Kapitel 2

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Drei Wochen war die Ermordung des alten Königs nun her und seit drei Wochen war Leucetius nun der König. Er wusste nicht, was er machen sollte, wie er mit dem Tod seines Vaters zurechtkommen sollte. Wer würde ihm nun helfen? Wen sollte er um Rat fragen?
Die Krönung war ein riesiger Reinfall gewesen und der König zum Gespött der Gesellschaft geworden. Die Krönung und der zusammenhängende Mord waren im vollen Munde. Jeder kannte diese tragische Geschichte und doch sprach jeder von dem Sohn, der seinen Vater nicht beschützen konnte, von dem König, der sein Volke in den ersten Minuten seines Königseins nicht retten konnte. Von dem Sohn, der seinen Vater vor den großen Sechs verraten hat. Dabei wusste Leucetius nicht einmal, wer der Mörder war. Im ganzen Königreich suchte man nach dem Königsmörder. Er vermutete, dass es etwas mit dem silbernen Lichtschein zutun hatte, den er kurz vor dem Anschlag im Dachstuhl des Thronsaals hatte aufblitzen sehen.
Grübelnd und in Gedanken versunken tigerte der neue König in seinem Schloss umher. Als Kind empfand er es als riesiges Labyrinth mit vielen Verstecken und aufregenden Abenteuern, aber nun, wo sein Vater tot war, empfand er es als kalt, einsam und viel zu groß. Der König fühlte sich in seinem eigenen Zuhause nicht mehr willkommen. Immer wieder dachte er über den Grund der Ermordung seines Vaters nach und immer wieder fiel ihm nur der eine Grund ein. Die Traditionen von Chess. Der einzige Grund, warum jemand den König töten wollte, musste der sein, dass das schwarze Königreich gewinnen wollte und dies beinahe geschafft hätte. Nach diesen Gedankengängen fühlte sich Leucetius immer beobachtet, als sei er das nächste Opfer. Als würde sein Leben frühzeitig beendet werden. Dann bekam er Angst und suchte nach seiner Dame, die ihn immer im Abstand von etwa 5 Metern verfolgte. Solange sie bei ihm sein würde, hätte er einen Teil seiner Sorgen beruhigt.
Während der junge König den Flur entlang lief, achtete er nicht auf den Weg und stieß mit seinem Fuß gegen etwas. Ein lautes Klirren war zu hören. Das laute Geräusch zog den König aus seinen Gedanken und schleuderte ihn zurück in den Flur des Schlosses. Der schwarz, weiß karierte Boden war mit einer dreckig, schaumigen Wasserschicht überschwemmt. Leucetius sah in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Auf dem Boden rollte ein Blecheimer umher, aus dem das Wischwasser lief. Die Füße des Königs waren nass.
„Mein König! Ich-", die weibliche Stimme, die zu Leucetius Ohren hereindrang, brach ab und verwandelte sich in einen hohen Schrei. Das zierliche Fräulein in dem schwarzen Kleid, das mit einer weißen Schürze kombiniert war, ruderte mit ihren Armen in der Luft und schien den Halt auf ihren Füßen zu verlieren. Sie stolperte nach vorne und fiel geradewegs auf den König zu. Sie fiel in seine Arme und schien erleichtert, dass sie sich nichts getan hatte, dennoch war sie zutiefst beschämt, dass sie sich so unzüchtig verhalten hatte. Der muskulöse König hielt sie fest in seinen Armen und schien überrascht über diese Situation. Er stellte sie wieder richtig auf ihre Beine und trat einen Schritt zurück. Das Dienstmädchen atmete erleichtert aus und richtete ihr Häubchen. Während des Vorfalls waren ihr ein paar Haare aus ihrem perfekten Dutt gerutscht und hingen ihr nun ins Gesicht. Die Dame eilte zu dem König und war im Begriff, das arme Dienstmädchen zu Rede zur stellen. Sie war bereits weiter zum König aufgeschlossen, als dieser sich zu ihr drehte und ihr mit einer Handbewegung deutete, dass es ihm gut ginge. Leucetius bemerkte, dass die Dame bereits die Hand an ihrem Schwertgriff hatte. In den letzten drei Wochen war sie besonders Vorsichtig geworden und zog bei jeder noch so kleinen Gefahr gleich das Schwert. Daraufhin verfiel die Dame zurück in ihre normale, kalte Maske. Sie stellte sich wieder aufrecht hin und trat ein paar Schritte zurück.
„Mein König! Ich bitte zutiefst um Verzeihung für mein frevelhaftes Verhalten! Ich hätte den Eimer nicht in den Weg stellen dürfen. Ich hätte besser aufpassen müssen!", das Dienstmädchen sprach mit leiser Stimme. Die Verzweiflung war in ihrer Stimme zu hören und man hätte fast Mitleid bekommen können. Sie knickste so tief sie konnte vor dem König und versuchte keinen Blickkontakt aufzubauen. Sie wollte sich nicht nochmal in der Gegenwart des Königs falsch Verhalten.
„Ich hoffe Ihr könnt mir verzeihen." Nun wagte sie einen kurzen Blick von unten in seine Augen.
Leucetius war von diesem Verhalten wenig überrascht. Alle behandelten ihn, als könnte er keinen Fehler machen und nur die anderen seien Schuld. Dabei war er es doch, der den Eimer umgestoßen und diese unangenehme Situation erst ausgelöst hat. Der König sah ihr in ihre Augen und war fasziniert von dem Anblick, der sich ihm bot. Obwohl sie ihm nur kurz in die Augen gesehen hatte, war er wie verzaubert von ihrer Schönheit. Ihre fast schon schwarzen Augen waren mit goldenen Sprenkeln um ihrer Pupille verziert.
„Ihr müsst mir verzeihen, meine Dame, ich war unachtsam und habe diese Situation erst verursacht. Ihr tragt keine Schuld.", kam es wie in Trance aus dem Mund des Königs. Er starrte sie weiterhin lächelnd an, während sie verwirrt den Kopf hob.
„Zudem hat es mir den Tag etwas versüßt. Eine kleine Ablenkung aus dem tragischen Alltag tut manchmal gut.", lachte er und hoffte innerlich, das Dienstmädchen, dessen Name er nicht kannte, würde ebenfalls lachen oder auch nur Schmunzeln. Selbst wenn sich nur einer ihrer Mundwinkel hob, würde sein Herz bereits einen Satz machen.
„Wie Ihr meint.", sagte das Mädchen freundlich und senkte ihren Blick wieder. Sie knickste erneut und machte sich wieder an ihre Aufgaben. Nun da der gesamte Flur mit einer Schicht aus Wasser bedeckt war, hatte sie noch mehr zutun und würde bis zum Abend arbeiten müssen.
Nach ein paar Sekunden löste sich der König aus einer Art Starre und setzte seinen Weg fort. Solange er das Mädchen sehen konnte, ließ er seinen Blick auf ihr ruhen und versuchte sich ihre Gestalt so gut es ging in seinen Erinnerungen einzuprägen.
Leucetius ging weiter den Flur entlang und sein Lächeln wollte nicht mehr von seinem Gesicht verschwinden.
Die Dame schloss zu dem König auf und lief nun neben ihm.
„Mein König, Ihr müsst ein wenig aufpassen, mit wem ihr welchen Umgang pflegt. Euch hätte sonst etwas passieren können. Ihr wisst nicht wem ihr vertrauen könnt. Der Mörder Eures Vaters läuft noch frei in Whitestonehall umher und er wird nicht aufhören bis er seine Mission erfüllt hat.", sagte die Dame zu ihrem König. Sie versuchte ihre Stimme ruhig klingen zu lassen, obwohl sie innerlich kochte. Die Situation von eben hatte ihr einen unheimlichen Schrecken eingejagt. Nachdem sie ihren alten König verloren hatte, schob sie sich selber die Schuld zu und versank in Schuldgefühlen. Sie war bei jeder kleinsten Situation angriffsbereit.
„Celeste, Bitte. Ich bin kein kleines Kind mehr. Ich kann auf mich aufpassen. Und das Dienstmädchen wird ja wohl kaum ein Königsmörder sein. Sie hat nur ihren Eimer achtlos stehen lassen, sodass ich dagegen stieß und sie ausgerutscht ist.", versuchte der König seine Dame zu beruhigen. Schweigen hüllte beide in Stille. Nur war diese Stille mehr angespannt. So empfand es zumindest die Dame. Dem König war es gleich, ob sie sprach oder schwieg.
„Wie ihr meint, mein König.", presste sie zwischen ihren Lippen hervor. Ihr Missfallen war deutlich aus ihrer Stimme zu hören. Leucetius musste ihr nur einen vielsagenden Blick schenken und sie wusste, dass er ihre Lüge nicht glaubte. Sie sollte ihre ehrliche Meinung ausdrücken. Darauf bestand er immer. Er wollte stets ihren Rat hören. Es war schließlich sie, die eine Ausbildung in Spionage, Kampfkunst und Verteidigung absolviert hatte. Da war ihm ihre Meinung als Spezialistin besonders wichtig. Schon 4 Jahre kannten sie sich und 4 Jahre hatte er sie wie eine gute Freundin gern gehabt.
„Auch eine Frau, selbst wenn es ein unschuldiges Dienstmädchen ist, kann gefährlich sein. Es sind meistens die unscheinbaren.", sagte sie, während sie mit ihren Schultern zuckte. Der König nickte verständlich und ließ die Situation noch einmal in seinem Kopf abspielen. Ihm war nichts besonderes aufgefallen, außer diese wunderschönen Augen. Ihm kam dieses Dienstmädchen nicht besonders gefährlich vor.
Schweigend liefen sie neben den vielen silbernen Rüstungen her, die in Abständen auf jeder Seite den Flur schmückten. An den weißen Wänden hingen in den Lücken Bilder aller Vorfahren. Hässlich, wie der König fand. Er hoffte, wenn es zu seinem Portrait kommen sollte, dass ihn der Künstler hübsch und charmant abbilden würde.

„Mutter, wie geht es Euch?", fragte Leucetius seine Mutter, die ihm Gegenüber an dem prunkvoll gedeckten Esstisch saß. Gegenüber konnte man es aber nicht wirklich nennen, dachte Leucetius. Seine Mutter saß mindestens 5 Meter von ihm entfernt. Sie mussten sich regelrecht anschreien, um sich zu verstehen. Des Königs Mutter saß, mit ihrer schwarzen Abendgarderobe schweigend am Tisch. Als ihr Sohn ihn ansprach, sah sie auf. Ihre Augen sahen leer und verweint aus. Sie hatte ihren Ehemann verloren und konnte sich kaum verabschieden.
„Gut, mein Sohn. Ich komme langsam wieder zu Kräften.", sagte sie ruhig, während sie auf ihrem Teller in ihrem Essen herumstocherte. Sie hatte noch keinen Bissen gegessen. Wieder schwiegen beide und Leucetius sehnte sich nach einem Gespräch. Die Stille war unheimlich und er wollte wieder das Gefühl von Geborgenheit spüren, das Gefühl einer Familie. Der König nahm den letzten Schluck aus seinem Goldbecher und stellte ihn wieder ab. Ein Dienstmädchen eilte schnell zu ihm und füllte den Becher wieder mit Wein auf. Er ließ es einfach über sich ergehen und aß weiter.
„Was habt Ihr heute schönes unternommen? Wart Ihr im Schlossgarten?", fragte Leucetius, um die Stille zu beseitigen. Seine Mutter hob entgeistert den Kopf.
„Lass den Quatsch, Leucetius. Ich bin nicht irgendein Weib, dass du höflich ansprechen musst. Ich bin deine Mutter.", sagte sie und konnte das Beben in ihrer Stimme kaum unterdrücken. Sie stand abrupt von ihrem Stuhl auf und schob diesen geräuschvoll zurück bis er umkippte und die zerbrochene Familie wieder in Stille hüllte. Trotz der Totenstille, konnte man die Anspannung fast hören.
„Mein Ehemann der König, dein Vater, ist ermordet worden und du fragst mich, wo ich war? Was kommt noch bis du endlich mit mir darüber sprichst?", die Königin schrie schon fast und die Tränen strömten ihr Gesicht herab. Außer Atem drehte sie sich von Leucetius weg und stürmte aus der Tür, die sie geräuschvoll ins Schloss fallen ließ, und hüllte ihn wieder in Stille.

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