Erkenntnis

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Es dauert lange bis wir bereit sind wieder in die reale Welt zurückzukehren. Aber irgendwann löst Albus seinen Kopf von meiner Schulter und ich weiß es ist Zeit für mich zu gehen. Ich erhebe mich von der Couch und bleibe etwas verloren mitten im Raum stehen. "Also... ich werde dann mal wieder gehen.", stottere ich etwas unbeholfen und verschwinde schleunigst aus Albus' Zimmer. Bis gerade eben hat Albus' Anwesenheit meine Gedanken zum schweigen gebracht. Das konnte er schon immer am besten. Das bloße Gefühl, dass er da ist konnte mich schon immer am besten beruhigen. Aber jetzt wo er nicht mehr neben mir sitzt stürzen die Gedanken auf mich ein wie ein Orkan. Ich muss mir über vieles klar werden, das weiß ich. Und das wird nicht einfach. Ich brauche erst einmal einen ruhigen Platz um in Ruhe nachzudenken. Also gehe ich in mein Büro und setze mich an meinen Schreibtisch. Von dort hat man einen wunderschönen Blick über das ganze Alpenpanorama. Auf den Berggipfeln kann man schon den ersten Schnee erkennen und mir wird bewusst wie lange Albus schon bei uns ist. Ich habe mich bereits so an seine Anwesenheit gewöhnt, dass ich mir gar nicht mehr vorstellen kann wie ich es so lange ohne ihn ausgehalten habe. Mein Blick fällt auf ein wichtiges Dokument auf meinem Schreibtisch, welches ich eigentlich bearbeiten sollte, aber dazu kann ich mich gerade nicht überwinden. Ich war mir immer so sicher mit dem was ich tue. Ich hatte nie auch nur den geringsten Zweifel daran, dass mein Weg der richtige Weg ist. Es ist unfair, dass wir Zauberer einen wichtigen Teil unserer Persönlichkeit, unseres Lebens vor aller Welt verstecken müssen. Natürlich verstehe ich warum die Muggel Angst vor uns haben. Ich hätte an ihrer Stelle wahrscheinlich auch Angst. Aber den drang der Menschheit alles und jeden angreifen zu müssen nur weil man etwas nicht versteht, habe ich noch nie verstanden. Die Zauberer sind den Muggeln überlegen, und trotzdem müssen wir unsere Existenz vor den Muggeln verstecken. Dadurch wird uns ein großer Teil unser Freiheit und unserer Möglichkeiten genommen. Ich wusste immer dass ich dagegen ankämpfen muss. Dass ich der Welt beweisen muss, dass man uns nicht unterdrücken kann. Auch Albus hatte mal diese Überzeugung. Aber nach Arianas Tod hat er sich komplett geändert. Ich weiß nicht mal genau warum. Er hat einfach aufgehört zu leben. So als wäre ein Teil von ihm mit ihr gestorben. Er hatte so viele Pläne, er wollte so viel im Leben erreichen. Nicht nur unsere gemeinsamen Pläne. Er wollte die Welt bereisen und neue Orte und Kulturen entdecken. Er wollte sein Talent nutzen um die Welt zu verändern und zu verbessern. Und jetzt? Jetzt ist er Lehrer. Oder war Lehrer. Jetzt sitzt er den ganzen Tag in seinem Zimmer, in der Bibliothek oder im Garten und blättert in irgendwelchen Büchern. Schon klar, er hat früher auch gerne gelesen. Eigentlich hat er kaum ein Buch aus der Hand gelegt. Aber er hat gelesen um sich weiter zu bilden und neues zu entdecken. Wenn ich mir jetzt die Bücher so ansehe die er liest sind es hauptsächlich Fantasyromane. Als wolle er in den Büchern sein verpasstes Leben nachholen. Als hätte er sich damit abgefunden sein restliches Leben eingesperrt hinter meinen Schlossmauern zu verbringen. Das wünsche ich mir nicht für ihn. Aber eigentlich bin ich an seinem Zustand schuld. Sowohl indirekt als auch direkt. Ich habe indirekt den Tod seiner Schwester verursacht. Albus hat wegen mir mit seinem Bruder gestritten. Und direkt, weil er den Auftrag bekommen hat mich zu töten. Aber er hat sich dazu entschieden es nicht zu tun. Das hat ihn selbst zu einem gejagten gemacht. Diese Erkenntnis trifft mich wie ein Dolch. Ich bin der Grund für Albus' Leid! Bei dem Gedanken zieht sich mein Herz schmerzhaft zusammen. Wie kann er mich immer noch lieben? Wie kann er mich immer noch auch nur ansehen? Ich hab sein gesamtes Leben zerstört! Wären wir uns nicht begegnet hätte Albus eine Weltreise machen können, er hätte auf egal welchem Fachgebiet glänzen und der größte Zauberer aller Zeiten werden können. Ihm muss das einfach bewusst sein. Wie in Trace stehe ich auf und verlasse mein Büro. Meine Beine bewegen sich aber ich weiß nicht wohin sie mich tragen, bis ich vor Albus' Zimmertür stehe und meine Hand wie von selbst anklopft. Erst jetzt fällt mir auf was ich hier mache und frage mich augenblicklich warum ich hier bin. Doch noch ehe ich wieder umdrehen kann geht die Tür auf. "Gellert? Ist alles in Ordnung? Hast du irgendwas vergessen?, ertönt Albus' Stimme in meinem Ohr. "Ja, nein, eigentlich nicht. Ich wollte nur... Entschuldigung hast du Zeit zu reden?" Himmel was ist denn bitte mit mir los? Seit wann kann ich keine vernünftigen Sätze mehr bilden? Reis dich zusammen!, ermahne ich mich selbst. Wir sind beide keine Kinder mehr und können vernünftig miteinander reden. Albus tritt einen Schritt zur Seite und lässt mich eintreten. Dabei sieht er mich besorgt an. "Geht es dir gut? Ist irgendetwas passiert?" Wir setzten uns wieder auf die Couch und Albus wartet geduldig bis ich bereit bin zu sprechen. Ich muss ihn einfach fragen warum er sich für so ein Leben entschieden hat. Während meines gesamten Monologs wendet Albus kein einziges Mal seinen Blick von mir ab. Trotzdem halten wir einen respektvollen Sicherheitsabstand. "Warum bist du hier? Ich hab dein Leben zerstört!" Jetzt ist es raus. Jetzt habe ich die Frage gestellt dessen Antwort mir so viel Angst macht. Doch um Albus Lippen spielt ein lächeln. "Weil ich dich Liebe!"

Grindeldore FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt