Mama war auf der Arbeit. Mein Stiefvater war zu Hause. Wir redeten nicht miteinander, wenn Mama nicht da war. Ich goss mir in der Küche ein Glas Wasser ein und dann ging ich in mein Zimmer. Zu meinem Stiefvater, der am Küchentisch saß und eine Pizza aß, sagte ich kein Wort. Und er sagte auch nichts zu mir.
Ich mochte ihn nicht. Immer, wenn er sah, dass ich etwas tat, was meiner Mutter nicht gefallen würde, dann sagte er es ihr, wenn sie von der Arbeit nach Hause kam, ohne mich vorher darauf angesprochen zu haben. Er war ein Feigling. Er mied die Konfrontation mit mir.
Die Vorhänge vor meinem Zimmerfenster waren fest zugezogen und das Rollo war heruntergelassen. Ich machte die Tür zu und es war dunkel. Ich liebte diese Dunkelheit. Sie umgab mich und sie war so vertraut und schenkte mir Geborgenheit.
Und dann legte ich mich auf mein Bett und machte meine Lautsprecher Box an, die Kopfhörer drückten inzwischen schmerzhaft auf meine Ohren. Ich hatte sie heute zu lange getragen, nein eigentlich trug ich sie jeden Tag zu lange. Und depressive Musik erklang und füllte mein Zimmer und ich liebte sie, weil ich das Gefühl hatte, dass zumindest die Leute, die die Musik geschrieben hatten, eine Ahnung davon hatten, wie ich mich fühlte. Ich liebte es den Schmerz des Sängers zu spüren. Er hatte Schmerzen, ich hatte Schmerzen aber sein Schmerz lenkte mich von meinem eigenen ab.
Ein paar Stunden später hörte ich die Haustür unten. Mama kam nach Hause. Und nur wenige Sekunden darauf drangen wütende Stimmen zu mir nach oben. Natürlich hatte sie schlechte Laune. Sie hatte immer schlechte Laune, wenn sie nach Hause kam. Und sie ließ es immer an dem erst besten aus, der ihr über den Weg lief. In diesem Fall war es mein Stiefvater.
Ich wünschte mir einen Zimmertürschlüssel. Denn ich wusste, dass sie in wenigen Minuten nach oben kommen und etwas an mir auszusetzen finden würde. Ich wünschte mir wirklich einen Schlüssel, der sie von mir fern halten würde. Eine Tür zwischen uns, die mich vor ihrem Ärger schützen würde.
Mama hasste mich. Mama liebte mich. Es tat mir weh. Ihre Worte taten mir weh und immer, wenn ich realisierte, wie toxisch sie eigentlich war und versuchte ihrem Einfluss zu entgleiten und mich unabhängiger von ihr zu machen, dann hielt sie mich fest. Dann tat sie alles Mögliche für mich und dann bekam ich ein schlechtes Gewissen, weil sie mich doch so liebte und es gar nicht böse meinte.
Sie kam die Treppe hoch. Ich machte schnell das Licht an und schnappte mir ein Schulbuch und tat so als würde ich lernen. Denn so war die Chance höher, dass sie mich in Ruhe lassen würde.
Sie öffnete die Tür und runzelte die Stirn. "Lern gefälligst am Schreibtisch, nicht auf dem Bett."
"Lass mich in Ruhe", protestierte ich. Ich hätte das nicht tun sollen. Ich wusste das. Ihr zu widersprechen war eine ganz schlechte Idee. "Tu, was ich sage, sonst nehme ich dir dein Handy weg." Und ich fühlte mich so hilflos und machtlos und konnte nichts tun.
Mit hängendem Kopf tappte ich zu meinem Schreibtischstuhl.
"Und das Handy kommt sowieso in die Küche. Es lenkt dich sonst nur vom Lernen ab."
Ich schluckte. Warum entschied sie so etwas immer für mich? Ich war siebzehn. Ich konnte selber meine Handyzeit regulieren und indem sie es mir wegnahm war es kontraproduktiv, weil ich wusste, dass wenn ich es wieder haben würde, dann würde ich wieder Stunden daran verbringen, um die Zeit auszunutzen, in der ich es haben durfte.
"Ich brauche es für Englisch. Wegen Google Übersetzer." Eine Lüge. Aber ich wusste, dass sie mir das Handy nicht wegnehmen würde, wenn ich es für die Schule brauchte.
"Okay aber heute Abend liegt es in der Küche. Du hast es die ganze letzte Nacht gehabt. Du weißt, dass es Konsequenzen gibt, wenn du dein Handy nicht jeden Abend nach unten bringst?"
Ich hasste sie. Ich war fast achtzehn. In drei Monaten war ich es. Und ich beschloss noch an meinem Geburtstag auszuziehen.
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No one cares
Teen FictionIch lag da, im Dunkeln, meine Bettdecke fest über den Kopf gezogen und ich fühlte mich sicher, weil es so warm und stickig hier war und der Stoff mich von der Außenwelt abtrennte. Und trotzdem weinte ich. Weil die Welt so ein trostloser Ort war und...