Etwas ist anders. Obwohl die Situation natürlich noch immer belastend ist, spüre ich eine nicht zu leugnende Zuversicht. Der Abend mit Cassie und Madelaine hat mir vor Augen geführt, wie wichtig schöne Momente sind – selbst wenn man sonst das Gefühl hat, in vollkommener Dunkelheit zu versinken. Das Leben ist schön und daran werde ich von nun an wieder festhalten.
Mit dieser Einstellung trete ich meine Sonntags-Schicht im Johns Hopkins Hospital an und bin fest entschlossen, Ethan so gut ich kann bei seiner Genesung zu unterstützen. Ich will die beste Version von mir selbst sein und mich nicht weiter von meiner Angst leiten lassen.
Aufmerksam lausche ich während der Übergabe den Worten des Frühdienstes. Ethan wurde weiteren Tests unterzogen, die allesamt zufriedenstellend ausgefallen sind. Auch die Fraktur seines Schädels macht keine Probleme und die Ärzte sind zuversichtlich, dass der Riss innerhalb weniger Wochen verschlossen sein wird. Seine Wachphasen sind mittlerweile ebenfalls länger, gesprochen hat er jedoch immer noch nicht.
»Die Eltern von Mr. Marsh haben sich übrigens nach dir erkundigt«, wendet sich Anthony an mich, als die Übergabe beendet und das meiste Personal bereits aus dem Schwesternzimmer gehetzt ist.
»Wieso?«, bringe ich überrascht hervor und versuche aus seinem Gesicht abzulesen, ob ich irgendetwas falsch gemacht habe. Nicht auszudenken, wenn ich bei ihnen einen sonderbaren Eindruck hinterlassen hätte.
»Sie haben wohl das Gefühl, du könntest dich gut in ihren Sohn einfühlen«, erklärt er schulterzuckend, bevor er einen mir nur zu gut bekannten USB-Stick aus der Tasche seines blauen Shirts zieht und ihn in die Luft streckt. »Sein Vater hat mir den hier gegeben und meinte, du würdest dich mit der Musik gut auskennen. Vielleicht leistest du Mr. Marsh ein wenig Gesellschaft und spielst ihm ein paar Lieder vor?«
Ohne lange zu überlegen nehme ich den Stick aus seiner Hand. »Das mache ich sehr gerne«, antworte ich und kann nur mühsam ein breites Grinsen unterdrücken.
»Schön«, erwidert der Stationsleiter zufrieden. »Dann schau doch am besten gleich mal bei ihm vorbei. Wenn wir dich brauchen, weiß ich ja, wo du zu finden bist.«
Voller Hoffnung mache ich mich auf den Weg zu Ethan. Bevor ich die Tür öffne, straffe ich meine Schultern und trete dann zuversichtlich in sein Zimmer. Als ich zu ihm sehe, blickt er mir direkt in die Augen und mein Herz setzt für einen Schlag aus.
»Hey«, begrüße ich ihn und versuche dabei nicht zu überschwänglich zu wirken. »Ich dachte, Sie können ein bisschen Gesellschaft vertragen.«
Er antwortet nicht, aber das ist okay. Ich werde für ihn da sein.
»Wahrscheinlich erinnern Sie sich nicht an mich, aber ich habe mich vorgestern im Nachtdienst bereits vorgestellt«, sage ich möglichst souverän und ein Teil von mir hofft, dass er mir doch noch nonverbal zu verstehen gibt, mich zu erkennen.
Um die Stille ein wenig zu überbrücken, trete ich an die Fensterfront seines Raumes heran und ziehe den Vorhang ein Stück zur Seite, um ein wenig Sonnenschein hineinzulassen. Einen kurzen Moment verweile ich an der Glasscheibe, bevor ich mich der kleinen Musikanlage auf der Fensterbank zuwende, um dort den USB-Stick in die entsprechende Vorrichtung einzuführen.
»Etwas The Weeknd gefällig?«, frage ich unnötigerweise, denn ich weiß bereits, dass ich keine Antwort erhalten werde. Als das erste Lied ertönt, reguliere ich die Lautstärke auf ein angenehmes Maß und schnappe mir anschließend einen Stuhl, um ihn neben seinem Bett zu platzieren.
»Also«, beginne ich und deute unsicher auf die Sitzmöglichkeit, »ich würde mich gern zu Ihnen setzen, aber will mich auch nicht aufdrängen. Wenn ich gehen soll, drehen Sie einfach kurz den Kopf weg und ich lasse Sie in Ruhe.«
Ethan sieht mich eine Zeit lang an und scheint, über meine Worte nachzudenken. Als er auch nach einigen Sekunden noch immer keine entsprechende Bewegung gemacht hat, lasse ich mich glücklich auf den Stuhl sinken.
Was soll ich jetzt machen? Weiter auf ihn einreden oder ihn einfach in Ruhe seine Musik genießen lassen?
Spontan entscheide ich mich für letzteres und versuche eine angenehme Sitzposition zu finden. Ethan hat mittlerweile den Blick von mir abgewendet. Er scheint sich zu entspannen, was mir automatisch ein Lächeln auf die Lippen zaubert.
Oh Gott, wenn er nur wüsste, was er mir bedeutet.
Eine Zeit lang sitze ich schweigend neben ihm, aber entgegen meiner Befürchtung, ist es nicht komisch. Es fühlt sich einfach gut an, ihm Gesellschaft leisten zu können. Als ich irgendwann wieder zu ihm sehe, bemerke ich, dass er eingeschlafen ist. Zaghaft strecke ich meine Finger zu ihm aus, ziehe sie aber zurück, bevor ich seinen Arm berühre. Ich will nicht übergriffig sein, auch wenn jede Faser meines Körpers danach schreit, ihn anzufassen.
Natürlich habe ich mir in den vergangenen Tagen alle möglichen Artikel zu den Nachwirkungen einer solch schwerwiegenden Verletzung und eines damit einhergehenden Komas durchgelesen. Die erste Zeit nach dem Koma wird nicht umsonst Aufwachphase genannt. Jeder Mensch reagiert anders, aber die Hauptsache ist, dass die an Ethan durchgeführten Tests keine Auffälligkeiten ergeben haben.
Ich lausche seinen tiefen Atemzügen und frage mich, ob er wohl gerade etwas träumt. Ohne es geplant zu haben, beginne ich ihm von meinen Träumen zu erzählen. Im Flüsterton berichte ich von unseren Strandspaziergängen, dem Meer und den Sonnenuntergängen. Während ich spreche, sammeln sich Tränen in meinen Augen, aber es fühlt sich trotzdem gut an, mir alles von der Seele zu reden.
»... und nun bin ich hier, um für dich da zu sein. Das Schicksal hat uns zusammengeführt und auch wenn es verrückt klingt: Ich liebe dich, Ethan Marsh. So sehr, wie ich noch nie geliebt habe«, schließe ich meine Erzählung mit bebender Stimme ab.
Anschließend wische ich mir die Tränen aus dem Gesicht und erhebe mich, um Ethan in Ruhe schlafen zu lassen. Aus einem Impuls heraus, greife ich nach seiner Decke, um sie für ihn zu richten. In diesem Moment umschließt er zaghaft mein Handgelenk.
»Geh nicht«, flüstert er kaum hörbar.
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Dreamer
Teen Fiction❝𝐒𝐢𝐞 𝐭𝐫ä𝐮𝐦𝐭 𝐣𝐞𝐝𝐞 𝐍𝐚𝐜𝐡𝐭 𝐯𝐨𝐧 𝐞𝐢𝐧𝐞𝐦 𝐌𝐚𝐧𝐧, 𝐝𝐞𝐧 𝐞𝐬 ü𝐛𝐞𝐫𝐡𝐚𝐮𝐩𝐭 𝐧𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐠𝐢𝐛𝐭. 𝐎𝐝𝐞𝐫 𝐯𝐢𝐞𝐥𝐥𝐞𝐢𝐜𝐡𝐭 𝐝𝐨𝐜𝐡?❞ **** Die 21-jährige Allie führt ein unauffälliges Leben - zumindest für die Außenwelt. Fr...