Untitled Part 1

3 1 0
                                    


Mein Telefon klingelte. Das war ausgesprochen irritierend. Ich hatte nämlich gerade die Sim-Karte gewechselt. Zum zweiten Mal innerhalb einer Woche. Im Display waberte etwas sehr, sehr schwarzes. Möglicherweise hatte es auch Tentakel, aber die waren dann auch sehr, sehr schwarz. Ich konnte es nicht erkennen, hatte es noch nie gekonnt. In gewisser Weise war ich erleichtert. Für einen Augenblick hatte ich befürchtet, dass meine Frau auf irgendeine Weise an meine neue Nummer gekommen wäre.

Ich nahm das Gespräch an. Dieser Anrufer würde sich sowieso nicht abwimmeln lassen. "Was gibt's?" Die Stimme war ein dunkles Grollen: "Ein Auftrag." Ich war nicht überrascht. Warum sollte mich sonst einer der Großen Alten anrufen? Warum sollte mich überhaupt jemand anrufen? Ich wollte ja nicht einmal angerufen werden. Zwei Tage später organisierte ich ein Meeting.

Dazu bediente ich mich des Zugangs-Chips, den mir mein neuer Arbeitgeber gegeben hatte. Mit ihm ließ ich zuerst mich und dann die Teilnehmer des Meetings ins Gebäude. Meinen neuen, schicken Laptop benutzte ich, um das Überwachungssystem zu manipulieren, sodass unsere IT-Abteilung unsere Anwesenheit auch im Nachhinein nicht bemerken würde. Dann ging ich in die Kaffeeküche, um eine komplexe Liste von Heißgetränken für die Teilnehmer des Meetings und für mich zuzubereiten. Nachher würde ich die Maschine noch einmal reinigen und die Spülmaschine anschalten. Mein Arbeitgeber würde mir so nur drauf kommen, wenn irgendjemand die Zählerstände für Strom und Wasser am Samstag und Montag vergleichen würde.

Wie ich in diese Geschichte gekommen bin? Tja, das ist eine merkwürdige Sache. Es fing damit an, dass ich als Jugendlicher einmal am falschen Bahnhof ausgestiegen bin...
Ach so, wieso die Großen Alten auf einen Durchschnittstypen wie mich setzen, um ein streng geheimes Meeting zu organisieren? Schließlich haben sie doch Horden von Gläubigen und anderen willigen Handlangern. Na ja, die meisten dieser Leute sind durchgeknallte Sektierer, die nur Mus im Kopf haben. Außerdem sind sie durch die Bank ziemlich nutzlos, wenn es um Technik geht. Die singen halt eher stundenlang Beschwörungen, statt auf den Gedanken zu kommen, dass ein Kabel in einen Stecker muss.

Die Anzugtypen, die unseren Besprechungsraum nutzten, waren da ein ganz anderes Kaliber. Das waren zwar auch nur Handlanger im Dienste von Nyarlathotep, Shub-Niggurath, Hastur und Azaroth, aber sie waren eben auch knallharte Manager, die ihr Metier am MIT, der London Business School oder dem ENA gelernt hatten. Die gleiche Sorte leitete weltweite Konzerne, Banken, Staaten oder Gangstersyndikate. Während meiner verschiedenen Tätigkeiten habe ich gelernt, dass die Übergänge da oft genug fließend sind. Die hier projizierten statt Tortendiagrammen über Kosten und Erträge, solche über die Bevölkerungsentwicklung, die Urbanisierung bestimmter Regionen der Erde und den Einfluss, den diese Entwicklungen auf die Mana-Linien haben, auf die firmeneigene Leinwand.

Eine Frau mittleren Alters in einem Outfit von Zara, die immer nur lächelte, stellte das Problem an Beispielen aus Mexico-City und Kairo dar, ein Amerikaner mit einer mächtigen goldenen Rolex am schwarzen Handgelenk listete die Folgen auf, die sich aus den Aktionen des Islamischen Staates in Afghanistan, dem Irak und Syrien ergeben hatten. Das sehr, sehr empfindliche Gleichgewicht der Welt stand laut ihnen auf dem Spiel, mithin gar die Existenz der Erde selbst und ganz nebenbei die der Menschheit obendrein.

Eine Inderin, die anscheinend die Interessen Cthulhus vertrat, gab sich hingegen sehr, sehr entspannt. Seine Stadt R'lyeh lag auf dem Boden des Pazifiks in relativer Nähe zu Point Nemo, dem Punkt, der von jedem Festland und damit auch jedem Menschen am weitesten entfernt war. Der vierte Teilnehmer, ein wuchtiger Kahlkopf in einem teuren dunkelblauen Anzug wies mit einem dicken russischen Akzent darauf hin, dass dort inzwischen ein riesiger Müllstrudel im Meer trieb.

Die Frage war doch wohl, fasste nun eine Chinesin mittleren Alters zusammen, deren schulterlanges Haar schon komplett weiß war, wie man diese Energielinien neu kalibrieren könnte. Denn selbst wenn man eine hinlängliche Zahl von Medien, Magiern und Schamanen zusammenbrachte, um die Macht der Großen Alten zu diesem Zweck zu kanalisieren, so wäre es mit acht Milliarden Menschen auf der Erde doch unmöglich, es unbemerkt zu tun.

Als sie an diesem Punkt ihre Rede unterbrach, nutzte ich die Gelegenheit, um zu fragen, ob jemand Hefeteilchen oder Rohkoststreifen mit Dips haben wollte. Damit stieß ich auf wenig Gegenliebe. Ich machte mir eine Notiz für kommende Treffen, dass ich etwas anderes zum Knabbern besorgen musste. Ich vermute, dass in diesen Kreisen Berliner und Donuts obsolet sind und Dips eine Gefahr für den teuren Stoff, in den man sich gewandet.

Ich habe nun die unangenehme Angewohnheit, Gedanken auch auszusprechen, wenn ich sie denn einmal habe. Das hatte schon immer einen hemmenden Einfluss auf mein Vorankommen in meiner normalen Tätigkeit und war auch meinem Liebesleben nicht recht zuträglich gewesen. In diesem Fall konnte ich es mir nicht verkneifen, einen Namen zu nennen, ganz als wäre damit eine Lösung schon vollständig beschrieben: "Bill Gates".

Die anderen Anwesenden sahen mich an, als hätte ich den sozialen Aufstieg vom Team-Assistant zum Vollidioten geschafft. Der Amerikaner kratzte sich am Ohr: "Ich glaube nicht, dass er uns als externer Berater nützlich wäre. Außerdem hasst Melinda meine Frau." Wen interessierte seine Frau? Oder Melinda Gates?

"Nein, wir brauchen ihn nicht als externen Berater. Aber er spricht seit Jahren davon, dass der Menschheit eine Pandemie bevorsteht." "Eine Pandemie? So wie die Pest im Mittelalter? Aber selbst HIV ist doch heute heilbar." Die Frau, die immer lächelte, lächelte gerade nicht. Sie verstand mich aber auch noch nicht. "Nun, es gibt eine Krankheit, von der man die Menschheit nicht heilen kann." Ich war nun ungemein zuversichtlich. Schließlich hatte ich meine Tätigkeit als Kundenberater vollständig auf diese eine Erkenntnis gegründet. "Und das ist Dummheit."

"Wir leben", führte ich aus, "in einer Welt, in der ein Donald Trump Präsident der USA werden konnte. Und was ist mit Bitcoin? Mit Anna Sorokina? Mit Veganismus?" Ich beschloss, alle Berliner, die übrig waren, nachher mitzunehmen. Ich war gegen Verschwendung, aber sehr für kostenloses Essen. "An Leichtgläubigen und Dummen mangelt es gerade weltweit nicht. Das nicht auszunutzen, wäre Verschwendung. Erzählen wir ihnen, dass Bill Gates Recht hat und es eine weltweite Epidemie gibt. Vielleicht so eine Art Super-Über-Grippe. Nur nichts übertreiben. Sonst fällt noch auf, dass sich in den großen Städten die Leichen nicht am Straßenrand stapeln."

Der Typ mit dem osteuropäischen Akzent hatte seine Arme auf den Tisch gestützt und die Hände ineinander verschränkt. Seine Augen waren hellwach. "Ausgangssperren?" fragte er. "Aber hallo", antwortete ich. "Und alles, was unseren Spezialisten in der Planung noch so einfällt, um die Mobilität der Menschheit einzuschränken. Da gibt es bestimmt Konzepte aus Russland, den USA und China, die wir kopieren können."

Die Frau lächelte wieder: "Während der größte Teil der Menschen also zuhause sitzt und vor Angst zittert, können unsere Schamanen und Magier die Energielinien neu ziehen. Wir starten das ganze System in aller Ruhe neu." "Wir beginnen ein neues Yuga", stimmte ihr die Inderin zu, "ein ganz neues Zeitalter der Erde". Ich fragte mich, welche Belohnungen sie sich gerade ausmalten. Mit einem Teller Berliner waren die Beiden auf keinen Fall zufrieden. Aber das konnte sie mit ihren Auftraggebern ausmachen.

Dem, der Schlüssel und Tor ist, habe ich nur gesagt, dass wir eine Lösung gefunden haben. Ich habe meine Rolle nicht heraus gestrichen und keinen Lohn gefordert. Etwas Geld wäre natürlich schon schön gewesen; einen gebrauchten Opel Agila hätte ich auch genommen, vielleicht habe ich auch auf etwas Magie gehofft, die verhindert, dass meine Frau mich findet.

Stattdessen habe ich jetzt an einen unpassenden Stelle im Bad eine zusätzliche Türe. Sie führt in eine originalgetreue Kopie des Bernsteinzimmers. Vielleicht ist es auch das echte Bernsteinzimmer. Bei diesen unglaublich mächtigen Wesenheiten weiß man nie. Dort sitze ich jetzt manchmal auf einem alten Küchenstuhl, denke über Konsequenzen nach und fühle mich auf eine perverse Weise erfolgreich. 

Wie ich Corona erfand und damit die Welt retteteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt