Kapitel 31

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Ein paar Monate später stehe ich mit meiner Verlobten vor dem Spiegel und bringe mein Makeup zu Ende. ,,Bist du nervös?" erkundigt sich Julietta und legt ihre Hand an meinen Rücken, um mir einen Kuss auf die Wange zu drücken. ,,Ein wenig, aber das wird sicher ein toller Tag." Heute ist die Zeugnisvergabe der AbiturientInnen und gleich danach findet die Feier statt, zu dieser Nelly uns beide eingeladen hat. ,,Du siehst echt heiß aus", flüstert mir Julietta ins Ohr, als ich fertig bin und verbindet unsere Lippen miteinander. Sie drückt mich gegen die Wand des Badezimmers und küsst meinen Hals hinab. ,,Juli, nicht jetzt. Wir müssen los.", versuche ich schweratmend zu sagen und drücke sie dabei etwas von mir. Sie lässt also von mir ab und nickt einsichtlich. Wir ziehen uns demnach also noch die Schuhe an, um anschließend gemeinsam zum Auto zu gehen. So wie ich es Nelly versprochen habe, habe ich etwas geplant, damit ich sie entlassen kann. Bisher hat sie davon aber noch keine Ahnung. Dementsprechend grüßt sie mich auch ohne Vorahnung: ,,Hallo Frau Richter, Sie sehen schön aus und Sie natürlich auch Frau Meyer." Dankend lächle ich sie an und mustere sie. An ihrem Körper ist ein bordeaux rotes Kleid angeschmiegt, mit V-Ausschnitt und knielänge. Ihre Haare sind zu einer Hochsteckfrisur zusammengemacht. ,,Du siehst auch sehr schön aus." Sie lächelt mich breit an und entschuldigt sich dann, um zu ihren Freunden zu gehen. Ich dagegen widme mich Julietta und gehe mit ihr etwas zu trinken holen, bevor gleich die Zeugnisverleihung beginnen würde. Tatsächlich dauert es auch nicht lange, bis der neue Direktor auf die Bühne tritt und um Ruhe bittet. Nachdem diese eingekehrt ist, stellt er seine Rede vor und gleich nach ihm folgt Nelly, die sicherlich nervös ist. ,,13 Jahre bin ich hier zur Schule gegangen und habe viele Tränen vergoßen. Egal ob durch Freude, Trauer, Wut oder Frustration. Aber nichts hat mich davon abgebracht diesen Weg zu gehen und nun diese Rede halten zu dürfen. Es war kein leichter Weg, dennoch haben mir meine Lehrerinnen und Lehrer viel Kraft gegeben, um weiter zumachen. Ich habe mich nicht unterkriegen lassen von einer, nach meiner Definition, schlechten Note und habe beim nächsten mal einfach doppelt soviel geübt. Und auch wenn mich das viel Zeit und Energie gekostet hat, hat es sich ausgezahlt. Heute darf ich hier stehen und sagen, dass ich konsequent einen Einserdurchschnitt hatte. Das verdanke ich aber nicht nur dem Lernen, sondern besonders unserer ehemaligen Direktorin; Frau Richter. Ich danke Ihnen für die Zeit als Lehrerin und Direktorin der Schule. Sie haben mich auf meinem Weg begleitet und dafür danke ich Ihnen! Als Sie mich vor dem Amt unterrichtet haben, haben Sie stets darauf geachtet, dass ich mitkomme und mir ab und zu in den Hintern getreten. Nach jeder schlechten Note haben Sie sich mit mir zusammengesetzt und zusammen die Dinge erarbeitet, die ich hätte besser machen sollte. Dank Ihnen habe ich gelernt, meine Fehler zu verbessern und über mich selbst hinauszuwachsen. Und auch als Direktorin haben Sie sich noch Zeit für mich, sowie die anderen meiner MitschülerInnen genommen und uns unterstützt. Sie dürfen nicht an ihrer Fähigkeit als Lehrerin zweifeln, denn dank Ihnen darf ich hier heute stehen. Dank Ihnen bin ich in die Oberstufe gegangen, weil ich mich durch Sie finden durfte. Dank Ihnen weiß ich, wie mein Leben aussehen soll und demnach bitte ich um einen riesen Applaus!" In meinen Augen haben sich soeben Tränen gebildet, die nun langsam über meine Wangen laufen. Währenddessen klatschen alle und ich werde auf die Bühne gebeten, wo ich Nelly in meinen Arm schließe. ,,Ich liebe Sie dafür, was Sie für mich getan haben.", flüstert sie. Langsam löse ich mich und lächle sie aufmunternd an. ,,Das verdankst du dir allein." Nelly lächelt, ehe sie wieder von der Bühne steigt und der Direktor sich erneut neben mich stellt. Er verkündet, dass nun die Zeugnisvergabe startet und bittet mich, mich etwas auf Seite zu treten. Nach und nach ruft er die SchülerInnen hoch und überreicht denen ihr Zeugnis mir einem Handschlag. Selbstverständlich wird von jedem einzelnen ein Foto gemacht. Als Nelly endlich aufgerufen wird, trete ich einige Schritte nach vorne und erhalte ihr Zeugnis. ,,Nelly Braun." Langsam steht sie auf und kommt die Treppe hoch, um zu Direktor Jung zu gehen. Allerdings komme ich ihr entgegen, wodurch ihre Mundwinkel nach oben zucken und sich bereits Tränen in ihren Augen bilden. ,,Herzlichen Glückwunsch Nelly! Hiermit überreiche ich dir das bestandene Abiturzeugnis mit einer Note von 1,0!", verkünde ich und reiche ihr die Hand, sowie das Zeugnis. Erneut schließe ich sie in den Arm. ,,Ich bin stolz auf dich Nelly.", flüstere ich.

The river in her eyes [ txt ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt