Tolle Aussichten!

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Der Vodka brannte herrlich meine Kehle hinunter, was mich alte Süchte fast schon vermissen ließ. Zusammen mit der kühlen Nachtluft und der freien Tiefe unter meinen Füßen keimte eine dunkle Nostalgie in mir auf, die aus meinen längst vergangenen Jugendzeiten herrührte.

Es war wirklich nicht schwer gewesen, das Hauptquartier zu verlassen und ins nächste Städtchen zu fahren. Ich hatte nur ein wenig herumfragen müssen, um die Tiefgarage zu finden; und somit auch mein heiß geliebtes Motorrad, an das Cassia glücklicherweise ebenfalls gedacht hatte. Etwas verstaubt war die alte Kawasaki in schwarz zwar gewesen, aber ein Lappen aus der Werkstatt tat da schon Wunder. Und frisch aufgesattelt, hatte es gar nicht so lang gedauert, hinaus in die Freiheit zu finden— oder zumindest bis zum nächstbesten Supermarkt, in dem ich die Alkohol- und Snackabteilung plünderte.
Die Kassiererin hatte mir sogar schöne Augen gemacht.
Allerdings war ich nicht in der Stimmung für schöne Augen.
Eher so für Kopf ab und damit Fußball spielen.

Mein Rucksack voll mit ungesunden Leckereien saß direkt neben mir auf dem Dach des Hostels, das wir besetzt hatten. Ich ließ die Beine ins Freie baumeln, schicke 30 Meter tief. Hinter dem Hostel befand sich der alte Pool, von dem Jester erzählt hatte, wie ich von hier oben aus entdeckt hatte. Im Dunkeln der Nacht ließ der sich aber eher schwer mit Kieselsteinen treffen. Vielleicht lag es auch einfach daran, dass ich leicht beschwipst weniger gut zielen konnte als nüchtern.
Darauf trank ich die billige Dose Citrusvodka aus und zerquetschte sie, ließ sie neben mich fallen und suchte mein Bier.

Schritte hinter mir ließen mich aufhorchen. Seufzend öffnete ich mein Bier mit meinem Feuerzeug und setzte die Flasche an den Mund.
„Du trinkst immer noch?"
„Nein, nur schon wieder", entgegnete ich. Cassia näherte sich, blieb hinter mir stehen. Ihr Schatten zog über mich. „Ich will dir nichts vorschreiben, aber du solltest es lassen."
Ich lachte leise. „Du bist mein Boss, du schreibst mir praktisch ständig vor was ich zu tun und zu lassen habe."
Sie schnaubte, sank hinter mir zu Boden und klaute mein Bier. „Hey!"
„Klappe." Sie packte mich an den Armen und zog mich zurück, weg vom Abgrund, schlang die Arme um mich. Machte sie sich etwa solche Sorgen um mich?
„Hey. Ich wollte nicht springen", erklärte ich leise. Wenig unauffällig angelte ich nach meinem Bier, bekam allerdings einen Klaps auf die Finger.
„Du bist gerade erst wieder hier, da gehe ich kein Risiko ein." Cassia legte den Kopf auf meiner Schulter ab, und etwas überfordert tätschelte ich sie. Es war etwas ungewohnt, einem anderen Menschen nahe zu kommen, wenn es nicht gerade darum ging, in eine Zwangsjacke gesteckt zu werden.
„Hast du mich etwa vermisst?"
„Frag nicht, sonst schubse ich dich und lasse es wie einen Unfall aussehen."
„Das wird aber nicht schwierig. Lass dir was cooleres einfallen."
„Vielleicht nähe ich dir einfach das Maul zu."
Grinsend lehnte ich mich zurück, dass mein Kopf auch auf ihrer Schulter lag. „Klingt schon viel besser."

Eine Weile lang schwiegen wir, und ich war schon kurz davor, den Moment zu genießen. Um ehrlich zu sein, hatte ich Cas schließlich ebenfalls vermisst.
Allerdings ruinierte sie die Ruhe erneut. „Warum warst du so gereizt, als wir über Luca gesprochen haben? Ich kenne dich zwar gut, aber du hättest nicht auf Jester losgehen müssen."
„Musst du immer Salz in die Wunden streuen?", knurrte ich gereizt und löste mich aus ihrer Umklammerung.
„Das ist mein Job. Was habt ihr gefunden, das dich so belastet?"
Abwesend schüttelte ich den Kopf. Wie sollte ich das schon erklären? Ich hatte Angst vor einem Mann, den ich seit zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte? Pah, das war doch absurd.
Ich rieb mir die Schläfen und schnappte mir mein Bier, bevor Cassia mich zurückhalten konnte. Sie zwickte mich in den Arm. „Hör auf alles immer in Alkohol zu ertränken und rede lieber mit mir, das ist ein Befehl."
Ich schnaubte. „Jester hat einen der Briefe vor mir versteckt und darauf bestanden, dass ich mir, was auch immer da drin ist, nicht anschaue. Keine Ahnung warum er so ein Theater macht, aber es macht mich wahnsinnig."
Cassia schwieg. „Vielleicht, weil du weißt dass es besser so ist."
Ich warf ihr einen entnervten Blick zu. Natürlich tat ich das. Allerdings machte es die Situation nicht gerade besser. Eher schlechter. „Er wird schon recht haben, aber ich kann nicht damit leben, dass Krätze so mit mir rumspielt, und er sich das ganze ansehen kann, obwohl er mich keine zwei Tage lang kennt."
„Ich verstehe dass es dich verunsichert, aber um Jester musst du dir keine Sorgen machen." Cassia schob sich neben mich und griff nach meinem Rucksack, um sich an meinem wertvollen Vorrat zu bedienen. Sie öffnete eine Dose Whiskey-Cola. „Ich habe Jester eingestellt, weil er große Qualitäten im Profiling mitbringt. Wenn er dir mit Luca's Vorhaben hilft, hast du ziemliches Glück. Abgesehen davon ähnelt er dir ziemlich."
Ich verzog das Gesicht. „Ach ja? Nenn mir ein Beispiel."
Cassia nahm einen Schluck aus ihrer Dose und musterte mich mit dem Hauch eines Schmunzelns. „Er hat früh mit Kriminalität zu tun gehabt, Alleingänger, Aggressionsprobleme, Verlustängste..."
„Minderwertigkeitskomplexe, Suizidgedanken und einen wundervollen Humor?", schlug ich genervt vor, um die Kette meiner Schwächen zu vervollständigen.
„Genau das meine ich", entgegnete sie bloß lächelnd. „Ihr würdet wunderbar zusammenpassen."
Ich verkniff mir krampfhaft einen Kommentar und nuckelte lieber weiter an meinem Bier rum. Was auch immer Cassia damit andeuten wollte, sie lag eindeutig falsch. All das hier war bloss Mittel zum Zweck; ich musste so schnell es ging Krätze ausfindig machen und herausfinden was er wollte, und dafür brauchte ich eben wohl oder übel Unterstützung.

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