaf zu schminken, hätte er sein Vorhaben schon längst umgesetzt. 

"Digga, jetzt chill mal endlich. Iss 'n Snickers oder so." 

Ju schnaubte nur als Antwort. 

Das ließ sich Joon nicht mehr gefallen. Sein Kumpel hatte doch 'nen Rad ab. Völlig entspannt häufte er sich eine große Umarmung voll Blätter an und bewarf den noch nach vorn über gebeugten Ju damit. 

"Digga was sollte das?!", kam es entrüstet von dem Blonden, welcher förmlich aufsprang und die gammligen Blätter von sich herunter wischte. Ein paar davon spürte er sogar an seinem Nacken kleben. Bah Junge!

"Steht dir.", kam es trocken von Joon. 

"Leck mich!"

"Kann wer anderes machen, solange du dann endlich Ruhe gibst.", stichelte der Schwarzhaarige.

"Bissel sexistisch, meinst'e nicht?" Ju's Augen schossen imaginäre Blitze auf Joon, doch dieser wusste genau, wie man diese gekonnt ignorierte. 

"Wieso? Du hast nur ein temporäres Kostüm an. Faktisch biste immernoch ein Typ. Oder nicht?"

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Oder nicht? 

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True...

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Klar, war er ja eigentlich ein Mann im Körper einer Frau. Man konnte es als eine Art Kostüm benennen. 

Ein Kostüm...

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Da machte es auf einmal Klick. Wieso hatte Ju da nicht schon vorher dran gedacht. Er konnte zwar aktuell willentlich nicht beeinflussen, welches Geschlecht er besaß, aber er konnte in der Zwischenzeit etwas schauspielern üben und zumindest versuchen, wie eine Frau zu handeln. Sowas hatte er ja schonmal in Songs aus der Bohne als Dua Lipa gemacht. Er könnte seine Mitarbeiter beschämen, sich mittels weiblichen Charme durch diverse Angelegenheiten schnorren, mal komplett Undercover feiern gehen...

Vielleicht würde ihm das ja irgendwie helfen, sich nicht permanent rumzuärgern. Es widerstrebte ihm zwar, sich nun doch auf diese Schiene zu begeben, doch er konnte so vielleicht auch etwas Ablenkung finden, bis er wieder normal war. 

"Du bist ein Genie.", meinte Ju plötzlich verblüfft. 

"Hä?"

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Das Aachener Nachtleben besaß am Wochenende eine ganz eigene Kategorie. Die unterschiedlichsten Menschen feierten sich durch die Clubs und ließen die Stadt zur späten Stunde wieder lebendig werden. 

Die Nachmittagsarbeit im Garten war erledigt und nachdem es Ju beinahe geschafft hatte Joon in den Pool, mit seit Monaten stehender Plörre zu schubsen, ging es ihm tatsächlich einigermaßen besser. Zumindest so viel besser, um sich Abends nun doch mal raus zu wagen und feiern zu gehen. 

Aber diesmal nicht als er selbst, sondern als sein neues Pseudonym "Julienne Bam". 

Professionell wie eh und je bat er Carina erneut ihm beim Styling zu helfen. Carina war eine Koryphäe was das anging, immerhin hatte sie in seinen Hauptvideos die meisten Kostüme designt und kannte sich mit Bodypainting bestens aus. Also ließ er ihr freien Lauf bei seinem Outfit - und er musste zugeben, dass sie ein verdammt gutes Auge hatte. 

Er trug eine schwarze an den Knien zerrissene enge Hose und darüber ein glitzerndes helles Oberteil mit tiefem Ausschnitt - wenn schon, dann richtig. Darüber trug er eine dunkelbraune Lederjacke und schwarz-weiße Turnschuhe. Seine Haare behielt er offen, Carina wuschelte nur nochmal durch und fixierte sie mit Haarspray. Etwas Mascara und Lipgloss rundeten seinen Look dann ab. Absolut notwendig war es jedoch, seine Tattoos mit hautfarbener Schminke zu verdecken und sich mal komplett zu shaven, damit er wirklich authentisch rüber kam. 

"Na dann mal los.", grinste er freudig während er im Türrahmen stand. Seine Freunde staunten nicht schlecht, als sie Ju in diesem Look sahen. Einige pfiffen sogar aus Spaß. Vor zwei Wochen hätte er derartige Kommentare verflucht, heute aber, seitdem er seine Zustand als herausfordernde Schauspielrolle sah, war er allerdings damit zufrieden. 

Juzo - Julienne Bam?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt