Hand in Hand durch die Welt

Kapitel 5

1:17 Uhr. Ich greife zu meiner Zigarettenschachtel und nehme mir eine raus. Ich setze mich ans Fenster in meine Kuschelecke. Ich zünde die Zigarette an und entsperre mein Handy. Aus Neugier öffne ich Instagram und die Stories durchzuschauen. Sasan's Story als erstes. Die Story ist 43 Minuten her, er sitzt auf einem mir bekannten Sofa. Es ist kein anderes als das in Volkan's Haus. Es stehen 3 Gläser auf dem Tisch. Sasan, Volkan und wer noch? Flippo? Mustafa? Ensar?  Johannes? Oder doch Serhang? Vielleicht ist es auch Hakan. Ich tippe auf meinen Bildschirm. Story von Hakan. Der selbe Tisch, nur aus einer anderen Perspektive. Vor 45 Minuten. Erleichtert atme ich aus. Eigentlich geht es mich ja aber nichts mehr an. Jetzt kommt die Story von meinem Freund Cem. Er ist mal wieder feiern. Natürlich nicht alleine, sondern mit seinen Kumpels und irgendwelchen Weibern. Ich schmeiße meinen Zigarettenstummel ins Glas und gehe zurück zu meinem Laptop. Vorher schaue ich nochmal mit meinem Handy bei WhatsApp vorbei. Ich öffne den Chat von Volkan und überlege ob ich ihm schreibe und wenn ja, was? Ich entscheide mich aber dafür, dass ich mir erstmal die restlichen Songs anhören möchte. Der nächste Song ist:

*Rythm of the Night*

"Leerer Blick, in Richtung Discokugel. So viel Trubel, alle hier so schick"
Er hält sich oft in Discos auf, kein Wunder, dass manche Songs davon handeln.
"Mir sitzt was in mei'm Nacken. Mitte dreißig, sie sagt hi. Ich merk, sie ist erfahren, redet kein'n Smalltalk, sie legt direkt los"
Hat er eine andere kennengelernt? Steht er jetzt auf Ältere? 
"Küss mich, flieg mit mir nach oben, Baby, mach dir keine Sorgen, bereuen wirst du's eh erst morgen"
Ah, scheinbar wieder eins seiner One Night Stands.
"Ich denk an alte Tage. Allzu oft nicht allzu gern. Denn hier wollt man mich nicht haben. Ich durft nicht tanzen, viel zu groß und viel zu schwer" 
Volkan hat oft erzählt, dass es für ihn damals schwer war in Clubs reinzukommen, aber jetzt freuen sich die Clubbesitzer, wenn er kommt.
Die letzten Sekunden vom Lied laufen und direkt startet der nächste Titel.

*Schrei*
"Kopf an Kopf, mein Schatz. Hätt' mich so gern dran gewöhnt"
Wir sind nun ca. ein halbes Jahr getrennt und ich vermisse es heute noch neben dir in deinem Arm zu liegen. Nächtelang lagen wir wach und haben geredet bis ich auf deiner Brust eingeschlafen bin.
"Jede Nacht war ich doch da" 
Es stimmt, wir haben jede Nacht zusammen verbracht.
"Wer streicht dir jetzt durch dein Haar?"
Ich weiß, dass er von Cem weiß. Die beiden kennen sich flüchtig.
"Ja, du lügst doch. Sag mir nicht, dass du mich liebst. Ja, du lügst doch. Warum lügst du?"
Ich liebe dich, Volkan. Aber ich liebe auch Cem. Denke ich. Ich weiß es nicht. Ich bin total verwirrt. Cem ist nicht mehr der, der er vorgegeben hat zu sein. 
Die darauffolgenden Zeilen brechen mir mein Herz, denn es stimmt. Wir haben oft am Telefon gestritten. Wollte er mir damit was sagen? Vielleicht hofft er, dass ich mir das Album anhöre. 

Der nächste Song heißt:

*Sport*
Dieser Song hat wieder ein Musikvideo. Er steht da und zündet sich eine Zigarette an. Verdammt, ich kenne keinen der so gut dabei aussieht wie er. Er ist feiern mit vielen Frauen im Club. In einer anderen Frequenz sitzt er auf dem Beifahrersitz seines AMG's. 
"Versprochen, morgen mach' ich Sport, du weißt"
Ich muss schmunzeln, er macht eigentlich kaum Sport, das verrät auch sein kleines Bäuchlein. Aber er spielt gerne Fußball. Ich höre den Song weiter und bei der Zeile:
"Sie nervt mich ein bisschen, doch sie kann sehr gut "reden" "
muss ich wieder schmunzeln. Er ist manchmal echt witzig. Der erste Song bei dem ich nicht wirklich über die Zeilen nachdenken muss sondern einfach den Klang seiner Stimme und seinen Anblick genießen kann.
Nun komm ich zum letzten Song:

*Nebengasse*
Der Song ist sehr tiefgründig, er zeigt auch die liebevolle Seite von ihm, weil er singt von einer frierenden Frau, der er seine Jacke gibt. Außerdem versucht er einen Streit zu schlichten. 
Die letzten Melodien vom Song neigen sich dem Ende zu. Mir fallen fast die Augen zu, ich bin echt müde. Zum Glück hab ich morgen frei. Bevor ich schlafen gehe, greife ich aber zu meinem Handy und schreibe Volkan folgende Worte:

Volkan, 
Ich sitze hier, die Gedanken kreisen in meinem Kopf. Ich habe mir eben dein Album angehört. Bitte sag mir, denkst du wirklich, dass ich dich nie liebte? Ich denke jede Nacht an dich. Unsere Bilder hängen immer noch an meiner Wand. Mein Vater hört immer noch deine Songs, selbst er vermisst dich. Ich habe nur eine Frage:

Wieso? Wieso hast du dich von mir getrennt?

Ich habe die Nachricht abgeschickt und direkt fiel ich tief und fest in den Schlaf.

Wenige Stunden später werde ich plötzlich unsanft von dem Klingeln meines Weckers geweckt. Ich hatte vergessen ihn auszuschalten. Ich schalte ihn aus und entsperre mein Handy. Es öffnet sich der Chat von mir und Volkan. Ich erschrak, denn ich habe vergessen, dass ich ihm geschrieben hatte. 2 blaue Haken aber keine Antwort. Schnell lösche ich die Nachricht, in der Hoffnung, dass er zu betrunken war um es zu lesen. Ich lege mein Handy neben mich und schließe die Augen. Die ganze Zeit wälze ich mich hin und her, aber irgendwie kann ich nicht wieder einschlafen. Ich stehe also auf und laufe runter in die Küche. Dort sitzt mein Papa mit seiner Zeitung und Kaffee am Tisch. Neben ihm meine Mutter. Sie ist schon fertig gemacht für die Arbeit, ihr roter Lippenstift sticht mir sofort ins Auge. Auch mein Bruder Serdar sitzt am Tisch. Ich unterbreche die Stille mit einem "Guten Morgen" Mein Vater schaut zu mir auf und lächelt. "Na, hast du dir schon das Album von Volkan angehört? Baba und ich ha-" "Hör auf, Serdar", sagt meine Mutter plötzlich. Ich zucke mit den Schultern und setze mich neben meine Mutter. Sie schaut mir in die Augen und fragt mich: "Was ist los? Dich bedrückt etwas."
"Nein, bin nur müde." Sie schaut mich verzweifelt an, steht auf und sagt "Ich muss jetzt los zur Arbeit, ich liebe euch." Der Klang ihrer Schuhe auf dem Boden wird immer leise und dann fällt die Tür ins Schloss. Der Motor ihres Auto startet und weg ist sie. Völlig müde versuche ich mich aufzuraffen um mir einen Kaffee zu kochen. Ich schalte unsere Senseo Maschine ein, greife nach einem Kaffee Pad und öffne den Schrank um mir eine Tasse rauszuholen. Das Pad lege ich in die Maschine, stelle die Tasse darunter und drücke auf den Knopf. Die Maschine fängt an zu brummen. "Dein Bruder hat mir erzählt, dass du wieder rauchst." Mein Blick richtet sich zu meinem Bruder, der mich anstarrte und dann zu meinem Vater. Er hebt eine Augenbrauen.
"Baba, ich bin 22." Ich greife nach meiner Tasse und gehe nach oben in mein Zimmer. 
"Alexa, spiel meine Playlist."
Die Musik startet und ich stelle mich vor meinen Schrank. Wie jeden Tag überlege ich ewig hin und her was ich anziehe. Ich entscheide mich für einen schwarzen oversized Hoodie und eine dunkelblaue, enge Jeans. Aber was mache ich heute mit meinen Haare. Da ich keine Lust hatte meine glatten Haare zu locken, beschließe ich sie einfach halb offen zu tragen. Mit einem kleinen Haargummi binde ich den oberen Teil meiner Haare zusammen. Mein Make Up trage ich heute dezent, etwas farbigen Lipgloss und Mascara. Auf einmal klingelt mein Handy. Bitte lass es nicht er sein. Aber es ist Sophia. Ich gehe ran.

Sophia: Hey, steht das mit unserem Treffen heute noch?
Aliyah: Hey... Klar. Ich hole dich 12 Uhr ab, ist das in Ordnung?
Sophia: Ja, das passt. Du klingst irgendwie komisch, ist alles gut?
Aliyah: Wir reden später, ja?
Sophia: Okay, dann bis später. Lieb dich

Ich schmeiße mein Handy aufs Bett. Ich habe jetzt noch 3 Stunden bis ich Sophia abholen muss.
Die Minuten vergehen wie Stunden, ich sitze am Fenster mit einer Zigarette. Plötzlich werde ich aufmerksam auf den schwarzen BMW der in unsere Einfahrt fährt. Ein attraktiver Türke steigt aus dem Auto und sein Blick wendet sich direkt zu mir ans Fenster.
"Hey, machst du mir auf?"
Ich tue so als würde ich ihn nicht hören. Verzweifelt schaut er auf den Boden und läuft auf unsere Haustür zu. Das Ringen der Klingel schallt bis hoch in mein Zimmer.
Ich höre meinen Vater laut sagen: "Ahhhhhh Cem, lang nicht gesehen. Aliyah ist oben."
Die Treppen knarren, Schritte näheren sich meiner Tür. "Aliyah? Darf ich rein kommen?"
"Ja" Er tritt also in mein Zimmer. Ohne zu zögern läuft er direkt auf mich zu und versucht mich in den Arm zu nehmen. Ich stoße ihn aber ab. "Was ist los?", fragt er. Keine Antwort meinerseits. Er greift nach meinen Händen und fleht mich an mit ihm zu reden. "Ich kann nicht...", brummel ich leise. Fragend schaut er mich an und sagt: "Was kannst du nicht?" Wie aus der Pistole geschossen, antworte ich: "Ich kann nicht mehr mit dir zusammen sein" Seine Hände lockern sich von meinen und gleiten nach unten. "Aber... aber ich liebe dich." Mit Tränen in den Augen schaue ich ihn an. "Und ich liebe *undeutliches Brummeln*" Wieder schaut er mich fragend an. "Wen liebst du?" Mein Blick wandert an meine Wand, an der die Bilder mit Volkan hängen. Ich schüttelt mit dem Kopf. "Ich kann es nicht glauben, du stehst immer noch auf diesen Macho? Nach allem was ich für dich, für uns, getan habe? Ich wollte dich eigentlich fragen ob du meine Frau werden willst, Aliyah." Jetzt richtet sich mein Blick wieder auf Cem und alles was ich raus bekomme ist ein flüsterndes "Es tut mir leid." Cem schaut auf den Boden und wischt sich eine Träne von der Wange. "Okay... Dann soll es so sein. Aber er wird dich nicht glücklich machen, Aliyah. Er hat zwar Geld, aber er wird dir nie etwas bieten können." Mit folgenden Satz nahm alles eine Wendung und meine Trauer verwandelt sich in Wut. "Ich bereue den Seitensprung mit Eva nicht." Wütend schau ich ihn an, zeige auf meine Tür und schreie "RAUS". Gesagt, getan. Weg ist er. Ich laufe auf meinen Nachttisch zu und greife nach meiner Vape. Zügig ziehe ich an der Vape. Ich habe vergessen, dass sie leer ist. Als ich es bemerke, schmeiße ich sie wütend in den Mülleimer und rauche eine Zigarette. So schnell hab ich noch nie eine Zigarette geraucht wie am heutigen Tag.