Beynon
„Erst nimmt Euer Vater König James meinen Sohn und nun nehmt ihr mir meine Tochter, König Beynon." Wir wirbeln herum. Im Schatten steht der Mann, der einst ein Messer durch mein Fleisch zog. Dessen Hände mit dem Blut meiner Geschwister getränkt waren. Ob er es war, der Hamish den letzten Stich versetzt hat, weiß ich nicht. Aber dem Hass und dem Zorn, die in mir aufbrodeln, ist es egal. Bilder des Abend rasen an mir vorbei. Die Schreie meiner Geschwister mischt sich unter das Rauschen meiner Ohren. Die Angst des Jungen von damals lähmt mich.
„Nicht!", schreit Dahlia und reißt mich aus der Starre, in die mich die Wut gezwungen hat. Erst jetzt sehe ich den Dolch in der Hand des Mannes, der auf mich zu eilt. Dahlia springt zwischen uns. Ein Schrei zerreißt die Stille und ich halte den Atem. Dann ein zweiter Schrei. Gerangel, dumpfe Schläge und die Palastwache stürmen herein, noch bevor ich den ersten Schritt mache.
Das Gerangel nimmt zu und kurz darauf halten vier meiner Männer Dahlias Vater an Armen und Beinen auf den Boden gepinnt. Blut quillt aus der Seite seines Bauches und er flucht. Doch mein Blick schellt zu der jungen Frau, die sich mit schmerzverzerrtem Gesicht den Arm hält, während sie von einem meiner Männer grob gepackt wird.
„Lasst eure Hände von ihr!", brülle ich und eile zu Dahlia. Der Wachmann lässt von ihr ab, als habe er sich verbrannt. Die junge Frau gerät ins Straucheln. Hastig greife ich zu und ziehe sie in meinen Arm. Ihr Atem geht schwer und heiß. Streicht meinen Nacken und treiben mein Herz an.
„Bist du verletzt?", wispere ich und versuche, ihr in die Augen zu sehen.
„Nur ein kleiner Schnitt." Dahlia erlaubt keine Distanz, damit ich ihre Wunden mustern kann. Im Augenwinkel sehe ich, wie ihr Vater auf die Beine gezerrt wird und der Hauptmann auf Anweisungen wartet.
„Werft ihn ins Verlies. Ich kümmere mich später um ihn." Das Bild der Vergangenheit mischt sich mit dem der Gegenwart. Blut. Wut. Angst. Hass. Ein Sturm wirbelt in mir.
„Bitte tötet ihn nicht", fleht Dahlia und sieht mit tränen gefüllten Augen zu mir. Das Monster in mir fordert genau das. Ein Leben für ein Leben und Qualen, wie ich sie seinetwegen mein ganzes Leben hatte. Jede Minute, in der ich der Liebe meiner Mutter beraubt wurde, fordert Vergeltung.
Aber das Licht, das Dahlia in mir weckt, fordert Gnade. Fordert das Monster zur Kapitulation.
„Ich werde ihn nicht töten. Versprochen", wispere ich und streiche eine feuchte Strähne hinter ihr Ohr. Erleichtert vergräbt sie ihr Gesicht in meiner Brust von der eine Wärme entsteht, die den Zorn und den Hass erstickt. Es schmerzt nicht, die Rachen loszulassen. Es ist nicht leicht, aber es ist keine solche Folter wie erwartet. Die Kälte kann ihre Krallen nicht in mich vergraben, weil die Wärme sie nicht an mein Herz kommen lässt.
Ich führe die junge Frau in mein Gemach und lasse nach dem Arzt rufen, während ich bereits die Wunde säubere. Dahlia wirkt so verloren an meinem Schreibtisch. Auch in ihr tobt ein Sturm, dem sie sich im Moment nicht stellen will. Nicht kann. Die Vergangenheit muss ruhen, um die Gegenwart zu verstehen. Ihr Blick landet auf einem Brief, der üblicherweise in der Schublade versteckt ist. Ein Schreiben, das ich auswendig kenne und mich daran erinnert, dass ein Monster nicht ewig ein Monster sein muss.
„Liebster James —", liest sie verwirrt vor und möchte nach dem Brief greifen, doch ich falte ihn hastig zusammen. „Ein Brief einer vergangenen Liebe?", fragt sie vorsichtig und ich glaubte, Trauer in ihrer Stimme zu hören. Ich schüttele den Kopf.
„Nein, Milady. Es ist einer von vielen, die an meinen Vater geschrieben worden ... Sie ... sie erinnern mich daran, dass er einst geliebt wurde und nicht immer schon ein Monster war. Sie geben mir Hoffnung, dass jedes Monster auch ein Mann mit Herz sein kann. — Dass ich ... kein Monster bleiben muss." Ich schlucke schwer. Obwohl es mir schwerfällt, meine Gedanken und Ängste laut auszusprechen, fühlt es sich in Dahlias Gegenwart richtig an. Weniger schmerzhaft. Voller Hoffnung. Warm. Geborgen, wie noch nie zuvor.
Behutsam lege ich den Brief zu den anderen. Zu einer Geschichte eines jungen Mannes und einer jungen Frau. James und Kia. Ich mag nie wissen, was mein Vater zu einem Monster machte. Aber ich weiß, dass es eine Zeit gab, in der er keines war. Denn die Liebe, die das Mädchen in den Briefen für meinen Vater hat, war rein und ehrlich. Eine Liebe, die keiner für ein Monster haben kann.
Meine Finger streichen kaltes Metall und in einer raschen Bewegung umschließe ich es.
„Was ist das?" Mein Herz stockt und ich sehe zu Dahlia. Ihr Blick gilt nicht dem Metall in meiner Hand, sondern einem weiteren Objekt, das ich in der Schublade hüte. Vorsichtig nimmt sie die blaue Murmel in ihre Finger. Ich halte den Atem. Gebannt starre ich auf die Kugel und warte. Warte darauf, dass etwas geschieht, was ich einst beobachtet habe. Warte. Doch die blaue Murmel bleibt eine blaue Murmel und ich atme aus.
„Auch etwas, das meinem Vater gehörte. Etwas, das mein Leben komplett verändert hat. Etwas so unscheinbares, mit unverständlicher Kraft. Aber die Geschichte, woher er sie hat, kenne ich nicht — nur die, wohin sie mich gebracht hat."
Mein Blick fällt auf die getrocknete Blume, die neben den Briefen ruht, und dann zu dem Ring in meiner Hand. Ich treffe eine Entscheidung. Entscheide mich für eine Zukunft, an die ich niemals glaubte. Nervös und aufgeregt sehe ich zu der jungen Frau, die weiterhin die Murmel betrachtet.
„Ich habe eine Frage, Milady Dahlia. Doch bevor ich sie Euch stelle, bitte ich um Euren Namen." Die junge Frau legt die Murmel zurück in die Schublade und sieht lächelnd zu mir. Ihr rechter Mundwinkel zuckt. Der Sturm in ihren Augen ebbt mit jedem Wimpernschlag ab und auch mein Inneres wird ruhig.
„Ihr hattet ihn bei unserer ersten Begegnung in Euren Händen, Beynon." Verwirrt zucken meine Brauen nach unten. Vor meinen inneren Augen sehe ich erneut unsere erste Begegnung. Ihre furchtlosen Augen, ihr Lächeln, das Kleid. Den Strauß Blumen in ihrer Hand. Die Rose in meiner. Ihr Blick auf die Blume, als sie mir den Namen nannte, bei dem ich sie nennen sollte.
„Rose", wispere ich und sehe auf den Schatz in meiner Schublade. Die getrocknete Rose.
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Das Böse, das mich schuf
FantasiNiemand wird als Monster geboren. Manche werden zum Monster gemacht und andere dazu erzogen. Aber verdient nicht jeder Liebe - auch ein Monster? Beynon wurde von einem Monster erzogen und zum Monster gemacht. Aber er will nicht länger das sein, was...