9 Vergangenes & Versprochenes

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Rehva
„Ich habe gerade an Euch gedacht." Der junge König betrachtet mich mit einem Lächeln, das es mir schwer macht näher zu treten. „Was bekümmert Euch?"

„Ich werde gehen, Hoheit." Seine Brauen zucken und er eilt auf mich zu. Erst gestern, bei einem weiteren Spaziergang durch den Garten, bat er mich seine Begleitung auf dem Krönungsball zu sein. Als ich zustimmte, hat er mir einen Kuss auf die Wange gehaucht, der wie süßer Honig auf meiner Haut lag und alle Zweifel von mir nahm.

Der junge Mann vor mir ist kein Monster ... aber vielleicht bin ich eines.

„Was, wenn Ihr es nicht müsstet?", erschrocken sehe ich von dem Papier in meiner Hand auf und in die Augen des jungen Mannes. Etwas Nervöses zuckt über das Blau seiner Augen und seine Stirn glitzert.

„Ich gehöre nicht nach Evrem, Hoheit." Ich will den Blick senken, doch er legt die Finger an mein Kinn, um ihn aufrecht zu halten.

„Sagt mir ehrlich, seid Ihr glücklich, wenn Ihr bei mir seid?" Mein Herz stolpert und erhöht seinen Rhythmus. Seine Mundwinkel zucken kurz nach meinen. „Ich bin es, wie noch nie zuvor. Es ist als sei ich stärker in Eurer Gegenwart, mutiger ... weniger gebrochen und allein. Versteht Ihr, was ich meine?"

Seine Finger an meinem Kinn wecken eine Wärme, die sich durch meinen Körper bahnt und ihn in Flammen setzt. Zum ersten Mal stehen wir allein hinter verschlossener Tür. Keine Blicke, die die seichte Berührungen oder warme Blicke beobachten können — um es meinem Vater zu sagen.

Ich schlucke und nicke leicht.

„Wenn Ihr nicht bei mir seid, denke ich an Euch. Eure Berührung, Euer Lächeln, den Luft Eurer Haare, eure Stimme. Und wenn Ihr bei mir seid, dann vergesse ich die ganze Welt. Ihr verzaubert mich." Er tritt näher und sein Atem streicht meine Lippen, die Prickeln.

Meine Augen brennen. Seine Worte sind der schönste Gesang, der meine Seele belebt und mein Herz zum Tanzen bringt. Beim nächsten Wimpernschlag löst sich eine Träne, die sich nicht aufhalten lässt. Weil mein Geist zerbricht.

„Weint doch nicht." Mit dem Daumen streicht der junge König sanft wie der Wind über meine Haut. „Eine so schöne Dame wie Ihr sollte nicht weinen", wiederholt er die Worte unserer ersten Begegnung und mein Herz bricht.

Die Worte meines Vaters flüstern mir ins Ohr, die Warnung, mit der er mich hierzu gezwungen hat, und ich erinnere mich an das Papier in meiner Hand. Nur noch ein Moment plädiere ich und sehe erneut auf. Ein Moment, bevor alles vergeht.

„Dann sollte er Euch im Arm halten", gebe ich die Antwort wieder, die er mir im Garten nannte. Seine Augen schimmern und das Lächeln findet zurück in ein Gesicht. Im nächsten Atemzug schlingt er seine Arme um mich. Und da fühle ich es zum ersten Mal seit einer Ewigkeit. Eine Geborgenheit wie die, die ich einst bei meinem Bruder fand, und für immer verloren glaubte. Das Gefühl, nicht länger allein auf dieser Welt zu wandern. Und das zerstört mich ein bisschen mehr. Denn ich weiß, ich werde es verlieren. In einem kleinen Moment.

„Ich muss gehen, Hoheit." Meine Stimme zittert, aber meine Welt wankt nicht mehr so stark, als ich mich von ihm löse.

„Was, wenn Ihr es nicht müsst?" Dieselbe Frage wie zuvor. Nur diese Mal füg er hinzu: „Heiratet mich."

Mit diesem Moment hält die ganze Welt an.

Nichts rührt sich. Nichts tut sich. Weder mein Herz noch meine Lungen. Die Schmetterlinge in meinem Bauch halten den Atem. Vorfreude funkelt im Blau seiner Augen. Und Sorge. Begründete Zweifel.

Mein Inneres zerbricht und ich glaube den Boden unter den Füßen zu verlieren. Als er die Worte wiederholt und mein Gesicht studiert, entgleitet mir das Lächeln. Sein Daumen streicht die Tränen von meinen Wangen, während ich die Worte wieder und wieder in meine Kopf höher.

„Ihr kennt mich nicht, Hoheit", flüstere ich und senke den Blick. Ihr kennt nur die Lüge, die ich vorgab zu sein.

„Wir haben ein Leben lang, um uns kennenzulernen. Wir sind jung und ein Morgen erwartete uns noch lange." Mein Herz stockt und mein Blick fällt auf die Papiere in meiner Hand.

„Ein Morgen ist uns nicht versprochen." Die Worte meines Vaters krallen sich wie eine eisige Hand um mein Herz und drücken zu. Zuerst muss ich sein Leben schützen, bevor ich sein Herz schützen kann. „Es gibt etwas, das Ihr nicht über mich wisst." Ich sehe zu ihm auf. Entschlossen. All die Gefühle, die ich für den jungen König habe, sperre ich in den Schatten, weil sie mich sonst zerreißen.

Es gibt Momente, die alles verändern.

In den letzten Tagen haben die vielen kleinen Momente etwas Wunderschönes erschaffen. Und dieser Moment reißt nun alles nieder.

Und ich höre, wie zwei Herzen brechen.

***

Ich blicke über die Schulter zu dem Palast, den ich bei meiner Ankunft verabscheut habe und so schnell wie möglich hinter mir lassen wollte. Nun sehe ich einen Ort, an dem ich gerne länger verweilt hätte.

Mein Vater ist bereits mit dem Vertrag auf unserem Schiff, während ich ... zögere. Es gibt eine Sache, die ich noch erledigen muss. Die Gäste strömten bereits in den Palast, gekleidet in den schönsten Kleidern, um den neuen König zu ehren. Auch ich trage ein solches Meisterwerk, aber ich fühle mich nicht schön.

Ich dränge mich unter sie Menschen und schleiche die Gänge entlang, wie ich es die letzten Wochen getan habe. Die Nischen und Schatten dieses Ortes sind mir so vertraut wie das Gefühl des Verlustes in meiner Brust.

Vor dem Gemach des jungen König ist es, wie zu erwarten, still. Zwei Zofen huschen durch die Tür und zwei Palastwachen stehen am Ende des Flurs. Ich nutze den Moment, in dem sie sich den Damen widmen, um hinter die Tür des Königs zu schlüpfen. Innerlich bete ich, dass keine weiteren Bediensteten im Raum sind ... und werde erhöht.

Der junge König steht wie so viele Male vor dem Fenster und sieht in die Ferne. Seine Schultern jedoch haben an Kraft verloren, seine Haltung an Stärke. Er wirkt so schwach und einsam wie am ersten Tag, als ich ihn sah.

„Ich habe gesagt, ich brauche nichts mehr", sagt er scharf. Eine Kälte liegt in der sonst so warmen Stimme und sie schneidet in mein Herz, denn ich weiß, ich habe es ihm angetan.

„Ich kann nicht gehen, ohne noch einmal mit Euch gesprochen zu haben. Ein letztes Wort, bevor es zu spät ist." Mit einem Ruck wendet er sich zu mir. Tränen glitzern in seinen Augen und eine bodenlose Traurigkeit, die mir den Atem raubt. Auf einmal wirkt mein Kopf leer und mein Herz kalt. Zweifel über diesen unüberlegten Moment bauen sich auf.

„Habt Ihr nicht bekommen, was Ihr wolltet, Prinzessin", zischt er scharf. „Die Inseln gehören Euch, ein Pakt den Kanals zu nutzen, ohne Gefahr vor meinen Männern ... so wie Geleitschutz durch meine Gewässer. — und mein Herz. Was mehr wollt ihr mir rauben?" Keuchend umklammerte ich die Kette, die über meinem Kleid liegt und halte mich mit der anderen Hand am Sessel zu meiner Linken fest.

„Ich ... es ...", schluchze ich. Doch meine Welt bebt und ich stürze auf die Knie. „Es tut mir leid." Kurz kehrt Stille ein, dann ertönen Schritte, die auf mich zukommen. „Wenn es in meiner Macht läge, würde ich alles ungeschehen machen." Er kniet sich vor mich. Ein König. „Ich würde alles aufgeben für das Mädchen, das ihr glaubt, ich zu sein."

„Die junge Frau war eine Lüge." Seine Stimme klingt nicht länger so kalt, aber umso verletzter. Die Frau war eine Lüge, aber die Gefühle ...

„Aber dieses Mädchen wurde von Euch geliebt ... und liebt Euch." Ich richte den Blick auf. Das war es, weshalb ich gekommen bin. Ich musste es ihm sagen. Er sollte wissen, dass nicht alles ein Spiel war. Er hat um meine Hand gebeten — die Hand einer Lüge. Eine Sache, die ich meinem Vater nicht beichtete. Ich wollte ihm nicht noch mehr Macht über mich oder den jungen König geben. Ein König mit gebrochenem Herzen.

„Sie liebte mich." Ich nicke, während ich in seine Augen starre, in denen der Wirbelsturm die Welt verschlingt. Seine Welt bricht aufs Neue zusammen. Erneut ist es meine Schuld.

Alles fällt zusammen, doch dieses Mal glaube ich, einen Schimmer hindurch blitzen zu sehen.

„Und sie tut es noch", füge ich leise hinzu. Es sind kleine Momente, die die Welt verändern. Sie dauern oft nur einen Herzschlag. Momente wie diese, in denen seine Lippen, die meine berühren und die Verzweiflung, der Zwiespalt und der Kummer darin zu schmecken sind, genauso wie das Verlangen, Vergebung und ... Liebe.

Das Böse, das mich schufWo Geschichten leben. Entdecke jetzt