Kapitel 1

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Ich drückte mich leise vorbei an den vielen Menschen um weiter in den Raum zu kommen, roch den Schweiß der Menge auf engem Raum und hörte die Vertrautheit der süßen Töne. Ich lehnte mich an den Rahmen der Tür zu unserem großen Saal und schloss die Augen. Lange ist es her seitdem Micah ein Konzert für uns gegeben hatte. Er war ein wahrer Meister darin Klavier zu spielen. Er war ein Meister darin uns in eine Welt zu führen in der alles für jeden okay war.

Jeder war gekommen um ihm zuzuhören, weil keiner wusste ob es ein nächstes Mal geben würde. Ich erschauderte als die Musik anschwoll und tosender wurde, ihren Höhepunkt erreichte und wieder leiser wurde. Ich wollte mir nur dieses eine Mal erlauben mein Gedanken zuzulassen. Mit der Musik erfüllte mich fast so etwas wie ein Glücksgefühl. Ich lief vorbei an Strandhäusern auf einer Promenade aus dem Bilderbuch, schaute auf das glitzernde Meer, welches meine Gedanken füllte. Leise spielte Musik. So sah ich ein Meer vor mir, obwohl ich nicht wusste, ob es tatsächlich so aussah wie in meine Vorstellung.

Es war Micahs Musik die ich hörte, sie begleitete mich bis hierher. Er saß in einem Restaurant an einem großen Flügel, um ihn viele Menschen die ihm bewunderte Blicke zuwarfen und sich zu der Musik wiegten. Er verdiente normal Geld wie jeder andere und konnte das tun was er liebte. Er konnte spielen ohne Angst zu haben und frei sein.

Ich war mir sicher dass Micah auch seine Freiheit sah wenn er spielte, er fühlte sie und gab sie an uns weiter. Ich hatte noch nie mit ihm geredet, aber schon viel von ihm gehört. Ich war hier aufgewachsen und kannte nichts anderes. Ich wusste dass man dreihundert Schritte von meinem Zimmer zu diesem Eingang unseres Gruppenraumes brauchte.

Micah beendete mit diesem Stück auch schon unser kleines bisschen Freiheit welches er uns jeden Monat einmal gewährte. Ich war leider zu spät gekommen weil ich diese Woche dran gewesen war mit ein paar Anderen die gestohlenen Vorräte neu einzuteilen.
Keiner weiß woher der Flügel kam auf dem Micah spielte, er sah auch schon ein wenig mitgenommenen aus, hier und da blätterte der Lack und auch die Tasten waren teilweise verbogen. Wahrscheinlich stammte es aus einem ausgeraubten Bauernhaus am Rande des Dorfes.

Wir lebten in einem kleinen Dorf welches sich klar von der anderen Welt abgrenzte in der wir lebten. Ich wusste nicht einmal ob wir die einzigen Menschen waren die es in so einem Dorf umhertrieb oder ob es noch mehr Dörfer mit mehr Menschen gab.
Es war ein Platz mit vielleicht fünfzig Häusern und ein paar Familien. Wir wurden gerade so geduldet weil die Höheren nicht so sein wollten wie wir. Keiner weiß was sie damit meinten oder warum, wir taten einfach nur als wären wir äußerst dankbar für dieses bisschen Gnade.

Denn dieses bisschen Gnade hielt unser Dorf größtenteils am Leben. Keiner durfte uns mehr willkürlich etwas antun wie es ein paar Jahrzehnte vor meiner Geburt Brauch gewesen war. Jedoch fanden sie andere Wege uns zu foltern, schließlich lebten wir von der Landwirtschaft die wir auf Feldern um unsere Häuser herum betrieben. Hohe Abgaben musste jeder einzelne zahlen, konnte man nicht oder war man im Verzug so war ein Mensch weniger in dem Dorf ansäßig.

Ich hatte nicht oft mitbekommen wie die Höheren über andere herfielen, aber ich hatte schon viel darüber gehört.
Manchmal wurden Razzien unangekündigt durchgeführt und wenn sie gestohlene Lebensmittel gefunden hatten war das halbe Dorf in seiner Existenz bedroht. Die Männer starben und die Frauen wurden an einen sehr grausamen Ort gebracht.

Es gibt ein paar Händler die ebenfalls keine Menschen sind und für überteuertes Geld Dinge anbieten die wir jedes halbe Jahr kaufen können, wenn sie an unserem Dorf vorbei ziehen. Sie erzählten, dass die Frauen und Mädchen in ein umliegendes Hurenhaus gebracht wurden, in denen sie den Höheren zum Opfer vielen. Sie erzählten, dass oft kaum eine lebend oder bei Verstand dort hinauskam und ihre Familie wiedersah. Ich persönlich tat es als grausames Märchen ab um den Kindern und Frauen Angst zu machen. Vielleicht tat ich es erst recht als Märchen ab, weil ich selber zu viel Angst vor so einem Schicksal hatte.

Humanity fadesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt