6. Verhängnis

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Das Grau zog sich zu einzelnen Wolken zusammen und  ließ hier und da ein Stück veilchenblauen Himmel durchblitzen

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Das Grau zog sich zu einzelnen Wolken zusammen und ließ hier und da ein Stück veilchenblauen Himmel durchblitzen. Ob die Sonne stark genug war, den düsteren Morgen zu vertreiben? Ihr Magen knurrte jetzt wie ein Wolfshund. Sie riss eine weitere Apfelscheibe entzwei und steckte beide Hälften miteinander in den Mund.

An dieser Stelle, gleich neben Finngualas Kammer, hatte sie unzählige Male vor dem Fenster gehockt und den Sonnenaufgang erwartet. In den ersten Jahren war sie so klein gewesen, dass sie einen Hocker an die Wand schieben musste, um darauf zu klettern. Die Amme hatte jedes Mal geschimpft und das schlimmste verhindert, indem sie sie am Gürtel packte und festhielt. Immer war sie geduldig bei ihr geblieben, bis sie genug gesehen hatte. Dabei waren die getrockneten Apfelschnitze, die jedes Jahr in dem Krug in der Nische verwahrt wurden, immer weniger geworden, je öfter sie den Sonnenaufgang beobachtete - bis Finnguala eines Tages sagte: "Die Sonne geht jeden Tag auf, Gráinne. Man muss sich das nicht hundertmal ansehen." Doch, sie müsse es sich hundertmal ansehen, hatte sie ihr geantwortet, denn die Farben seien jedes Mal anders. Da hatte Finnguala sie mit ihren hellen Augen angesehen und sie gelassen.

Oh, wie gerne ging sie in ihren Gedanken zu diesen Jahren zurück! Neuerdings lag aber eine seltsame Traurigkeit auf all den herrlichen Momenten, dem Glück und der Freiheit. Irgendwie trieb es davon, verschwand wie der Nebel, den der beginnende Tag aufsaugte. Wohin gingen die Träume und Wunder ihrer Kindheit, wenn sie mehr und mehr von der Welt verstand und ihr Blick der eines großen Mädchens wurde? Ihr Kopf begann sich mit anderen, ernsteren Dingen zu beschäftigen. Es lockte sie, es war aufregend, aber zugleich machte es ihr Angst.

Noch immer fühlte sie sich  geborgen, wenn sie hier mit ihrer Handvoll Apfelscheiben stand und auf  die Sonne wartete

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Noch immer fühlte sie sich geborgen, wenn sie hier mit ihrer Handvoll Apfelscheiben stand und auf die Sonne wartete. Aber auf einmal verging die Zeit wie im Flug; die Sommer und auch die nassen Winter waren nicht mehr unendlich lang, sie begann die Wechsel der Jahreszeiten und das Fortschreiten des Jahres mit anderen Augen zu sehen. Es tat beinahe weh, an die Leichtigkeit der vergangenen Jahre zurück zu denken. Wie sorglos und glücklich sie gewesen war ... sie war es noch immer, aber eine Ahnung, dass es nicht ewig so bleiben konnte, hatte sich seit ihrem elften Geburtstag in ihr Herz geschlichen. Sie verstand zum ersten Mal, dass die Zeit weder anhielt, noch würde sie jemals rückwärts laufen, auch nicht für die Töchter von Königen. An Tagen wie diesem, wenn Frühling und Sonne auf sich warten ließen, legte es sich wie ein dunkler Mantel um ihre Schultern, drückend und kühl.

Die Schwäne von Tara - Eine Liebesgeschichte aus dem alten IrlandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt