Rehva
„Er wird nicht kommen." Die unerwartete Stimme meines Vaters lässt mich zucken und ich drehe mich ruckartig zu ihm. Sein Blick wird von Traurigkeit ertränkt, die ihn in den letzten Tagen so beherrscht hat, dass er mich nicht mehr ansah. Eine Schlacht zerreißt ihn innerlich. Doch so sehr ich auch flehte und bettelte, er behielt es für sich.Er bleibt am Ende des Flurs stehen und blickt zu mir. Selbst aus dieser Distanz sehe ich, dass er meine Gegenwart kaum aushält. Seine Hände zittern, seine Atmung wird flacher und seine Schultern sinken. Er weiß es, flüstert eine Stimme tief in mir und mein Herzschlag erhöht sich.
Der Grund, weshalb ich den ersten Brief an James nur seinem Bruder anvertraute, war aus Angst mein Vater würde ihn lesen. In all den folgenden Briefen erwähnte ich meine Flucht nicht mehr. Trotzdem sagt mir etwas, dass es mein Vater weiß. Er weiß, dass ich heute Nacht Merah für immer verlassen werde.
Ein kurzer Blick aus dem Fenster verrät, dass es noch nicht Zeit für mein Treffen ist. Die Sterne funkeln noch nicht durch das dunkle Rot, das den Tag langsam beendet. James würde noch nicht kommen, es ist noch Zeit meinem Vater zu entwischen.
„Du irrst dich, Vater." Meine Hände umklammern den Beutel in meiner Hand fester. Doch des langen Mantels, um meine Schulter, fröstelt es mich. Es ist eine Vorahnung — das Erwarten von etwas Schrecklichem — das meine Seele Stück für Stück packt.
„Nein, meine liebste Rehva, das tue ich nicht." Er klingt so entschlossen und sicher wie seit Monaten nicht mehr. Und das, obwohl Trauer seine Stimme zum Beben bringt. Angst packt mich plötzlich und krallt sich kalt in mein Herz. So hat er geklungen, als er mir von Mutters und Aspens Tod berichtete. Meine Sorge zuckt zu Julius, mein kleiner Bruder, doch ich habe ihn selbst ins Bett gebracht und mich verabschiedet. Er schläft tief und fest, ohne zu wissen, dass am morgigen Tag seine Schwester fort sein wird. Dass ich mit James nach Evrem gehen werde. Plötzlich formt sich eine andere Sorge.
„Was hast du ihm getan?", bricht es entsetzt aus mir. Ich gehe einige Schritte auf meinen Vater zu. Kein Blut an seinen Händen. Ich atme auf und gehe einen weiteren Schritt. Sein Blick liegt schwer auf mir. Voller Trauer und Verlust. Die Emotionen sind nichts Neues, wäre sie nicht so greifbar und frisch. Als habe es Mutter und Aspen gerade erst verloren. „Vater, was hast du König James angetan?"
„Nichts." Mein Herz stockt. Erleichtert presse ich die angehaltene Luft aus und komme zwei Schritte vor ihm zum Stehen. Die Krone sitzt perfekt, wie sein Haar und der Anzug, den er trägt. Alles bis auf seine Augen strahlt den geborenen König aus. Und trotzdem wollte er nicht die Vorteile sehen, die ein Bündnis mit Evrem erschaffen hätte.
„Dann lass mich gehen. Du hast, was du wolltest. Die Verträge sind gezeichnet, dann gib mir, was du versprochen hast. Alles, was ich mir je wünsche. Gib ihm meine Hand. Bitte, mein König." Meine Hände lösen sich zitternd aus der Faust, während ich die einzelnen Tränen beobachte, die an seiner Wange hinunterrollen.
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Das Böse, das mich schuf
FantasyNiemand wird als Monster geboren. Manche werden zum Monster gemacht und andere dazu erzogen. Aber verdient nicht jeder Liebe - auch ein Monster? Beynon wurde von einem Monster erzogen und zum Monster gemacht. Aber er will nicht länger das sein, was...