Dropping in

Selia

"Verdammt ja, ich werde dir deine Beiträge pünktlich abliefern!" Ich sehe noch wie die Buchstaben auf meinem Handy-Display den Namen von meinem Chef bilden, bevor ich auf den roten Hörer drücke und den Anruf beende. Das Journalistenleben ist nicht immer das wofür man es hält. Das dauernde Wettrennen gegen die Uhr und unzählige Deadlines erschweren mir momentan den Arbeitsalltag. Ich renne von einem Termin zum nächsten und versuche nicht komplett wahnsinnig zu werden. Ganz in mir drin schlummert die Hoffnung, dass dies in dieser Woche anders wird. Ganze sieben Tage werde ich nun hier in Laax verbringen. Ein kleiner Ort umgeben von wunderschöner Bergwelt in der Schweiz. So idyllisch wie das nun auch klingen mag, das 1'300 Seelen-Dorf verwandelt sich in dieser Woche zum Hotspot der Freesytlesportler. Athletinnen und Athleten aus der ganzen Welt reisen an, um bei den Laax Open teilzunehmen. Und um den Sportanlass in die Welt hinaus zu tragen, sind Journalisten wie ich vor Ort. da gibt es nur einen Unterschied. Die Meisten reisten mit riesigen Teams, Tonnen an Equipment und eigenen LKWs an. So aber nicht ich. Ich stehe vollbepackt mit Koffer, Kameratasche und Stativ bei der Talstation auch "rocksresort" genannt.

Rund um mich herum stehen gleich aussehende Gebäude. Gross und mit einem Flachdach sehen sie sehr modern aus, die Fassade besteht aber aus hellem Stein. verschieden grosse Fenster umrundet von hellen, breiten Holzbalken vervollständigen das Bild und geben der doch eher kalten Steinfassade optisch ein wenig Wärme. Eine Mischung aus modern und doch natürlich lassen diese Gebäude wunderschön wirken.

Das vibrieren meines Handys bringt mich von meiner Gebäude-Studie zurück ins hier und jetzt. Genervt, dass es schon wieder mein Chef sein könnte, der mich auf die nächste Deadline hinweisen möchte, krame ich es aus meiner Jackentasche hervor. ZU meiner Überraschung ist es eine neue Mail von Sam, der Medienverantwortlichen der Laax Open.

" Liebe Selia,

Ich hoffe du bist gut in Laax gelandet und findest dich so weit zu recht. Nur zur Erinnerung, das Akkreditierungs-Zentrum hat heute nur bis 17.00 Uhr geöffnet. Deine Hotelschlüssel wie deine Pressemappe inklusive Medien-Badge liegen hier bei mir bereit."

Ich muss einmal schwer schlucken, als ich bemerke, dass mir genau noch 10 Minuten bleiben das Zentrum zu finden. Wie eine verrückte renne ich mit meinem ganzen Gepäck von Steingebäude zu Steingebäude, in der Hoffnung irgendwo richtig zu sein. Beim letzten Haus angekommen fällt mir ein Stein vom Herzen. Ich stehe vor einer automatischen Schiebetür aus Glas. So einer wie man sie zum Beispiel aus Geschäften kennt. Auf den Türen kleben grosse Sticker des Laax Open. Ein Bild der Halfpipe und im Vordergrund der Umriss eines Snowboarders. Hier muss ich als richtig sein. Gerade Als ich durch die Türe gehen will verkeilt sich eine Rolle meines Koffers im Pflastersteinboden. Ich drehe mich um und ziehe mit beiden Händen daran, um so schnell wie möglich weiter zu gehen. Nach mehreren Versuchen löst sich die Rolle und ich taumle ein paar Schritte rückwärts. " Oh fuck, Sorry!"

Mein Stativ, welches ich mir unter den Arm geklemmt hatte, fliegt durch den halben Hausgang. Ich brauche einen Moment bis ich realisiere, dass ich durch meine Gleichgewichtsprobleme gerade gegen jemanden gefallen bin. Als ich mich umdrehe blicke ich in grosse, tief braune Augen. " Alles okay bei dir?" Ich sehe zu meinem Stativ, welches verloren auf dem Boden liegt, und wieder zurück zu ihm. Er fährt sich mit einer Hand gerade durch seine braunen Haare und blickt mich fragend an. Ich brauche einen kurzen Moment, bis ich realisiere, dass die Frage ja an mich gerichtet war. " Oh entschuldige, ja alles okay. Ich bin nur etwas durch den Wind."  Ein Lächeln zuckt über sein Gesicht. Dann ertönt plötzlich eine Stimme aus dem Nebenraum. " Selia, da bist du ja. Ich dachte ich muss noch einen Suchtrupp losschicken." Ich muss lächeln, als ich die Stimme von Sam höre. Während der Vorbereitungen für diese Woche hatte ich doch einige Male mit ihr telefoniert. Es tut gut eine bekannte Stimme zu hören.

Ich muss lächeln und drehe mich nochmals zum doch athletisch gebauten jungen Mann, um mich zu entschuldigen, doch ich blicke ins Leere. Er ist weg.