Von Briefen und riesigen Teetassen

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Die Sonne kitzelte mich in der Nase und ich wachte schließlich davon auf. Schon wieder waren meine Vorhänge nicht zugezogen. Ich rieb mir, genervt darüber, die Augen und nahm mir vor, sie heute Abend zuzuziehen. Ich zog mich um und trottete ins Wohnzimmer. Eine Woche war seit den Vorfällen in den Kerkern vergangen und das Schuljahr ging zu Ende.

»Dad?«, keine Antwort. Wo ist er nur schon wieder? Ich schaute mich um und auf dem Tisch entdeckte ich einen Zettel. Ich ging hin, um ihn zu lesen:

Marie, wir sehen uns heute Mittag in der Großen Halle. Ich bin in meinem Büro.
Sei brav und stell nichts an.
In Liebe
Dad

Ich setzte mich auf einen Stuhl und überlegte, was ich machen sollte. Mein Blick glitt durch den Raum und blieb an seiner Zimmertür hängen. Meine Neugier war geweckt. Ich wollte unbedingt wissen, was er letzte Woche getan hatte. Ich stand auf und setzte mich direkt wieder hin. Nein, das konnte ich nicht machen. Ich biss auf meiner Lippe herum und wog das Ärger-Nutzen-Risiko ab. Ich kam zu keinem Ergebnis, aber mir lief die Zeit davon. In dem Brief sagte er, dass er nur in seinem Büro ist. Was so viel heißt, wie er könnte jeden Moment doch wieder hier auftauchen und nachsehen, was ich trieb. Bei meinen Überlegungen pirschte ich mich immer näher an das Zimmer meines Vaters heran, bis ich schließlich davor stehen blieb. Ich legte die Hand auf den Türknauf und drehte ihn. Die Tür klickte und schwang auf. Mein Herz raste. Ich war noch nie alleine in seinem Zimmer gewesen. Zumindest nicht ohne seine Erlaubnis. Ich setzte einen Fuß über die Türschwelle, zog unsicher den anderen nach und blickte mich um. In meinem Hirn raste es, wo könnte er etwas Wichtiges versteckt haben? Und wonach suchte ich überhaupt? Briefe, Bilder oder nach etwas ganz anderem? Ich überlegte, dass systematisch vorgehen das Beste wäre und startete am Schrank, welcher halb offen stand. Die zweite Tür öffnete ich auch, aber ich sah nichts Ungewöhnliches, nur Klamotten, die ordentlich gestapelt an ihrem Platz lagen. Einen doppelten Boden konnte ich auch nicht finden. Ich ließ den Schrank, Schrank sein und drehte mich wieder zum Raum um. Das Bett zog meine Aufmerksamkeit auf sich. Versteckten viele nicht Kartons unter ihrem Bett? Ich legte mich hin und sah gähnende Leere und das Ende vom Raum. Schade. Das wäre zu einfach gewesen. Ich setzte mich hin und überlegte. Mein Blick wanderte über den Boden und mir fiel der kleine Teppich auf, auf dem ich saß. Lag der hier schon immer? Bewusst war er mir nie aufgefallen. Ich stand auf und zog ihn beiseite. Darunter sah es nicht anders aus als im restlichen Zimmer. Ich klopfte dennoch auf die Dielen, von denen sich eine hohl anhörte. Wieder fing mein Herz an zu rasen, mein Atem ging schneller. Ich drückte auf eine Seite der Diele. Nichts geschah. Und als ich auf die andere Seite drückte, löste sie sich auch nicht. Natürlich, er würde die Diele sicher nicht einfach so daliegen lassen, ohne sie zusätzlich magisch zu versiegeln. Mist, ich konnte nicht zaubern, aber auf einmal hörte ich ein Klicken und das Holz sprang an einer Seite hoch. Verdutzt schaute ich es an. Wie konnte das sein? Habe ich nur durch meinen Wunsch das Siegel überwunden? Ich schüttete den Kopf, dachte nicht näher darüber nach und nahm es einfach so hin. Das Brett war schnell herausgezogen und es kam ein Hohlraum zum Vorschein, in dem eine Kiste lag. Ich schwitzte und mein Herz sprang mir förmlich aus der Brust. Die Kiste hob ich vorsichtig heraus und öffnete langsam den Deckel. Zum Vorschein kamen einige Pergamentstücke. Manche kleiner als andere und manche sehr groß. Aber alle hatten eines gemeinsam. Sie waren leer. Mir rutschte das Herz in die Hose und ich drehte jedes einzelne Pergament um, um zu prüfen, ob nicht doch etwas darauf geschrieben stand. Enttäuscht fiel ich zurück und lehnte mich gegen das Bett. Ich starrte die Kiste an, dachte nach. Einer Eingebung folgend saß ich kerzengerade da. Was hatte er letztens noch mal gesagt? »Ein Leben lang«, flüsterte ich und was dann geschah, verschlug mir die Sprache. Das Pergament fing an, sich zu füllen. Es waren Briefe. Mein Vater hatte eine Vielzahl an Briefen in seinem Boden versteckt. Aber wieso? Was wollte er verheimlichen? Ich nahm sie alle nach und nach in die Hand und überflog sie flüchtig. Was mir direkt auffiel war, dass sie alle von einer Person waren. Lily. Das meiste war unbedeutend für mich, aber einer fiel mir ins Auge. Es war einer der letzten gewesen, die er bekommen hatte. Ich fing an, zu lesen.

Marie L. SnapeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt