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Ich lag da, im Dunkeln, meine Bettdecke fest über den Kopf gezogen und ich fühlte mich sicher, weil es so warm und stickig hier war und der Stoff mich von der Außenwelt abtrennte. Und trotzdem weinte ich. Weil die Welt so ein trostloser Ort war und mich gefangen hielt und mich nicht gehen lassen wollte.

"Steh auf, Ray". Meine Mutter klang müde und enttäuscht. Alleine die Tatsache, dass sie die Tür meines Zimmers öffnen und mir das sagen musste, war zu viel für sie. Ich war zu viel für sie. Und ich war hier unter der warmen Bettdecke, die die Außenwelt von mir abschirmte und trotzdem wollte meine Mutter mich nicht in Ruhe lassen. Ich hörte ihre schweren Schritte, wie sie das Zimmer betrat und dann zog sie mir die Bettdecke weg und entblößte mich der Welt.

"Steh verdammt noch mal auf!" Ihre Augen waren so kalt und voller Ekel, als sie mich ansah und ich fühlte mich hilflos. Weil ich wusste, dass ich mich nicht wehren konnte. Ich musste gehorchen und aufstehen, weil sie mich sonst bestrafen würde.

Ich fühlte mich wie ein Insekt, wenn sie mich so ansah. Manchmal hasste meine Mutter mich. Aber manchmal liebte sie mich auch und das machte es gerade so schwer. Ich hatte Angst vor ihr.

"Mama mir geht es nicht gut", sagte ich. Aber ich wusste, dass sie mir nicht zuhörte. Heute hatte sie einen schlechten Tag. Heute würde sie ganz bestimmt kein Verständnis zeigen.

"Mach, dass du in die Schule kommst und stell dich nicht an".

Und damit war sie in der Küche verschwunden und ich war wieder alleine. Langsam tappte ich zu meinem Kleiderschrank und zog mir ein frisches T-Shirt über. Auf meinen Armen waren hellrote, gerade Linien zu sehen, ich betrachtete sie im Spiegel, der an meiner Kleiderschranktür hing. Sie waren schön. Sie waren der Beweis dass ich krank war. Würde es sie nicht geben dann könnte meine Mutter mir vermutlich sogar einreden, dass alles gut war. Dass ich mir die seelischen Schmerzen, die ich täglich verspürte, nur einbildete.

Ich wollte, dass jemand diese Linien sah und verstand. Dass es mir nicht gut ging. Weil ich nicht in der Lage war laut um Hilfe zu bitten. Mama hatte sie gesehen und war wütend geworden. Sie hatte mir gesagt, dass sie die Wunden hässlich fand und, dass ich mich dafür schämen solle. Seit dem verbarg ich sie sorgfältig vor ihr.

Ich schlüpfte in eine Jogginghose und einen Sweater, dann griff ich meinen Rucksack und steckte mein Handy ein. Mein Kopf fühlte sich schwer an und meine Gedanken waren in einen dichten Nebel gehüllt. Ich setzte meine Kopfhörer auf. Zum Glück hatte ich daran gedacht sie über Nacht aufzuladen.

Traurige, schwere Klänge ertönten und sie passten perfekt zu meiner Stimmung. Und sie halfen mir diese Traurigkeit beizubehalten. Ich war doch so viel lieber traurig als emotionslos. Denn diese Traurigkeit war so intensiv und sie ließ mich ertrinken und es war das einzige intensive Gefühl, das ich fühlen konnte.

"Ich bin dann mal weg."

Das Frühstück, das Mama auf den Küchentisch gestellt hatte, ließ ich unangetastet dort stehen.

No one caresWo Geschichten leben. Entdecke jetzt