Kapitel 27

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Melina

Meine Finger zitterten und ich konnte kaum richtig tippen. Ich wusste bereits jetzt, wie mein Dad darauf reagieren würde und das machte mich nervös. Bevor ich den Anruf startete, drehte ich mich zu meinen zwei Herzensmenschen um. "Ich kann das nicht. Er wird mich von der Nevermore nehmen und ich will hier nicht weg." "Das weißt du doch gar nicht Lini. Er weiß, wie sehr du es hier liebst und er würde dich niemals von Xavier trennen. Vor allem nicht nach dem Wochenende." Annie nahm meine Hände. Als sie an mir vorbeigriff und den Anruf startete wurde ich panisch. Xavier legte mir die Hand auf die Schulter und ich griff direkt danach. "Hallo Kleine, na? Wie war dein Tag?" Mein Vater saß im Büro von einem seiner Nachtclubs. Ich erkannte es an der schwarzen Marmorwand und ihren goldenen Ranken. So sah jedes Büro der Clubs aus. An seinem Sessel konnte ich allerdings erkennen, in welchem er sich gerade befand. Er war im 'ródia night', was übersetzt 'Granatäpfel Nacht' bedeutete. Er führte den Club zusammen mit meiner Mutter. Seine Augen wurden zu schmalen Schlitzen und gingen sofort wieder weit auf, als ihm bewusst wurde, wie die Antwort lauten würde. "Was ist passiert?" "Ich habe heute bei Fechten etwas in meinem Spind gefunden." "Und was?" "Einen Zettel." "Melina, sprich bitte Klartext." Ich atmete tief durch und drückte Xaviers und Annies Hände. "Auf ihm stand: 'Ich werde dich immer finden. Und ich werde es eines Tages schaffen, dich auszuschalten!' Ich weiß nicht von wem er ist." Mein Vater rieb sich übers Gesicht. "Bitte Papa, nimm mich nicht hier weg. Nimm mir nicht mein Glück weg!" Ich schluchzte. "Das werde ich nicht. Und das würde ich auch nie tun. Ich werde einige Erinnyen zu euch schicken und den Campus erkunden. Okay? Keiner wird sie erkennen. Nicht einmal Stella." Ich nickte langsam. "Was sind Erinnyen?" fragte Xavier. "Die Rachegöttinnen. Sie bewachen die göttlichen Gesetze und wenn du sie brichst..." Annie zuckte nur mit den Schultern. "Es wird alles gut werden, das verspreche ich dir. Hast du selbst schon etwas getan?" "Ja, ich bin mit Wednesday zum Sheriff gegangen." "Gut, dann werde ich mich mit ihm in Verbindung setzen." Ich hörte, wie bei Dad eine Tür aufging. Warscheinlich Mom. "Schatz, Apollo ist hier." Mit diesem Satz bestätigte sich meine Vermutung. "Oh, hallo Spätzchen. Alles okay?" "Ich erzähl es dir gleich Liebling. Ich denke unsere Tochter brauch einen Moment Ruhe." Meine Mutter sah zwischen uns beiden hin und her, nickte aber dann. "Wir müssen zu Apollo. Er hat ein Anliegen." "Gut. Melde dich, wenn etwas ist und ihr beide passt mir gut auf sie auf...und auf euch selbst." Wir verabschiedeten uns und ich klappte erleichtert den Laptop zu. "Das war doch ganz erfolgreich." "Ja, das stimmt." Ich stand auf und setzte mich auf Xaviers Schoß. "Wie Hades gesagt hat...es wird alles gut." flüsterte er mir ins Ohr. Annie saß jetzt wieder an ihrem Schreibtisch und widmete sich ihren Hausaufgaben. Ich kuschelte mich mit Xavier in mein Bett und wir schauten uns eine Doku an. Natürlich über Orcas. 

Die nächsten Tage passierte nichts neues. Morgen ist Freitag, das bedeutet, dass der Poe-Cup ansteht. Alle sprachen von nichts anderem mehr und ich? Ich saß daneben und bekam halbe Panikattacken, wenn ich nur daran dachte. Ich werde das niemals machen können. "Das wird absolut genial!" quietschte Enid. Ich konnte mir diese ganzen Gespräche einfach nicht mehr geben. Wortlos stand ich auf und ging. Ich schlenderte die Flure entlang, bis ich an einem Erker Fenster ankam und mich setzte. Ich beobachtete meine Freunde im Innenhof. Ich holte mein Buch aus dem Rucksack und flüchtete in eine andere Welt, um meiner eigenen zu entkommen. die Zeit verstrich und das Klingeln riss mich wieder in die Realität. Frustriert steckte ich das Buch zurück. Ich wollte gerade losgehen, als sich mir jemand in den Weg stellte. Tyler. "Was ist los mit dir? Immer wenn alle über den Poe-Cup reden wirkst du so...traurig." Ich musste echt üben, meine Gefühle zu verstecken, wenn ich nicht wollte, dass mich jemand darauf ansprach. Aber das ist nicht so einfach. "Ich..." Neugierig hob er eine Augenbraue. "Du kannst es mir ruhig sagen Mel. Ich mache mir Sorgen." "Ich weiß, ich...es gab da mal einen Unfall." Seine Augen weiteten sich und ich begann zu erzählen. "Wow...das...ist krass." "Wirklich Ty? Mehr fällt dir nicht ein?" "Nein. Ich mein...du kannst Tiere verstehen?" "Nein, nur Orcas. Also...denke ich." "Aber ich kann dich verstehen. Dann stehen wir zusammen am Rand und jubeln den anderen zu." "Du machst nicht mit?" "Doch eigentlich schon, aber..." "Nein, kein aber. Du machst mit. Nur weil ich ein traumatisierte Scherbenhaufen bin, heißt das nicht, dass du jetzt den Spaß aufgeben musst. Das möchte ich nicht und ich würde mich damit schlecht fühlen." Er sah mich an und blinzelte verwirrt. "Na gut. Aber wir sollten jetzt zum Unterricht." Ich nickte und wir brachen auf. 


Xavier

Ich wollte Mel nach, aber Tyler hielt mich auf. "Was ist denn los mit ihr?" Ich wollte es ihm nicht erzählen. Sie hat es mir anvertraut und das werde ich auch für mich behalten. "Xavier?" "Das werde ich dir nicht sagen, auch wenn ich es weiß. Sie hat es mir anvertraut. Aber...wenn du willst dann geh du ihr nach." Tyler nickte und brach auf. Ich schlich mich allerdings hinterher. Auch, wenn ich ihm voll und ganz vertraute und man das jetzt auch wirklich konnte. In meinem Herzen stach ein wenig Eifersucht. Mel saß in einem der Erkerfenster und las ein Buch. Sie ist wieder geflüchtet. Geflüchtet in die Welten, die ihr so viel bedeuten und Welten, in denen sie sich manchmal verliert. Mel hatte immer ein Buch dabei und jede Woche war es ein anderes. Ich lächelte, als ich bemerkte, dass Mel sich Tyler öffnete. Jeder Funken von Eifersucht war verschwunden und ich war einfach froh darüber, dass sie wieder jemanden gefunden hatte, dem sie sich anvertraute. Ich empfand stolz und mein Lächeln wollte nicht verschwinden. Ich riss mich allerdings zusammen und ging ins Klassenzimmer. Auf dem Weg dorthin lief ich in jemanden hinein. "Oh, sorry." "Schon okay. Ich wollte sowieso mit dir reden." Stella stand vor mir und ihre Wimpern waren so schwungvoll und lang, dass man denken könnte, sie kann nichts mehr sehen. "Es geht um Mel. Ich hab sie eben mit Tyler gesehen." "Ja, ich weiß." Ich wollte gerade gehen. Doch Stella griff nach meinem Arm. Ihre Gel-Nägel hatten einen Natur-Ton und ich starrte auf ihre Hand. Schnell riss ich meinen Arm weg. "Was willst du?" "Dir etwas sagen und etwas zeigen. Mel ist nicht die, für die du sie hältst. Sie ist ein schlimmer Mensch und sie hintergeht dich." "Ich glaub dir kein Wort. Und selbst wenn...woher willst du das wissen?" "Naja." Da hielt sie mir ihr Handy hoch und zeigte ein Bild von Mel, wie sie einen anderen Typen küsste. Und zwar ziemlich leidenschaftlich. Ich ging an ihr vorbei. Ich ließ sie einfach in dem Glauben, dass es mich verletzt. Denn das Spiel, was sie spielt, das können wir auch. Ich betrat den Klassenraum. Mel saß bereits auf ihrem Platz, wieder in ihr Buch vertieft. "Wie war der Kuss?" "Was?" Mel sah zu mir auf. "Wie der Kuss war?" "Was für ein Kuss?" "Der zwischen dir und diesem Typen. Stella hat mir gerade das Bild gezeigt." Ich zwinkerte ihr zu, aber sie schien es nicht sofort zu verstehen. "Das ist nie passiert, ich habe niemanden..." "Ach nein? Sah aber anders aus." Stella kam nun ebenfalls in den Raum. "Oh, Ärger im Paradies? Tut mir leid, aber ich musste es ihm einfach sagen, du hattest es ja nicht vor." Sie wollte einen Arm um mich legen, doch ich wich aus. "Weißt du nur was schade ist, Stella?" "Was denn?" "Ich kenne das Bild bereits. Das auf dem Foto ist nicht Mel. Das ist Ava, du hast nur ihre Haare heller gemacht." "Woher..?" "Woher ich das weiß? Naja...ich kenne das Bild schon." Mel stand die Verwirrung ins Gesicht geschrieben und sie ließ sich auf den Stuhl plumpsen. Ich sagte nichts mehr, setzte mich stumm auf meinen Platz und ließ Stella stehen. "Heuchler! Verrat!" rief sie uns entgegen und lief wieder aus dem Raum. Coach Vlad zog eine Augenbraue nach oben, als er seine Unterlagen auf dem Lehrerpult ablegte, ignorierte es dann aber. Er startete einfach ganz normal mit dem Unterricht. 

Endlich war der Tag vorbei und ich konnte in meiner Hütte weiter an Mels Überraschung arbeiten. Ihr Geburtstag ist nächste Woche Samstag. Am Tag des Rabentanzes. Das wird eine unvergessliche Nacht...dieses Jahr hoffentlich ohne Zwischenfälle. Ich zog das Laken von der Leinwand und schnappte mir meine Farben. Und das war mein Fluchtort. Mein Atelier und die Welten, die ich erschaffe. Kritisch betrachtete ich das Bild. Ich denke, es fehlt noch etwas mehr lila. Ihre Lieblingsfarbe. Ich hoffe sie wird es lieben. Ich habe zwar keine Ahnung, wie eine Göttin aussieht, aber so würde ich es mir vorstellen. Ich hatte Mel in einem lila Kleid auf einem Steg gemalt. Am Himmel waren die Nordlichter zu sehen und vor ihre ragte ein Orca Kopf aus dem Wasser. Sie streckte die Hand nach ihm aus. Ich hatte sie so gemalt, wie ich sie in meinen Träumen gesehen habe. Ich hoffe ihr wird es gefallen. Aber ich denke, sie wird es lieben. Ich hatte komplett die Zeit vergessen, als es plötzlich klopfte. Ich erschrak und dann öffnete sie sich auch schon. Es war Tyler. "Hey man, alles klar?" fragte er. "Ja, wieso?" "Es ist 21 Uhr. Bald ist Nachtruhe. Du solltest fit sein für den Wettkampf morgen." Er kam ein paar Schritte näher und betrachtete das Bild. "Wow, das ist...wunderschön." "Ja, aber noch nicht fertig." Ich zog wieder das Laken drüber. "Ist das für Mel?" Ich nickte. "Sie wird es lieben, das hab ich im Gefühl." Ich sah meinen Mitbewohner an. "Was machst du eigentlich hier?" "Ich war im Wald und hab ein bisschen Dampf abgelassen und eine Runde durch die Gegend gebrüllt. Hast du nichts gehört?" Mein Blick huschte zu meiner Musikbox. "Nope, kein Stück. Aber als du geklopft hast war der Akku schon leer." Tyler lachte. Gemeinsam gingen wir durch den Wald und betrachteten zwischendurch die Sterne. "Wie läuft es mit Wednesday?" "Sie hatte vorhin eine Vision. Ausnahmsweise mal eine gute." "Oha. Was war es?" "Sie hat mich beim Rabentanz gesehen und mich gefragt, ob wir wieder zusammen hingehen. Dieses Mal ohne Zwischenfälle." Ich lachte. "Ja, hoffentlich." 

Healing Souls - Xavier Thorpe FF - WednesdayWo Geschichten leben. Entdecke jetzt