der mythologische Ursprung der Runen

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In diesem Kapitel werde ich den mythologischen Ursprung der Runen beleuchten, während wir uns im nächsten Kapitel dem linguistischen Ursprung widmen werden.

Runen wurden für verschiedene Sprachen verwendet. Im Altnordischen finden wir ein Gedicht, das uns die mythologische Herkunft der Runen beschreibt:

Veik ek at hekka
vindga
meiði á
nætr allar níu
geiri
undaðr
ok gefinn Óðni
sjálfr sjálfum mér
á þeim meiði
er manngi veit
hvers hann af rótum
Hávamál, Strophe 138

Ich habe die deutsche Übersetzung in einem Satz zusammengefasst, damit besser verständlich ist, worum es in dieser Strophe geht:

"Ich weiß, dass ich neun volle Nächte an einem windigen Baum hing von dem niemand weiß, woher seine Wurzeln kommen, durchbohrt von einem Speer und Odin gegeben, mir selbst gegeben."

Hier wird präsentiert, wie der nordische Gott Odin sich neun neun Nächte lang aufhängt, um das Wissen über die Runen zu erlangen. Dies ist ein Abschnitt aus einem mittelalterlichen skandianvischen Gedicht namens Hávamál. Es stellt uns die mythologische Herkunft der Runen vor. Er stammt aus einer Sammlung von mythologischen und heroischen Gedichten namens Lieder-Edda, die im 13. Jahrhundert zusammengestellt wurde.

Die nachfolgenden Strophen lauten (beachtet, dass dies eine Übersetzung ist und es davon mehrere Varianten gibt, weil altnordische Poesie sehr schwer zu übersetzen ist):

"Kein Brot wurde mir gegeben, kein [Met]horn.
Ich schaute hinab, sammelte Runen auf,
schrie sie auf,
vom Boden aufgehoben.
Ich fiel dann hin.
Neun höhere Lieder
lernte ich vom Sohn von Bölthorn, Vater von Bestla,
Und ich konnte trinken
von dem kostbaren Met,
der aus Ódrerir genommen war.

Dann begann ich zu wachsen und zu gedreihen,
zu sprechen und zu handeln,
Wort zu Wort,
das Wort hat mich angetrieben.
Tat zu Tat,
Die Tat hat mich angetrieben.
Runen wirst du finden
und die Stäbe verstehen,
sehr starke Stäbe,
sehr mächtige Stäbe,
die der höchste Weise gefärbt hat,
die die Mächte geschaffen haben,
und die der Götterrufer graviert hat.

Odin unter den Æsir gravierte sie,
für die Alfen war es Dáinn,
Dvalinn für die Zwerge,
Ásviðr für die Riesen,
ich schnitt einige selbst.

Weißt du, wie man sie schnitzt?
Weißt du, wie man sie interpretiert?
Weißt du, wie man sie färbt?
Weißt du, wie man empfindet?
Weißt du, wie man bittet?
Weißt du, wie man etwas aufgibt?
Weißt du, wie man bietet?
Weißt du, wie man opfert?

Es ist besser, nicht zu viel zu bieten,
als zu viel zu opfern.
Lass es immer eine Belohnung für das Geben geben.Besser nichts anbieten als zu viel opfern.

[...]"

Wenn ihr nicht alles verstanden habt, ist das normal, denn man muss bei der eddischen Poesie verschiedene Aspekte beachten, auf die ich zurückkommen werde

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Wenn ihr nicht alles verstanden habt, ist das normal, denn man muss bei der eddischen Poesie verschiedene Aspekte beachten, auf die ich zurückkommen werde. Viele Passagen bleiben noch offen für Interpretation. Es ging mir hier darum, den Kontext dieser Ansammlung von Strophen vorzustellen, die übrigens als Rúnatal oder als Odins Runenlied bezeichnet wird, in der diese Selbstopferung oder Initiation von Odin präsentiert, der ein Wissen erwirbt - das Wissen über die Runen.
Es gibt Diskussionen darüber, ob es sich um eine Selbstopferung oder eine Initiation handelt. Bei einer Selbstopferung gibt eine Person etwas auf, um etwas zu erreichen. Bei einer Initiation ist das Ziel, eine höhere Ebene des Bewusstseins oder spirituelle Kräfte zu erlangen.
Wahrscheinlich handelt es sich hier also eher um einen Initiationsritus, bei dem Odin Wissen erlangt und keine Selbstopferung, weil Odin sowohl das Objekt, als auch das Subjekt der Initiation ist ("Odin gegeben, mir selbst gegeben" bedeutet, dass Odin sich selbst Odin gibt).
Der Baum, auf den im Gedicht Bezug genommen wird, wird von vielen Forscher*innen mit Yggdrasil, dem Weltenbaum (ein zentraler Baum in der nordischen Kosmologie), in Verbindung gebracht. Es gibt jedoch keine direkten Hinweise darauf im Text.

Die göttliche Herkungt der Schrift ist nicht spezifisch für Skandinavien. Ähnliche Geschichten finden sich auch im Nahen Osten, im antiken Griechenland oder bei den Tolteken in Mesoamerika. Wenn Odin hier mit den Runen verbunden zu sein scheint, gibt es auch andere Kulturen, bei denen Götter mit der Schrift verbunden sind, wie Nisiba, eine sumerische Göttin, Thot im antiken Ägypten oder Itzamná bei den Maya.

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