Kapitel 1

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Lichter.
Lichter zwischen dem unendlich erscheinenden Nebel.
So strahlend hell, dass selbst die Sterne der Mondküste neidisch aussehen müssten. Musik.
Musik so laut, dass es selbst im Kaiserreich zu hören war.
Nicht gerade üblich für diese düsteren Zeiten und doch herrschte ein aufgeregtes Treiben in den engen Gängen dieser eigentlich verschmutzten Stadt.
Heute Abend machte sich niemand etwas daraus oder aus dem Fakt, dass uns allen die Dunkelheit spürbar im Rücken lag.
Keiner kümmerte sich darum mit wem man sich gerade unterhielt, oder welche bestreben das Gegenüber hatte.
In diesem Moment waren alle gleich. Zumindest die, die sich heute in die kleinste Stadt von Kartheen verirrt hatten.
Unser Dorf, wie man es eher nennen sollte lag im südlichen Westen des Reiches und hatte damit den Vorteil relativ abgelegen zu sein. Gut, das war natürlich Ansichtssache.
Schon einige Male hatte ich gehört, wie Händler sich über ihre lange Reise beschwerten.
Verübeln konnte man es ihnen bei der Anzahl der Gebirge hier nun nicht.
Aber selbst ihre mürrischen Gesichter wurden heute von einem Lächeln besetzt und ihre Pergamente durch Bierkruge ersetzt.
Wenn selbst diese voreingenommenen Gesellen einen kurzen Augenblick des Friedens zu schätzen wussten, dann war dem Abend wohl nichts mehr entgegenzusetzen. Die hohe Gesellschaft ließ sich wie immer nicht blicken aber vermisst wurde sie auch nicht.
Wahrscheinlich würden sie bei unseren Sitten nur ihre bis zur Unkenntlichkeit gepuderten Köpfe schütteln und ihre mit Schmuck behangenen Gewänder aufbauschen, um dem verdreckten Boden zu entfliehen.
Nur den Adligen des unteren Standes schien es nicht zu kümmern.
Meist waren es Lords und ihre Ehefrauen, die noch nicht vollends dem königlichen Hofe verfallen waren.
Sie ließen sich in den dunklen Labyrinthen unseres Königreiches gehen, eben dort wo sie niemand sehen oder vermuten würde.
Für sie musste es eine Art der Freiheit sein, die ihnen sonst immer genommen wurde.
In dieser lauwarmen Mainacht jedoch werden alle Augen auf mir liegen, meinen Schritten folgen und von der Melodie der Musik verzaubert werden.
Wie zu jedem Arsisfest, dass für jenen Tag gegründet wurde an dem die oberste Göttin Aria die Erde küsste und uns mit Leben beschenkte.
Laut einigen Erzählungen soll sie sogar der Grund allen Ursprungs sein und stets über uns wachen.

Wie erstarrt dachte ich weiter an die alten Geschichten und hoffte mich damit etwas zu beruhigen, um meiner Nervosität Stand zu halten.
Mit einem verzogenen Gesichtsausdruck sah ich auf meine verschwitzten Hände. Einen Fehler nur und ich konnte mich im schlimmsten Fall von einer meiner Gliedmaßen verabschieden.
Nein, dass grausigste was passieren konnte, war das Scheitern unseres Plans. Ich schüttelte den Kopf und trocknete meine Hände an meinem üppigen Rock ab, der in den verschiedensten Farben der Nacht schimmerte, sobald er mit Licht in Berührung kam.
Das passende Oberteil bedeckte gerade einmal das nötigste und war bestickt mit Mustern und Perlen.
An den Armen hang ein samtiger, weicher Stoff hinab der sich bei jedem Windstoß bewegte.
Das Wichtigste heute, war allerdings das Katana, welches ich mir auf den Rücken drapiert hatte.
Es wird schon alles glatt laufen... wie immer. Auf einmal packte mich eine schwielige Hand an der Schulter und drückte leicht zu.
„Man könnte meinen du machst das zum ersten Mal, sowie du schwitzt".
Ohne mir die Mühe zu machen mich umzudrehen verdrehte ich die Augen.
"Es ist ja nicht so als würde ich gleich mithilfe eines Katanas versuchen ein halbes Dutzend Menschen abzulenken, damit ihr wieder euer Leben aufs Spiel setzt".
Verstimmt wendete ich mich nun doch meinem Gesprächspartner zu, um ihn böse anzufunkeln.
Kjartan, der Anführer unserer Gruppe war mittleren Alters und liebte es anderen auf den Geist zugehen, sofern er gute Laune hatte. Zwar zeichnete sich Kjartan durch seine Klugheit und Gelassenheit aus, aber es schlief auch in ihm eine Angst, die er tief in sich verschloss.
Vor einigen Jahren, als der Nebel erneut begann über den Kontinent zu wüten verlor unser Anführer seine Frau und sein Kind an die Dunkelheit.
Traurigkeit durchfuhr ihn, trieb ihn selbst an den Rand der Verzweiflung, um den letzten Funken Hoffnung zu löschen.
Jedoch krallte er sich an seine neue Lebensaufgabe fest und erschuf etwas, dass vielen das Leben rettete.
Auch ich verdankte ihm mein Leben.
„Lass deine Nervosität jetzt nicht an mir aus. Schließlich hast du uns doch selbst erklärt, dass der Ablenkungseffekt intensiver wäre". Der stichelnde Ton in seiner Stimme schien sich wie ein stück Eisen in meine Hau zu drängen und förmlich meine Wut zu schüren. „In Ars Namen! Ich weiß, was ich gesagt habe".
Im Grunde war meine Idee gut durchgeplant und ich wusste auch wie man ein Katana führte, jedoch hatte ich nicht wirklich Lust es am Ende selbs in meinem Körper stecken zu haben.
Vielleicht hätte ich einfach meine große Klappe halten sollen.
„Cane. Du weißt, dass wir in der Nähe sind. Im Notfall stürmen wir den Marktplatz und retten dich, aber wenn du mich weiter so anschaust als würdest du mir gleich den Kopf abhacken dann überleg ich mir das nochmal". 
Ich nickte und konnte nicht verhindern, dass mein rechter Mundwinkel anfing sich selbstständig zu machen.
„Ich könnte dir niemals etwas zu Leide tun, zumindest nicht ohne Grund. Wer soll dann alles aufrechterhalten und sich um uns sorgen?". Kjartan lachte kurz auf und wich dann ein Stück zurück, um eine leichte Verbeugung anzudeuten.
„Wie gnädig von dir. Irgendjemand muss eure Mäuler stopfen".
Mit einem dankenden Lächeln wendete ich mich wieder dem Ausgang der Gasse zu. Seitdem er den Bund der Seelenlosen gegründet hatte, wuchsen wir täglich und nahmen diejenigen auf, die ein Stück ihres Inneren verloren hatten.
Als Kjartan mich eines Abends in einer verdreckten Seitengasse fand war ich gerade einmal 4 Jahre alt und wusste nicht mal mehr, wo ich mich befand oder wie ich hieß.
Er nahm mich auf und schenkte mir ein Zuhause und einen Namen.
Doch auch wenn er für mich eine Art Vaterfigur darstellte, hatte ich meinen festen Platz in unserer Gruppe.
Kjartan war es nun mal sehr wichtig, dass alles strukturiert verlief und niemand aus der Reihe tanzte, was ich meistens eh schon übernahm.
„Sag mal, was machen wir eigentlich mit der kaiserlichen Garde? Die scheinen in letzter Zeit immerhäufiger in unserem Bezirk zu agieren".
Ich zupfte eine meiner schwarzen, wirren Locken wieder zurück in die Hochsteckfrisur, damit es so aussah als hätte ich die Frage beilläufig gestellt.
Meistens musste ich mir die Antworten zu Fragen über die kaiserliche Garde immer bei anderen Mitgliedern erschleichen, da die Seelenlosen nicht wirklich gut auf sie zu sprechen waren.
Sie hatten schon einige unserer besten Männer und Frauen verhaftet.
Außerdem sahen sie, wie alle Adligen auf die unteren Schichten herab und kümmerten sich nur darum, ihr Ansehen und das der Kaiserinn zu waren.
Von Schutz und Nächstenliebe war nie wirklich etwas zu spüren, doch viele Bürger setzten ihre Hoffnung auf bessere Zeiten in den neuen Hauptkommandanten.
„Das habe ich auch schon mitbekommen. Seid sie den Frischling aufs Schlachtfeld losgelassen haben sind die Truppen verstärkt wurden. Wahrscheinlich denkt er, dass er die ganze Bevölkerung damit retten kann. Mach dir deswegen jetzt keine Sorgen".
Im ersten Moment hatte ich doch tatsächlich mit einer vernünftigen Antwort gerechnet.
Kjartan wird schon sehen, wenn aufeinmal eine Truppe von Soldaten direkt vor seiner Haustür steht.
Mal schauen mit welcher Ausrede er dann um die Ecke kommt.
„Ja danke. Ich fühl mich schon viel besser". Schnaufend setzte ich ein halbherziges Grinsen auf, um Kjartan meinen Sarkasmus noch etwas mehr spüren zu lassen.
Vielleicht sah er es nicht, aber er kannte mich gut genug und wusste meine gewählte Tonlage zu deuten.
„Hör jetzt auf mir nutzlose Fragen zu stellen, deren Antworten du eh nicht hören möchtest. Außerdem bis du schon längst an der Reihe, wenn ich mich nicht täusche".
Mit einem Schrecken stellte ich fest, dass er tatsächlich recht hatte.
Scheiße.
„Wir sehen uns", rief ich noch in die dunkle Gasse hinein, bevor ich mich in die Menschenmenge drängte.
Wie jedes Jahr waren die Straßen fast überfüllt und mir machte es merklich Mühe an dem Ort anzukommen, an dem ich erneut mein und das Leben der anderen aufs Spiel setzte.
So verdienten wir zwar immer unseren Lebensunterhalt, jedoch konnte ich mir sehr wohl auch eine andere, sichere Variante vorstellen.
Aber gerade das Gefühl, dass mir mein kleiner Auftritt verlieh reichte schon, um selbst die größten Gefahren aus meinen Gedanken zu verbannen.
Die Aufmerksamkeit, die Musik und der Tanz mit dem Tod waren das, was mich antrieb. Immer und immer wieder.

When Black Blood RulesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt