Alltag

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Ich hasse diese Einsatzmeldung. Allgemeines Unwohlsein kann einfach alles bedeuten. Es dauert nicht lange, da kommen wir an der gemeldeten Einsatzstelle an. Vor Ort sehen wir keinen Melder, daher betreten wir den angegebenen Friseursalon. Sofort erblicken wir eine ältere Dame, die mit zusammengesackter Statur auf einem der Friseurstühle sitzt. Neben ihr steht eine Trockenhaube. Allem Anschein nach wurden gerade ihre Haare gefärbt.

Eine junge Frau kommt uns entgegen. „Gut, dass sie da sind. Der Dame ist schlecht."

„Okay, bleiben Sie ganz ruhig, wir sind jetzt da und helfen ihr", versucht Franco die Dame zu beruhigen, während ich schonmal zur Patientin gehe.

„Elisabeth Huber, Sanitäterin. Und wer sind Sie?" Allein aus Respektgründen frage ich nach, selbst wenn ich von der Einsatzmeldung den Namen schon kenne. Nachdem sie mir ihren Namen genannt hat, beginne ich mit der Anamnese: „Ich habe gehört, Ihnen geht es schlecht. Was ist los?"

„Ich fühle mich nicht gut, Schwindel, Herzrasen", antwortet die Dame, deren eingesunkenen Augen mir sofort auffallen.

„Luft bekommen Sie?", frage ich nach, während ich ihren Radialispuls am Handgelenk taste. Die Pulsfrequenz ist wirklich hoch.

„Ja, mit der Luft habe ich keine Probleme."

„Wie lange haben Sie denn schon die Beschwerden?"

„Ich habe mich heute Morgen schon unwohl gefühlt, aber jetzt wurde es schlimmer."

Beim Tasten des Pulses ist mir aufgefallen, dass sie stehende Hautfalten hat. Dies kann ein Hinweis auf Dehydration sein, ist aber bei älteren Menschen nur ein indirekter Hinweis. Daher hake ich nach: „Haben Sie heute ausreichend getrunken?"
„Getrunken?" Kurz überlegt die Dame. „Nein, heute noch nicht, gestern Abend ein Glas Wein."

Franco, der mittlerweile neben mir steht, nickt mir zu.

Während er alles für einen Zugang vorbereitet, informiere ich die Patientin: „Mein Kollege wird ihnen einen Zugang legen, das gibt nur einen kleinen Piecks, und etwas Flüssigkeit darüber geben. Flüssigkeitsmangel passt zu ihren Symptomen." Während Franco die Viko legt und die Infusion anhängt, möchte ich weitere Ursachen ausschließen und messe daher den Blutdruck, der sich aber im Normbereich befindet. „Haben Sie Erkrankung? – Lunge, Herz, Leber, Niere?"

„Gallensteine."

„Sonst ist nichts bekannt?"

Da die Dame verneint, möchte ich lediglich noch den Blutzucker messen, wobei ich ihr erneut das Vorgehen erläutere. Franco klemmt ein dreikanaliges EKG an, um Herzrhythmusstörungen auszuschließen. Da der Blutzucker im Normalbereich liegt, das EKG keine Auffälligkeiten aufweist und die Dame selbst angibt, dass es ihr besser gehen würde, steht für mich die Ursache ihrer Beschwerden fest, was ich ihr auch nochmal mitteile. Freiwillig fährt sie mit uns ins Krankenhaus, wo ich sie dem diensthabenden Arzt in der Notaufnahme übergebe. Damit ist dieser vergleichsweise harmlose Einsatz beendet und wir fahren zurück zur Wache.

Nur noch Marion und Yannik sind auf der Wache, doch statt uns zu ihnen zu gesellen, gehen wir in die Küche, um endlich etwas zu essen. Zum Glück waren die Kollegen so nett und haben uns etwas übrig gelassen. Kurz darauf trifft auch Olli ein und schnappt sich einen halbvollen Teller – offenbar wurde er während dem Mittagessen gestört.

„Was war los?", fragt Franco ihn.

„Verdacht auf HI im Altenheim. EKG und Blutdruck waren aber völlig in Ordnung. Wie sich rausstellte hatte der Mann einfach etwas Schweres gehoben, was die Muskeln ihm verübelt haben. Thomas und Philipp fahren ihn trotzdem in die Klinik. Und bei euch?"
„Dehydration bei einer älteren Dame unter der Trockenhaube", antwortet Franco ihm, da ich gerade mit den Spaghetti kämpfe. „Wo hast du Ben gelassen?" Mit Ben meint Franco wohl Benjamin, Ollis NEF-Fahrer heute.

112 - Das TeamWo Geschichten leben. Entdecke jetzt