„Hallo! Ich bin wieder da!“ rief eine laute, fröhliche und weibliche Stimme. Sofort sank Johannas Mut wieder. Es war ihre Mutter. Natürlich freute sie sich darüber, dass diese wieder gute Laune hatte, aber sie hatte doch gehofft, dass ihr Vater wieder gekommen war. Aber dem war nicht so. Und es war ihre Schuld! „Bist du mit dem Referat fertig?“ fragte ihre Mutter, kaum hatte sie die Schuhe ausgezogen. Gähnend schüttelte Johanna den Kopf, von einer plötzlichen, unbändigen Müdigkeit überfallen. „Mir fehlt aber nur noch das Fazit und meine Meinung, was Humanismus ist.“ Erklärte sie, damit niemand denken könnte, dass sie nichts getan hätte. „Gut, dann mach für heute Schluss. Hast du noch Hausaufgaben auf?“ Führte die Frau das Gespräch weiter und stellte die Frage, der ihre Tochter am liebsten aus dem Weg gegangen wäre. Die Angesprochene seufzte leise, nickte dann aber. „Ja, Latein, Deutsch und Mathe. Aber Deutsch ist nur ein Aufsatz, den kann ich später noch schreiben. Nächste Woche oder so.“ Während die Schülerin ihren Plan mochte schien er ihrer Mutter und Grundschullehrerin nicht zu gefallen, da sie Kritik daran äußerte, „Also, du weißt genauso gut wie ich, dass du den Aufsatz schon gestern hättest schreiben sollten und ihn am Montag nachreichen sollst, deswegen wirst du den heute schreiben und nicht erst nächste Woche. Das steht gar nicht erst zur Debatte! Außerdem kenne ich dich, wenn du deine Hausaufgaben heute nicht machst, dann vergisst du es und am Montag nach dem Segellager ist das Geschrei dann groß, wenn dir auffällt, dass du deine Hausaufgaben vergessen hast. Also nein! Du machst das heute! Dann hast du es auch rum, ist doch schön.“ Genervt rollte die Braunhaarige mit den Augen und wandte ein. „Aber, Deutsch hatte ich ja schon angefangen, nur bin ich halt noch nicht fertig. Aber den Rest kann ich auch morgen in der S-Bahn machen. So viel ist das auch gar nicht! Wir müssen nur argumentieren und es wird sowieso nicht eingesammelt, also kann ich ,theoretisch betrachtet, irgendwas hinschreiben. Und die anderen Sachen werde ich schon nicht vergessen! Wirklich! Ich schreibe es mir auch auf!“ Diese Antwort schien falsch gewesen zu sein, denn nun verschärfte sich der Ton ihrer Mutter merklich. „Du machst deine Hausaufgaben heute! Punkt, aus, Ende! Und was soll das eigentlich heißen, dass du Deutsch in der S-Bahn schreiben willst? Ich glaube ich höre nicht richtig! Nur weil du 35 Minuten lang fährst heißt das noch lange nicht, dass du da noch Hausaufgaben machst! Die Zeit ist zum Vokabeln lernen da, aber nicht für Hausaufgaben!“ Obwohl Johanna mitbekam, dass sie sich auf dünnem Eis bewegte und lieber ihre Hausaufgaben machen sollte, ohne irgendwelche Wiederworte von sich zu geben, missachtete sie diese Erfahrung und wiedersprach nochmals. „Aber-“ Doch nun schien es ihrer Mutter zu reichen. „Johanna Elisabeth Pfohlmann!“ sprach ihre Mutter mit gefährlich ruhiger Stimme. Die Jugendliche zuckte zusammen. Mit dem vollen Namen angesprochen zu werden war nie ein gutes Zeichen. Augenblicklich versuchte das Mädchen die Situation zu entschärfen, sie griff nach ihrer Schultasche und sagte währenddessen schnell „Also, wenn ich es mir nochmal genau überlege, dann hast du schon recht. Ich sollte wirklich besser jetzt meine Hausaufgaben machen“, damit verschwand sie schnell in dem Zimmer von ihrer Schwester und ihr, welches, so wie eigentlich immer, nicht aufgeräumt war.
Nachdem sich Johanna einen Weg durch das Chaos gebahnt hatte und ihren, zu ihrem Erstaunen, sogar relativ ordentlichem, Schreibtisch gelangt war, setzte sie ihre Tasche ab und holte Mathe heraus. Darauf hatte sie zwar am wenigsten Lust, aber dann waren zumindest vorbei. Doch kaum hatte sie ihr Mathebuch aufgeschlagen und die Aufgabenstellung gelesen wollte sie auch nicht mehr. „Für die Skizze gilt: AB||CD. Bestimme die Innenwinkel β,γ und δ. Trage dazu wichtige Winkelmaße ein und schreibe den Rechenweg auf“, murmelte sie und beschloss diese Aufgabe am Ende zu machen und stattdessen mit einer anderen zu starten, obwohl diese nicht verlockenden klangen. „Lineare Gleichungen. Berechne: a) 2(5x-7,33)-5,4x=3+×-×+15“, laß sie leise und schrieb dann die Aufgabe ab. Lieber rechnete sie irgendwelche Gleichungen als Winkel zu erknobeln oder Funktionen zu raten. „Also… 10x-14,66-5,4x=18. Na, so schwer ist das ja jetzt auch nicht!“ Flüsterte sie, während sie gleichzeitig die Rechnung aufschrieb. „4,6x=3,43. Och nö! Was ist das denn für eine Rechnung? Jetzt muss ich so ne doofe Nebenrechnung machen. Also… x=3,43÷4,6. Gar keine Lust!“ Kurzentschlossen griff das Mädchen nach ihrem Handy und tippte die Rechnung in den Taschenrechner ein. „0,7260869... Was ist das denn für eine Lösung? Wer hat sich denn bitte die Aufgabe ausgedacht?“ fragte sie sich laut, notierte aber das Ergebnis. Sollte sie einen Rechenfehler irgendwo gemacht haben, dann war es ihr komplett egal. Nochmal nachrechnen würde sie auf jeden Fall nicht! Schließlich musste sie die ganze Aufgabe ausrechnen und es ging bis o. Da hatte sie genügend zu tun, vor allem weil manche einen Bruch beinhalteten. Eine halbe Stunde später schlug sie dann jedoch ihr Mathebuch und Heft zu, froh es hinter sich zu haben und dennoch frustriert, weil jetzt noch Latein und Deutsch kamen. „Deutsch mache ich später, da ich da nicht mehr so gut denken können muss.“
Sie zog ihr Lateinbuch aus der Schultasche, zusammen mit ihrem Heft und schlug beides auf. „Vokabeln lernen ich morgen, vielleicht auch übermorgen oder nächste Woche. Mal schauen. Und schriftlich- ah ja- ‚Allein unter Barbaren- Ovid schreibt an einen Freund.‘ Das klingt ja wirklich sehr spannend- nicht!“ Gelangweilt und genervt öffnete die Schülerin ihren Füller und begann zu übersetzen. „Romae esse cupio; nihil magis opto. Bin ich Römerin oder was, dass ich das kann? Nein. Eben! Aber egal, noch ein Strich und ich muss Nachsitzen, also mache ich es lieber. Tja, wenn man zweimal seine gemachten Hausaufgaben auf dem Schreibtisch vergisst, der hat es auch nicht anders verdient. Also- Ich will in Rom sein, nichts wünsche ich mehr. Stimmt das? Klingt zumindest logisch.“ Selbstgespräche führend schrieb sie den Satz auf und kommentierte die anderen auch, die sie so ebenfalls übersetzte und aufschrieb, sodass sie am Ende ihre Hausaufgaben gemacht hatte. Da sie dafür nur eine Viertelstunde gebraucht hatte war es gerademal 17 Uhr, weswegen Johanna sich entschied doch nicht nur irgendetwas für Deutsch hinzuschreiben, sondern sich wirklich etwas in das Thema einzulesen. Doch zuerst schlug sie ihr Heft auf um zu schauen, was sie schon hatte, vielleicht fehlten ja nur noch ein Argument, der Rückbezug, oder ein Einwand und der Schluss. Leider war dem nicht so, wie Johanna gleich darauf sah, denn ihr Blatt war, abgesehen von der Überschrift noch komplett weiß, abgesehen von kleinen Zeichnungen am Rand des Heftes. Schnell überflog die Schülerin die Überschrift, um zu überlegen, was sie dazu schreiben könnte.
„Soll für Minderjährige der Besuch von Lasertag-Arenen verboten werden?“
Davon abgesehen, dass sie nicht mal wusste was Lasertag überhaupt war schien es ihr ein halbwegs spannendes Thema zu sein, zumindest besser als Maskenpflicht in Schulen oder Dieselfahrverbot in Deutschen Innenstädten, wobei auch diese Themen durchaus ihren Charme gehabt hatten. Aber da das Mädchen sich das Ziel gesetzt hatte vernünftig zu argumentieren laß sie sich erstmal ein um zu wissen worüber sie argumentieren sollte, dafür hatten sie schließlich einen Artikel aus der SZ gestellt bekommen. Nach wenigen Minuten war ihr klar, dass sie pro Verbot sein wollte und begann ihre Argumente stichpunktartig zu notieren. „Ähm, Gewaltaspekt, man schießt mit waffenähnlichen „Phasern“ auf Menschen und es ist auch Gewaltanregend. Vielleicht auch Desensibilisierung des Themas der Gewalt und des Krieges durch das Spielen mit Lastertag, weil es ja in dem Kontext Spaß macht mit Freunden sich gegenseitig abzuschießen und weil Jugendliche in ihrem moralischen Denken noch nicht gefestigt sind. Und als drittes Argument- naja, Lastertag war ursprünglich ein Trainingsprogramm des US-Militärs, also spielen Jugendliche eigentlich Krieg. Oder sehe ich das falsch? Ist ja auch egal, ich habe auf jeden Fall drei Argumente und als Gegenargument, dass man auf Prävention und Aufklärung in Lasertag-Arenen setzen sollte, dann kann ich auch gleich entkräften, indem ich sage, dass in den Arenen nicht aufgeklärt wird, was Spiel und was echt ist.“ Zählte sie auf und arbeitete es dann aus.
Eine Stunde später war sie fertig mit dem Aufsatz und stand auf. Ihre Hand tat weh vom vielen Schreiben, aber sie war zufrieden mit der Argumentation. Mit etwas Glück hätte sie darauf sogar eine 2 bekommen können, wenn es eine Schulaufgabe gewesen wäre. Nun allerdings hatte sie genug von Hausaufgaben und lernen, deswegen schnappte sie sich ihr Handy und legte sich ins Bett, nachdem sie ihre Kopfhörer angesteckt hatte. Doch als sie im Bett lag und ihr Handy entsperrt hatte war sie ratlos und wusste nicht, was sie tun sollte, deswegen legte sie es wieder weg und griff stattdessen nach einem Buch, welches in ihrer Nähe lag. Es war: „Damals war es Friedrich.“ Ein flüchtiges Lächeln huschte über ihr Gesicht. Das Buch hatte sie zum ersten Mal in der zweiten 6. Klasse gelesen, zusammen mit „Der gelbe Vogel“. Ihr hatten die Bücher gut gefallen, das Thema sprach sie an und die Geschichten waren git geschrieben. Vor allem die Enden fand sie gut. Traurig ja, ohne Zweifel, sehr traurig sogar, aber gut und berührend. Bei den ersten malen lesen hatte sie meistens geweint. Wenn sie so darüber nachdachte, dann hatten vor allem diese beiden Bücher ihr Interesse an der Zeit des Nationalsozialismus angeregt, wobei auch die Nähe zur Gedenkstätte eine entscheidende Rolle spielte und je älter sie wurde, umso häufiger fragte sie nach dem Grund. Warum hatte Hitler die Juden als eine Gefahr betrachtet? Wie konnten die Menschen damals das was passierte mit ihrem Gewissen vereinbaren? Wie konnte es sein, dass Himmler, der am Wilhelmsgymnasium, ihrer Schule, früher Schüler gewesen war, die humanistischen Werte vermittelt bekommen hatte, sich dann der NSDAP angeschlossen und so unglaublich viele grausame Dinge getan hatte? Warum verdrängen wir so gerne, dass unsere Großeltern und Urgroßeltern damals vielleicht auch in den Krieg gezogen waren und Menschen umgebracht haben? Weil wir es nicht wahrhaben wollen? Weil wir sie lieben und es nicht akzeptieren wollen? Wenn sie ehrlich zu sich war, dann wusste sie nur, dass ihre Großväter damals mit ihrer Mutter geflohen waren. Mehr hatte sie nicht in Erfahrung bringen können. Noch öfter hatte sie nachgefragt und als Antwort bekommen, dass es damals eben so gewesen war. Doch dies hatte nur den Verdacht in ihr verstärkt, dass ihre Ur- und Großeltern mehr darüber wussten als sie zugeben wollten, was im Johanna wieder neue Fragen aufwarf. Doch sooft sie schon darüber nachgedacht hatte kam sie auf keine Lösung. Und doch hinterfragte sie es jedes mal aufs neue. „Johanna! Es gibt Abendessen! Deckst du bitte den Tisch?“ Rief ihre Mutter nach ihr und riss sie so aus ihren Gedanken. Seufzend legte sie ihr Buch weg. Am liebste wäre das Mädchen nicht gekommen, einerseits weil sie wirklich keinen Hunger hatte und andererseits, da sie sowieso viel zu dick war und sie unbedingt abnehmen musste. Vielleicht würden dann auch die Gespräche hinter ihrem Rücken darüber verstummen und Andeutungen ihrer Familie, welche diese häufiger äußerten. Jedoch wurde ihr sowohl gesagt, dass sie weniger essen und abnehmen sollte, als auch, dass sie mehr essen müsse, da es doch nicht gesund wäre kaum etwas zu sich zu nehmen. Mittlerweile kam es Johanna so vor, als wäre alles was sie tat falsch. Doch auf eine weitere Diskussion mit ihrer Mutter hatte sie auch keine Lust und die Wahrscheinlichkeit, dass ein nicht erscheinen beim Abendessen diese zu Folge haben könnte war ihr dann doch zu hoch, weswegen sie, wenn auch widerwillig, in die Küche ging. „Da bist du ja. Deck doch bitte Messer, ja? Es gibt Brotzeit.“ Bat ihre Mutter sie und ohne irgendwas zu sagen tat sie was von ihr gefordert war. „Hol doch bitte Daniel und Carla.“ Trug sie ihr auf, während sie Brot auf den Tisch stellte. Also schrie die Jugendliche nach ihren Geschwistern. „Es gibt Abendessen!“ Woraufhin sie einen genervten Blick abbekam. „Schreien hätte ich selbst können! Die paar Meter wären nun wirklich nicht zu viel verlangt gewesen.“ Schulterzuckend quetschte sich Johanna auf die Bank. Kurz darauf hörte sie die Schritte ihrer Geschwister auf dem Boden und ihre streitenden Stimmen. „Ich bin viel schlauer als du!“ rief ihre kleine Schwester. "Gar nicht war! Du bist in der 4. Klasse, ich in der 6. Ich bin viel schlauer!" Johanna verdrehte die Augen. Man konnte Intelligenz doch nicht an Noten festmachen. Das ging einfach nicht! Soziale Kompetenz und Intelligenz wurde in der Schule, zum Beispiel, überhaupt nicht abgeprüft. Auch nicht ob man kreativ ist, gut mit Menschen umgehen kann, etc. Zudem waren Noten auch noch ungerecht und kamen auf die Stimmung des Lehrers an, ob er einen mochte oder nicht, wie gut die anderen in der Klasse waren, etc. Die laute Stimme ihrer Mutter, welche ihre Geschwister zum Schweigen brachte ließ sie wieder aufschrecken. "Guten Appetit!" Wünschte sie schnell allen und widmete sich schnell dem Essen um keine Gespräche führen zu müssen, was gut klappte, da ihre Geschwister die ganze Aufmerksamkeit ihrer Mutter auf sich zogen. Währenddessen dachte sie darüber nach, wie sie es schaffen könnte nicht ins Segellager mitführen zu müssen.
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The enemy in me
Mystery / ThrillerEs geht um ein Mädchen, das viele Probleme in ihrem Leben hat. Sie hat Prüfungsangst, Depressionen und zu Hause läuft es nicht gut. Allerdings versucht sie sich das nicht anmerken zu lassen, was auch ganz gut gelingt, bis sie auf eine Klassenfahrt g...