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Kapitel 2

Zwei Tage später

Es war verdächtig ruhig in der Wohnung. Vorsichtig öffnete ich meine Zimmertür ein Stück weit und lauschte in die Stille. Nichts, außer meinem viel zu flachen Atem.
Ich drückte die Tür weiter auf und schlüpfte durch den Spalt in den halbdunklen Flur. Anscheinend war ich immer noch alleine hier. Als ich heute Mittag im Dorm angekommen war, hatte ich ihn verlassen vorgefunden. Nur war ich automatisch davon ausgegangen, dass unsere Jüngsten gegen Abend von ihren Wochenendausflügen zurückkehren würden. Waren sie nicht, aber gut.
Obwohl ich mir unwillkürlich Gedanken darum machte, wo sie blieben, war ich auch gleichzeitig froh, etwas Zeit für mich alleine zu haben. Ich war mir nicht sicher, wie ich ihnen gegenüber treten sollte.
Auf Felix' gestrige Nachricht, wie es mir ginge, hatte ich wie üblich kurz und bündig geantwortet, doch dieses Mal hatte es einen faden Beigeschmack hinterlassen. Auf Chans hatte ich bis jetzt noch nicht reagiert.
Ich war nicht blind.
Mir waren die besorgten und fragenden Blicke der anderen während des Trainings letzte Woche nicht entgangen. Sie spürten, dass etwas nicht stimmte. Glücklicherweise hatte keiner nachgehakt, ich hätte ihnen sowieso keine plausible Erklärung für mein Verhalten geben können. Ich war nicht besonders gut darin, über Gefühle zu reden, besonders wenn ich mir selbst derart unsicher war.

Seufzend drückte ich die Badezimmertür ins Schloss und lehnte mich einen Augenblick lang dagegen.
Das konnte ja heiter werden. Irgendwie kam ich einfach nicht mehr aus diesem Gedankenkarussell heraus.
Es war, als beobachtete ich mich von außen, während ich mich meiner Kleidung entledigte und unter die Dusche stieg. Das warme Wasser prasselte auf mich hinab und für einige Zeit schaffte ich es sogar, mich nur auf das Rauschen zu konzentrieren und das Gefühl, wie die Wärme allmählich meine verspannten Muskeln lockerte. Doch der Moment der geistigen Ruhe hielt nicht lange an, die Gedanken um Han und das baldige Wiedersehen ließen sich nun einmal nicht verdrängen.
Morgen hatten wir zwar frei, aber vermutlich würden wir uns trotzdem über den Weg laufen. Und an sich wollte ich das sogar. Ich hielt diese Anspannung nicht mehr aus. Ich wollte nicht, dass wir noch länger in diesem Zustand verharrten, den ich mehr oder weniger zu verantworten hatte, weil ich mit mir und meinen Empfindungen nicht klarkam. Er konnte nichts dafür - oder nur bedingt - und sollte nicht weiter darunter leiden, denn ich war mir sicher, dass er es tat.

Als ich eine halbe Stunde später das Bad verließ, brannte in der Küche Licht und ich hörte Geschirr klappern.
Da hatte ich vor lauter Grübelei gar nicht mitbekommen, wie einer der anderen Heim gekommen war.
Kurz war ich versucht, klammheimlich in mein Zimmer zu flüchten, was schon sehr unhöflich gewesen wäre. Ich atmete tief durch, ehe ich mich langsam und auf leisen Sohlen dem Geräusch näherte. Ein heller Haarschopf verschwand gerade hinter der geöffneten Kühlschranktür, nur um gleich darauf summend und mit den zwei großen Schüsseln, die ich heute Nachmittag hineingestellt hatte, in der Hand wieder aufzutauchen.
„Hey."
Vor meinem geistigen Auge hatte ich bereits die Schüsseln durch die Luft fliegen sehen, so erschrocken wie Jeongin zu mir herumfuhr. Glücklicherweise geschah nichts davon, außer dass er mich mit weit aufgerissenen Augen anstarrte.
„Minho Hyung! Himmel, hast du mich erschreckt."
Nachsichtig lächelnd trat ich näher, während er umsichtig die Schüsseln auf der Anrichte abstellte. Statt auf seinen Ausruf einzugehen oder mich zu entschuldigen, nahm ich eine der Wasserflaschen an mich, die stets neben dem Kühlschrank standen.
„Hattest du ein schönes Wochenende?"
„Ja..." Kurz sah er mich unsicher an, ehe er fortfuhr: „Ich war bei meinen Eltern. Mein Bruder war auch da."
„Das ist doch schön."
„Und bei dir?"
„Ich war auch zu Besuch bei meiner Familie."
Mir entging sein Blick nicht, doch ich überging ihn und holte stattdessen ein Glas aus dem Schrank. Natürlich hätte ich Details ergänzen können, dass ich meiner Mutter bei der Arbeit im Garten geholfen hatte und dass sogar meine Oma mal für ein paar Stunden vorbeigekommen war. Allerdings war mir gerade nicht nach Smalltalk und Jeongin interessierte sich sicher viel mehr für andere Dinge, auch wenn er es nie zugeben würde und ich momentan nicht darüber reden wollte. Meine ewig kreisenden Gedanken hatten mich erschöpft und ich wollte nur noch in mein Zimmer.

Only with you (Minsung)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt