»War nur geraten«, lache ich peinlich berührt auf und schiebe meinen Stuhl ein Stück zurück, um mich erheben zu können. »Ich werde Ihnen dann jetzt etwas Privatsphäre mit Ihrem Sohn lassen.«
»Wissen Sie, ob Dr. Davis heute im Dienst ist?«, fragt seine Mutter hoffnungsvoll, als ich den Raum in Richtung Tür durchquere. »Wir haben Morgen ein Gespräch mit ihm, aber ich würde ihn gerne gleich schon–«
»Schatz«, ergreift ihr Mann das Wort und berührt sie liebevoll am Arm, »ich schätze, wir werden uns bis morgen gedulden müssen.«
»Ich kann gerne mal nachfragen, ob Dr. Davis kurz Zeit für Sie hat«, biete ich an, doch der Vater schüttelt dankbar den Kopf.
»Er wird uns nicht sagen können, wann Ethan aufwacht. Wir müssen einfach abwarten und das Beste hoffen«, antwortet er mit einem Lächeln. »Trotzdem danke für Ihr Angebot.«
Ich nicke, werfe Ethan noch einen heimlichen Blick zu und verlasse dann das Zimmer. Als ich die Tür hinter mir schließe, atme ich erleichtert aus. Genau in diesem Moment kommt Kate mir mit überraschter Miene entgegen.
»Alles okay?«, will sie wissen. Sie bleibt vor mir stehen und mustert mich irritiert. »Warum bist du nicht mehr bei Mr. Marsh?«
»Seine Eltern sind gekommen und ich wollte ihnen ein wenig Zeit als Familie geben.«
»Verstehe«, sagt sie und wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. »In zehn Minuten muss ein Patient aus dem OP abgeholt werden. Kannst du das übernehmen?«
»Klar«, erwidere ich sofort, allerdings ist mir klar, dass sich meine Gedanken trotzdem nur um Ethan drehen werden. Unabhängig davon bemühe ich mich natürlich, keine weitere Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.
****
Eine Stunde vor Schichtende, bittet mich Kate, erneut nach meinem Traummann zu sehen. Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer, denn seine Eltern sind vor etwa einer Stunde gegangen und somit habe ich tatsächlich nochmal die Möglichkeit, ihn alleine zu sehen.
Es ist jedes Mal ein überwältigendes Gefühl, in sein Zimmer einzutreten. Einerseits fühle ich mich ihm extrem verbunden, aber andererseits ist mir natürlich bewusst, dass er – rein logisch betrachtet – ein Fremder ist. Zumindest in dieser Welt.
Leise trete ich an sein Bett heran und beobachte, wie sich sein Oberkörper in regelmäßigen Abständen hebt und senkt. Er sieht so friedlich aus, dass ich mich sofort frage, ob er wohl gerade etwas träumt? Vielleicht sogar von mir?
»Ich bin für dich da«, verspreche ich und kann nur mühsam ein Seufzen unterdrücken, während ich sehnsüchtig sein Gesicht betrachte. »Es wird alles gut werden, du musst nur aufwachen.«
Irgendwie hoffe ich die ganze Zeit darauf, dass er etwas von meiner Präsenz spürt und endlich die Augen aufschlägt. Vorsichtig streiche ich über seinen Arm, aber auch meine Berührung zeigt keinerlei Effekt.
Einen kurzen Moment stehe ich einfach nur auf der Stelle und sehe ihn an. Ganz egal, wie viele Schläuche zu seinem Körper führen: Er ist perfekt. Perfekt für mich.
Als ich mich schließlich zu den Maschinen drehe, um die Vitalwerte zu überprüfen, stelle ich erleichtert fest, dass alles in Ordnung scheint. Natürlich hätte es ansonsten bereits einen Alarm gegeben, aber es mit eigenen Augen zu sehen, ist trotzdem beruhigend.
Leider kann ich nicht ewig bei ihm bleiben, weshalb ich mich anschließend widerwillig von ihm verabschiede. Da meine nächste Schicht erst fünf Tage später sein wird, schaffe ich es kaum, mich von ihm loszureißen.
Fünf Tage ohne die Möglichkeit, ihn sehen zu können, fühlt sich wie eine kleine Unendlichkeit an. »Vielleicht schaffst du es ja nochmal, mich in meinen Träumen zu besuchen«, flüstere ich hoffnungsvoll, den Blick noch immer auf ihn gerichtet.
Irgendwie bewerkstellige ich es, mich loszureißen und zurück ins Schwesternzimmer zu gehen. Kate sitzt am Computer und schaut kurz zu mir auf, als ich den Raum betrete. »Alles gut bei Mr. Marsh?«, versichert sie sich.
»Alles in bester Ordnung«, beruhige ich sie und setze ein Lächeln auf, um irgendwie meine Schwermut vor ihr zu verbergen. Die Erkenntnis, ihn gerade vorläufig das letzte Mal gesehen zu haben, lässt mich innerlich zerbrechen.
»Das ist gut«, gibt sie zufrieden zurück. Sie wendet sich wieder dem Computer zu und ich möchte am liebsten die Zeit anhalten, um dem bald nahenden Feierabend zu entgehen.
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»Hast du dir schon ein Thema für die mündliche Prüfung ausgesucht?«, will Cassie von mir wissen, als wir nach der Vorlesung gemeinsam über den Campus schlendern.
»Hm«, mache ich, «ich denke, ich werde mich auf die Entwicklung des Denkens und der Informationsverarbeitung im Kindes- und Jugendalter festlegen.«
»Das hatte ich auch ins Auge gefasst«, antwortet meine beste Freundin. »Du hast aber auf dem Schirm, dass wir der Professorin bis Ende der Woche eine Rückmeldung geben müssen? Ansonsten bekommt man ein Thema zugeteilt und ich glaube, dass–« Cassie schafft es nicht, ihren Satz zu beenden, denn Nick taucht wie aus dem Nichts vor uns auf.
Oh Gott, bitte nicht.
»Hey«, begrüßt er uns und ich will bei der Erinnerung an unsere letzte Begegnung am liebsten im Boden versinken.
»Hi Nick«, ergreift Cassie die Initiative. »Wie geht's dir?«
»Etwas Stress in der Uni, aber das kennt ihr ja sicherlich«, erwidert er, bevor er dann doch noch das Wort an mich richtet: »Und wie geht es dir?«
»Nachdem ich mich im Heartbeat nicht gerade von meiner besten Seite gezeigt habe, ist mittlerweile alles wieder in Ordnung. Tut mir leid, wenn ich mich dir und deinen Freunden gegenüber unangemessen verhalten habe.«
»Ach was«, winkt er ab und ein ehrliches Lächeln bildet sich auf seinem Gesicht. »Vielleicht bekommen wir ja nochmal die Chance auf einen Neuanfang beim Feiern.«
»So ganz ohne kotzen und Diebstahl von Getränken?«, lacht Cassie mit einem Seitenblick in meine Richtung, woraufhin ich ihr meinen Ellenbogen in die Seite stoße.
»Würde mich auf jeden Fall freuen«, grinst Nick, bevor er sich auch schon wieder von uns verabschiedet und eilig in Richtung seiner Fakultät verschwindet.
»Er ist doch wirklich süß, oder?«, merkt Cassie an, als wir uns ebenfalls in Bewegung setzen, aber ich verdrehe lediglich meine Augen. Nick interessiert mich nicht. Er mag ein lieber Kerl sein, aber er ist nicht Ethan.
In diesem Moment klingelt mein Handy und ich ziehe ich es neugierig aus der vorderen Tasche meiner Jeans. »Es ist das Krankenhaus«, stelle ich durch einen Blick auf das Display fest. »Wahrscheinlich will wieder irgendwer einen Dienst tauschen.«
»Bennett«, melde ich mich und bin verwirrt, als Madelaine hektisch auf mich einredet. »Ich habe kein Wort verstanden«, schiebe ich also irritiert nach und kann hören, wie die Assistenzärztin tief einatmet.
»Ethan ist aufgewacht«, bringt sie schließlich aufgeregt hervor.
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Dreamer
Teen Fiction❝𝐒𝐢𝐞 𝐭𝐫ä𝐮𝐦𝐭 𝐣𝐞𝐝𝐞 𝐍𝐚𝐜𝐡𝐭 𝐯𝐨𝐧 𝐞𝐢𝐧𝐞𝐦 𝐌𝐚𝐧𝐧, 𝐝𝐞𝐧 𝐞𝐬 ü𝐛𝐞𝐫𝐡𝐚𝐮𝐩𝐭 𝐧𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐠𝐢𝐛𝐭. 𝐎𝐝𝐞𝐫 𝐯𝐢𝐞𝐥𝐥𝐞𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐝𝐨𝐜𝐡?❞ **** Die 21-jährige Allie führt ein unauffälliges Leben - zumindest für die Außenwelt. Fr...