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„Hallöchen," trällerte eine ekelhaft frohe Stimme, gefolgt von einem kraftvollen Zuschmettern der Küchentür. Echt jetzt? Welches der vier Monster war wohl so lebensmüde am frühen Morgen? „Luuuke!" knurrte ich und machte mir in meinem völlig vernebelten Gehirn einige Randnotizen für die zu erwartende Racheaktion. „Was denn?" Betont unschuldig schlenderte mein verehrter Stiefbruder zur Kaffeemaschine und goss sich mit dem breitesten Grinsen der Weltgeschichte in aller Seelenruhe eine Tasse ein. Bevor ich beschloss, dass Helligkeit nicht gut für meine Augen war, warf ich ihm noch einen Todesblick par excellence von der Seite her zu und vergrub das Gesicht wieder in meinen Armen.
Ich bin sicher, ihr kennt das alle... So gut sich ein Rausch auch anfühlt, so Kacke ist der Morgen danach. Und verdammichter Mist. Das war mal ein richtig bescheidener Morgen danach. Irgendein kleiner Quälgeist saß in meinem Kopf und hatte offensichtlich beschlossen mit einem Vorschlaghammer Abbrucharbeiten an meiner Großhirnrinde durchzuführen. Mit einem leisen Lachen wurde etwas vor mir abgestellt.
„Geh weg," maulte ich und machte diffuse Handbewegungen in die Richtung, in der ich die Nervensäge vermutete.
„Komm schon, Kleines... Das ist nur Aspirin. Alex hab ich auch schon eine gebracht."
‚Schön für Alex,' dachte ich genervt und suhlte mich weiter in Selbstmitleid.
„Juna! Jetzt benimm dich nicht wie ein verbohrtes kleines Kind, das ist nur ein Kater!! Runter damit! Glaub mir, der Tag wird ohne nicht besser..."
Erneut war ich versucht, Luke mit meinen Blicken grauenvoll zu Tode zu bringen, entschied mich dann jedoch, dem gesunden Menschenverstand eine Chance zu geben und spülte die Aspirin mithilfe eines großen Glases Wasser hinunter.
„Braves Mädchen!" schnurrte mein Stiefbruder und grinste noch breiter.
Junge, Junge... Wenn er so weitermacht, dann wird er bald seine Ohren verschlucken! Kurz danach öffnete sich die Küchentür und Alex stiefelte an der Seite von Leander in den Raum. „HALLÖCHEN," brüllte Leander regelrecht und ich sah, dass ich nicht die einzige war, die an den Spätfolgen der letzten Nacht noch knabberte. Alex zuckte bei der Lautstärke sichtlich zusammen, dann ließ er sich neben mir auf den Stuhl fallen und legte genau wie ich seinen Kopf auf die Tischplatte.
„Morgen..." murmelte er und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ich brummelte nur irgendetwas und wartete darauf, dass die Tablette mit dem Mistkerl, der gerade mein Gehirn in seine Einzelteile zerlegte, fertig wurde. Leander öffnete den Kühlschrank und holte eine Flasche Wasser heraus.
„Euch beiden ist schon klar, dass wir bereits Mittag haben, oder?" fragte er nachdem er die besagte Flasche in einem Zug geleert hatte. „Wen juckt's?" fauchte ich und zog mir die Kapuze meines Hoodies über den Kopf. „Junilein... tut dir etwa dein kleines, armes Köpfchen weh? Du armes Mäuschen! Hast du Aua, Aua?"
Der Blick, mit dem ich Leander jetzt maß, hätte ihn in jeder anderen Welt pulverisiert. So ein verkackter Idiot! Genau das schien auch sein ältester Bruder zu denken, denn nun warf Alex ausgesprochen genervt einen Löffel nach ihm. „Leo... halt die Klappe! Das ist ein echt unfaires Duell, wenn Juni sich aufgrund von Restalkohol nicht wehren kann!"
Genau!
...
Warte, was?
Dachte der Soldat etwa, dass das besoffene Frauchen nicht selbst für sich einstehen konnte?
Pfffff... na, warte, Kollege Schnürstiefel! Jetzt zeig ich dir mal was Frauenpower bedeutet!
„Ich brauch keine Hilfe um mit dem Mauerzwerg fertig zu werden! Geh lieber ne Bob hochziehen, die auch stehen bleibt ohne dass die abgestürzt werden muss, Mauer!"

- Na, dem hatte ich es aber jetzt gegeben! Face-Palm des Todes! -

Die drei Kerle brüllten vor Lachen los und ich beschloss, dass es Zeit war mich mit dem kläglichen Rest meiner Würde davonzumachen und bei Miss P auszunüchtern.
Elegant erhob ich mich und taumelte an den drei Nervensägen vorbei in Richtung Haustür. Okay okay... Das mit dem Alkohol würde ich vermutlich ab jetzt erst mal lassen. Dazu ging's mir einfach viel zu beschissen, aber ich war in diesem Zustand der festen Überzeugung, dass es einfach nichts gab, was eine Tasse heiße Schokolade wieder richten konnte. Auf der anderen Seite war das eher ein Grundsatz als dem Moment geschuldet, aber es soll's? Generelle Lebenseinstellungen passen halt immer!!!
Hinter mir in der Küche hörte ich nur, wie Luke entgeistert fragte: „Sie will doch jetzt nicht einfach wegfahren, oder?"
Äääh, duh...
Natürlich wollte ich fahren, du dödeliger Dösdepp. Wie sollte ich sonst an meine heiße Schokolade kommen?
Genervt verdrehte ich die Augen und versuchte in meiner Handtasche meine Autoschlüssel zu finden. Es ist schon ein verflixtes Phänomen, dass wann immer man etwas finden musste, eine Handtasche zu Mary Poppins magischer Reisetasche mutierte. Ich könnte schwören, dass ich da drin eine Zimmerpflanze gefunden hatte, als ich auf der Suche nach dem verdammten Schlüssel war.
Schließlich gab ich auf, fauchte genervt und kippte die Tasche einfach auf dem Boden aus. Irgendwo schepperte es und Bingo...
Da war ja das Ding.
Triumphierend beugte ich mich runter und hätte fast den Marmorboden geknutscht, weil anscheinend meine Hand Augen Koordination so mit Restalkohol im Blut echt nicht der Hit war - von meinem Gleichgewichtssinn will ich gar nicht erst anfangen.
Ein starker Arm legte sich rechtzeitig um meine Taille und bewahrte mich davor, mir den schwarzen Edel Marmor ein bisschen genauer zu sehen, als mir im Moment lieb war.
„Das ist jetzt wohl nicht dein Ernst! Verdammt, Juni... Du kannst doch nicht im betrunkenen Zustand Autofahren!"
„Zum einen, Aquaman... das kann ich erst wissen, nachdem ich es versucht hab und zum anderen bin ich nun wirklich nicht mehr betrunken. Also wie wär's, wenn du mich zu meiner Tasse Schokolade fahren lässt und du gehst mit Fabio und Sebastian in ein Schiffswracks am Meeresboden um Menschendinge zu suchen, du Arielle Verschnitt!!"

BÄMMS!
Nennt mich die Königin der Retourkutschen!

Doch auch wenn ich ihn verbal gerade ordentlich einen von dem Latz geballert hatte, beeindruckte das den Soldaten anscheinend überhaupt nicht, denn Alex trug mich unter den Arm geklemmt einfach ins Wohnzimmer. Dort ließ er mich auf der Couch niederfallen und baute sich mit verschränkten Armen direkt vor mir auf. Und er war bedauerlicherweise nicht allein, denn Holzkopf eins und zwei besser bekannt als die Zwillinge aus der Hölle nahmen an seiner Seite Aufstellung und fixierten mich mit dem gleichen entgeistert – genervten Blick, den auch schon der Navy Seal drauf hatte.
Was war deren Problem?
Ich wollte doch einfach nur eine unschuldige Tasse heiße Schokolade und ein bisschen Vollpfosten freie Zeit haben.
War das vielleicht zu viel verlangt?
Genervt verdrehte ich die Augen und bemerkte zeitgleich, dass die Aspirin ihre Wirkung zeigte und die Kopfschmerzen endlich, endlich nachließen.
Alex holte scharf Luft und wollte anscheinend zu einer Gardinenpredigt der Superlative ansetzen, als die Haustür mit einem Krachen aufflog und ein zierliches Püppchen, mit langen Haaren und einer Laune, ähnlich der dauermiesen von Sauron bei Herr der Ringe in die Villa stürmte.
„Wo ist die blöde Kuh?" kreischte sie wie eine Furie und sah sich wild schnaubend um. Okay... Blöde Kuh? Damit konnten ja nur meine Mutter oder ich gemeint sein und da ich mir ziemlich sicher war, dass ich diese nervtötende Quietschkugel noch nie gesehen hatte, richtete ich mich bereits auf um ihr mal gepflegt meine Meinung zu geigen. So konnte man nicht über meiner Mutter reden!
Der Blick der kreischenden Todesfee fiel auf mich und ich konnte förmlich sehen, wie ihr Blutdruck die Grenzen des Gesunden verließ und jeden Kardiologen der Umgebung in automatische Alarmbereitschaft versetzte.
„Wie kannst du es wagen, du verkackte Mistkröte?" fauchte sie und marschierte im Stechschritt in Richtung Wohnzimmer.
„Tessa...!"
Alex Stimme hatte einen eindeutig warnenden Unterton angenommen, doch Quietschkugels Gefahrenradar war augenscheinlich noch nicht bei der jährlichen Wartung gewesen, denn sie machte dasselbe wie ich und ignorierte den ältesten Hanson gewissenhaft.
Ooookay.... welcher Film lief denn gerade bei der falsch?
„Muss ich dich kennen?" fragte ich genervt, dieses Intermezzo wurde allmählich lästig, da es mich von meinem morgendlichen (okay, von mir aus!) Mittäglichen Muntermacher in Form des leckersten, cremigsten und glücklich machensten Grundnahrungsmittels weltweit abhielt!!!
„Das fragst du auch noch, du dämliche Fo..."

„TESSA!" brüllte Alex. „GENUG JETZT! DU BIST HIER ZU GAST, ALSO WIRST DU UNSERE STIEFSCHWESTER MIT RESPEKT BEHANDELN, ANSONSTEN... DA IST DIE TÜR!"
Beeindruckend hob ich die Augenbrauen und schürzte die Lippen.. unter anderen Umständen wäre diese Ansage echt heiß gewesen...
Mist!
Anscheinend hatte meine Libido beschlossen mich just in diesem Moment darauf hinzuweisen, dass mein letzter Matratzenmambo ein paar Jährchen her war und ich vermutlich bereits wieder als Jungfrau durchging.
„Alex... du müsstest mal sehen, was die mit Malik gemacht hat, dann würdest du..."
Sekunde... mal kurz zurückspulen... was soll ich mit Malik gemacht haben? Ich erinnerte mich null! Klassischer Filmriss... das letzte, was in meinem Hirn - verschwommen zwar - noch abrufbar war... war der Kuss von ... Fuuuuuuuuck!!!!!

Liebe auf Umwegen Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt