Eine halbe Stunde später stieg sie wieder aus, ihre Laune hatte sich in dieser Zeit nicht verbessert. Ihr Rücken schmerzte durch die schwere Schultasche und irgendein Kind hatte es lustig gefunden nach ihr zu treten, weswegen sie jetzt einen blauen Fleck am Bein hatte. Aber was machte das schon? Schlecht gelaunt schlurfte sie zu ihrem Bus, während sie einige Steine zur Seite kickte. Wenigstens war dieser schon da. Stellte Johanna zufrieden fest und stieg ein, ganz hinten, in der letzten Reihe war noch ein Platz frei, auf den sie sich setzte. Gelangweilt starrte sie aus dem Fenster und beobachtete die Menschen. Eine kleine Gruppe an Jugendlichen standen beisammen, rauchend, aber fröhlich. Gebannt verfolgte das Mädchen die Mimik des einzigen Mädchens der Runde. Ihre Augen strahlten und sie lachte aus vollstem Herzen. Eine Haarsträhne war in ihr Gesicht geweht und wurde von ihrer, mit schwarzem Nagellack bemalten, Hand hinter ihr Ohr geschoben. Doch plötzlich bemerkte das Mädchen, dass sie beobachtet wurde und drehte sich zu ihr, schnitt eine Grimasse und drehte sich wieder um. Peinlich berührt merkte Johanna, wie ihre Backen heiß und rot wurden. Schnell drehte sie sich weg und betete inständig, dass es niemand sonst mitbekommen hatte. Das Glück schien ihr wohlgesonnen zu sein und so sprach sie niemand darauf an, außerdem ließ der Fahrer den Motor an und fuhr los. Seufzend lehnte sich das Mädchen an das Fenster neben dem sie saß und schloss ihre schweren Augen, jedoch nicht lange, da sie so das unangenehme Gefühl hatte nicht zu wissen was passierte, was ihrer Meinung nach, durchaus gefährlich sein konnte, sollte ein Feuer ausbrechen oder ein Amokläufer einsteigen. Von diesen hielt sie nichts, nicht weil die Person die einen Amoklauf beging sterben wollte, sondern weil sie andere, unschuldige Menschen mit sich in den Tod riss und so viel Leid verbreitete. Wenn sie sich umbringen würde, dann ohne andere Menschen dort noch hinein zu ziehen, schließlich hatten diese nichts mit ihr zu tun und wollten vielleicht noch leben, auch wenn sie selbst es nicht mehr wollte. Doch die Wahrscheinlichkeit, dass ein Amokläufer in den Bus einsteigen würde war so unwahrscheinlich, dass sie es vielleicht doch wagen konnte kurz die Augen zu schließen und ihre Aufmerksamkeit schleifen zu lassen.
Sie gab sich einen Ruck, musterte die Fahrgäste noch einmal misstrauisch und schloss langsam die Augen, da ihr nichts ungewöhnliches aufgefallen war. Doch obwohl sie sich vorgenommen hatte nicht unaufmerksam zu werden merkte sie doch, dass es ihr unendlich schwer viel gegen den andrängenden Schlaf anzukämpfen. Sie durfte nicht einschlafen! Nicht im Bus! Johanna zwang sich unter großer Anstrengung ihre Augen wieder zu öffnen und nicht mehr lange geschlossen zu halten, mit Erfolg. Zwar gähnte sie fast ununterbrochen und sehnte sich nach ihrem Bett um schlafen zu können, jedoch schlief sie nicht mehr fast ein. Keine zehn Minuten später, in denen sie alle Personen in ihrer Nähe genau beobachtet hatte um einschätzen zu können wie gefährlich diese ihr werden könnten, hielt der Bus an der Haltestelle „Pater-Roth-Straße“ an welcher Johanna schnell aufstand, ihren Schulranzen schnappte und ausstieg. Müde trottete sie die wenigen Meter zu ihrer Wohnung und kickte dabei einige Steinchen aus dem Weg. Doch wenige Meter vor der Haustür blieb sie wie erstarrt stehen, da laute Stimmen aus dem geöffneten Fenster der Wohnung drangen. Frustriert schloss sie die Augen und ballte ihre Hände zu Fäusten, während sie inständig betete, dass sich ihre Eltern nicht schon wieder stritten. Tief atmete sie ein und aus, während sich Hoffnungslosigkeit in ihr breit machte und sich eine Klaue um ihren Hals legte, die es ihr unmöglich machte irgendetwas zu sagen und verhinderte, dass sie atmen konnte. Um Luft- und ihre Fassung ringend stand sie stocksteif da. Doch schon noch wenigen Sekunden, die dem Mädchen jedoch wie Stunden erschienen, löste sie sich und ging wie betäubt auf die Tür zu, während sie ihren Schlüssel aus der Jackentasche zog. Mit verkrampften Fingern schloss sie die Tür auf und trat zögerlich in das Haus. Nach wenigen, unsicheren und langsamen Schritten wurden die Stimmen präsenter und verständlicher. „Warum ich nicht aufgeräumt habe? Soll ich dir das wirklich sagen,“ drang die Stimme von Johannas Mutter an deren Ohr und unwillkürlich schüttelte das Mädchen den Kopf, „ Ich mache alles! Ich koche, ich putze, ich wasche die Wäsche, ich bügel alles und ich kümmere mich um die Kinder! Außerdem gehe ich arbeiten, bin bis 16 oder 17 Uhr in der Schule und arbeite! Ich habe so viel zu tun, dass ich es nicht mal schaffe meine Schulaufgaben noch zu korrigieren oder den Unterricht zu planen! Glaubst du ich schlafe aus Spaß kaum noch? Was machst du?“ die Lautstärke hatte sich im Laufe des Satzes gesteigert, doch ihr Vater übertönte diese ohne Probleme. „Ich stehe um 5 Uhr auf und komme erst um 20 Uhr zurück, oder später! Du hast doch keine Ahnung wie das ist durchgehend zu arbeiten! Du unterrichtest nur kleine Kinder, dies kann jeder! Die machen auch keine Probleme! Was soll man denn da bitte vorbereiten? Drucke ein Arbeitsblatt für jede Stunde aus und klatschte es hin. Fertig! Unterricht vorbereitet! Ich mache auch viel zu Hause! Ich wasche, ich koche, ich lege die Wäsche, räume sie ein und hänge sie unten im Keller auf!“ Johanna wollte nicht wissen was sich ihre Eltern jetzt schon wieder vorwarfen. Am liebsten würde sie jetzt umkehre, einfach weg von zu Hause und ihren sich streitenden Eltern. Doch wo sollte sie schon hingehen? Ihre einzige Freundin, die sie gehabt hatte, interessierte sich nicht mehr für sie und andere Freunde hatte die Jugendliche nicht wirklich. Außerdem könnten sich ihre Eltern Sorgen machen, wenn sie nicht mehr nach Hause kam, von ihren Geschwistern ganz abzusehen und noch mehr Stress wollte die Braunhaarige ihren Eltern auf keinen Fall machen. Schließlich war sie sowieso schon daran Schuld, dass die Ehe ihrer Eltern zu zerbrechen drohte. Wenn sie nur besser in der Schule wäre, lernen und nicht nur faul im Bett liegen würde, sich mit dem zufrieden geben würde, was sie hatte und mehr zu Hause mithelfen würde, dann wäre es gar nicht so weit gekommen. Sie machte ihren Eltern doch sowieso schon so viel Sorge wegen der Noten und war allgemein unausstehlich, da war es kein Wunder, dass diese die Nase voll von ihr hatten und sich scheiden lassen wollten. Sie war eine Belastung für alle! Ohne sie wäre die Welt besser dran! Ihre Eltern würden sich wieder vertragen, weil sie keinen Stress mehr ihretwegen hätten, ihre Geschwister hätten jeweils ein eigenes Zimmer und das wünschten diese sich schon seit langem, ihre Lehrer müssten sich nicht ärgern, weil sie nie antwortete, wenn sie etwas gefragt wurde und ihre Klassenkameraden, die, naja, die mochten sie doch sowieso nicht. Was vollkommen verständlich war. Plötzlich hörte sie die Wohnungstür knallen, welche sie aus ihren Gedanken riss, und schwere, schnelle Schritte bewegten sich die Treppe hinunter. Augenblicklich war Johanna klar, dass ihr Vater gerade hinunter kam. Hektisch blickte sie sich um. Auf keinem Fall wollte sie ihm jetzt begegnen. Nicht weil sie Angst davor hatte, nein, nur keinerlei Lust. Das Mädchen Das Mädchen hatte gerade keinerlei Nerv dafür wieder zu hören, was ihre Mutter wieder so schlimmes getan habe. Deswegen eilte sie die Treppen zum Keller hinab und versteckte sich hinter der Treppe. Während sie hoffte, dass ihr Vater sie nicht bemerken würde lauschte sie seinen Schritten, welche sich näherten, bis die Haustür aufging und dann leiser wurden. Zwar war sich Johanna ziemlich sicher, dass niemand mehr im Treppenhaus war, doch erst als die Tür zugefallen war wagte sie sich wieder aus ihrem Versteck hinaus und eilte schnell die Treppe nach oben in den ersten Stock. Vor der Tür blieb sie jedoch nochmal stehen und lauschte, ob irgendwelche unnormalen Geräusche aus der Wohnung drangen, doch als dies nicht der Fall war atmete sie noch einmal tief ein und aus, nahm ihren Mut zusammen und schloss leise auf. Kaum war sie eingetreten, hatte ihre Schultasche abgestellt, die Jacke an den Hacken gehängt und die Schuhe ausgezogen, als auch schon ihre Mutter auf sie zukam. „Johanna, wie war es in der Schule? Habt ihr Mathe rausbekommen?“ Fragte sie und lächelte ihre Tochter an. Genervt von allem strich sich die Angesprochene energisch eine ihrer Haarsträhnen aus dem Gesicht und antwortete dann „Die Schule war so wie immer. Schulig eben. Und Mathe haben wir noch nicht rausbekommen. Aber ich habe ein nicht so gutes Gefühl. Geometrie war noch nie meins.“ Leicht seufzte ihre Mutter und mahnte sie dann „Du hast sie noch nicht rausbekommen, also kann es noch alles sein. Außerdem hast du zwei Wochen lang jeden Tag dafür gelernt. Es wird schon eine vier sein.“ Fast hätte Jojo aufgelacht, konnte sich jedoch gerade noch beherrschen. Sie sollte eine vier haben? In Mathe? In Deutsch, ja, das wäre möglich. Aber nicht in Mathe. So gut war sie nicht! Jedoch konnte sie sich einen zynischen Kommentar nicht verkneifen. „Dein Wort in Gottes Ohr!“ Ihre Mutter seufzte leise und wuschelte ihr durchs Haar. „Komm erstmal herein und iss was.“ Bat sie, doch die Schüler schüttelte den Kopf. „Tut mir leid, Mama. Ich kann gerade nicht. Mein Referat über den Humanismus ist noch nicht fertig und nach dem Segellager muss ich es noch halten. Ich esse heute zu Abend, ja?“ Die Lehrerin seufzte gab aber nach und ging wieder in die Küche. Erleichtert, dass ihre Entscheidung akzeptiert worden war und sie sich nicht anhören musste, was ihr Vater wieder getan hatte, verschwand sie im Wohnzimmer und setzte sich an den Comuper. Keine zehn Minuten später war das Mädchen komplett in ihrem Referat vertieft, laß diverse Einträge zum Humanismus durch und verzweifelte über der Komplexität des Themas. Zwar war es so, dass sie dank dem Internet jetzt einen guten Aufbau hatte, aber sie wusste nicht, was sie schreiben sollte. Also grub sie sich durch Wikipedia durch, suchte nach Begriffen, die sie nicht verstand, laß diese Artikel dann und fragte sich, warum sie nichts leichteres gewählt hatte, wie Gutenberg. Drei Stunden später war Johanna fertig, leider nicht mit dem Referat, sondern mit ihren Nerven. Ihr Kopf tat weh und jegliches Interesse, welches sie jemals für ihr Referat gehabt hatte, war verschwunden. Ächzend stand sie auf, ging in die Küche und trank ein Glas Wasser. Kurz darauf konnte sie wieder klarer denken und ihre rasenden, wirren Gedanken ordnete sich etwas. Nach wenigen Minuten waren auch die Kopfschmerzen verschwunden und die Schülerin merkte erschrocken, dass sie ihre Eltern seitdem sie zu Hause angekommen war nicht wieder gesehen hatte. Angst machte sich in ihr breit. Ihre Mutter hatte um 15 Uhr die Wohnung verlassen um ihre kleine Schwester Carla zum Chor und danach zum Turnen zu fahren. Ihr Bruder war bei seinem Freund zum Geburtstag eingeladen worden. Aber wo blieb ihr Vater? Vor über drei Stunden hatte er die Wohnung verlassen und war wütend aus dem Haus gestürmt. Seitdem hatte sie ihn nicht mehr gesehen. War er abgehauen? Einfach gegangen? So wie schon vor ein- oder zwei Jahren? Wiederholte sich das ganze wieder? Würden ihre Geschwister wieder so sehr darunter leiden? Und ihre Mutter erst… Wo war ihr Vater eigentlich? Bei Opa? Am Grab von Oma? Irgendwo anders? Wie lange würde er noch weg sein? Ein paar Stunden? Wenige Tage? Eine Woche? Oder doch zwei Monate, so wie letztes mal? Hätte sie es irgendwie verhindern können? Warum war sie ihm nicht entgegengetreten und hatte ihn umarmt? Sie hätte es verhindern können! Aber nein, durch ihren Egoismus war das jetzt passiert und sie hatte Schuld daran!
Eine eiskalte Klaue legte sich um ihr Herz und versuchte es zu zerdrücken. Leise keuchte sie auf. Jeder Atemzug tat auf einmal unerträglich weh und viel ihr so unendlich schwer. Doch gleichzeitig rang sie um Luft wie jemand der gerade am Ersticken war, weil sie das Gefühl hatte nicht atmen zu können. In ihrem Kopf wirbelte das Gedankenkarussell schlimmer als zuvor herum und ihre innere Stimme beleidigte sie und warf ihr vor Schuld an allem zu sein. Johanna fühlte sich elend, schließlich stimmte es. Sie war Schuld daran, dass ihr Vater gegangen war. Da war es doch klar, dass niemand sie mochte. Keiner wollte etwas mit einer so egoistischen Person zu tun haben, dass verstand die Braunhaarige sehr gut. Ihre Hand zitterte und am liebsten würde sie jetzt anfangen zu weinen, um alles rauszulassen ohne mit jemandem reden zu müssen. Aber obwohl sie sich wünschte zu weinen ging es nicht. Keine Tränen verließ ihre Augen. Plötzlich hörte sie, wie ein Schlüssel ins Schloss gesteckt- und aufgeschlossen wurde. Sie zuckte zusammen, stellte ihr Glas ab und versteckte sich hinter dem Herd, da sie von dort aus sehen konnte, wer gekommen war, die Person sie aber nicht sehen konnte. War ihr Vater etwas wieder da? Hatte er nur einen Einsatz gehabt und war deswegen länger weg gewesen? Die Tür öffnete sich und eine Person kam hinein. Es war…
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The enemy in me
Mystery / ThrillerEs geht um ein Mädchen, das viele Probleme in ihrem Leben hat. Sie hat Prüfungsangst, Depressionen und zu Hause läuft es nicht gut. Allerdings versucht sie sich das nicht anmerken zu lassen, was auch ganz gut gelingt, bis sie auf eine Klassenfahrt g...