Kapitel 16

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,,Du bist also lesbisch?", fragt meine Mutter, als ich mich wieder soweit gesammelt habe und wir am Küchentisch sitzen. Ich schaue ihr also in die Augen, unentschlossen was ich darauf erwidern soll und zucke mit den Schultern. ,,Ich würde nicht direkt sagen, dass ich lesbisch bin, sondern mich eben in eine Frau verliebt habe. Aber das ändert nichts daran, dass ich Männer attraktiv finde. Es ist nur so, dass ich nie zuvor das gefühlt und gespürt habe, was ich bei Julietta tue. Zu Anfang habe ich noch versucht gegen die Gefühle anzukämpfen, sei es wegen meiner Vergangenheit oder deiner Homophobie. Alles in allem hatte ich Angst diese Liebe zu zulassen, aber jetzt möchte ich nichts anderes mehr empfinden, denn sie macht mich glücklich und wenn du das nicht akzeptieren möchtest, dann steht dir die Tür offen.", ende ich und nehme die Hand meiner Freundin, während ich meiner Mutter entgegen blicke und versuche etwas aus ihrem Blick zu lesen. Doch nie zuvor waren ihre Gedanken so versiegelt, wie nun. Einige Minuten kehrt Stille ein, diese sie aber schlussendlich beendet: ,,Du weißt, wie ich denke und auch wie ich glaube, aber ich möchte versuchen meine Sichtweise zu ändern. Es wird nicht einfach, aber vielleicht ist das jetzt das richtige, schließlich habe ich am heutigen Tag bereits gemerkt, was diese Frau mit dir gemacht hat. Ich habe dich seit Jahren nicht mehr so ehrlich lächeln sehen und dieses Lächeln möchte ich nicht missen müssen." Nun lächel ich sie an bevor ich zu Julietta sehe, die ebenfalls lächelt. Doch in diesem Moment gibt es für mich noch so viel mehr zu sagen. ,,Mama, meinst du nicht ist es Zeit, dich bei Benjamin zu melden?" Ihr Blick verändert sich in Windeseile und ihre Haltung verkrampft. ,,Wieso?" ,,Weil du nicht meine Liebe zu einer Frau akzeptieren kannst, während du deinen eigenen Sohn weiterhin leugnest. Das ist nicht fair und das weißt du. Es mag sein, dass Maria recht hat und ich dein 'Liebstes' Kind bin, aber Benjamin ist dein Sohn und auch wenn man es ihm nicht ansieht, vermisst er seine Mutter. Und du kannst auch nicht leugnen, dass du dir den Kontakt zu ihm nicht wünschst.", erkläre ich und schaue sie ehrlich an. Ich weiß, dass das vermutlich jetzt viel für sie ist, aber es wäre nicht fair, sich nicht bei ihm zu melden. ,,Du musst dich nicht heute, morgen oder übermorgen tun, aber versprich mir, dass du es tun wirst. Okay?" Sie schluckt schwer. ,,Okay", haucht sie leise und scheint mit sich selbst zu kämpfen. ,,Wie geht es ihm denn?", fragt sie mich und so gerne ich ihr diese Antwort auch beantworten möchte, schüttel ich entschlossen den Kopf. ,,Er hat den Wunsch geäußert, dass weder Maria noch ich dir jegliche Auskünfte geben. Wenn du eine Antwort darauf haben möchtest, musst du dich selbst bei ihm melden."

Am Abend verabschiede ich mich von Julietta, zumindest mit einer Umarmung, da Louisa bei uns steht und ich noch nicht möchte, dass sie von unserer Beziehung weiß. Zwar weiß nun meine Mutter von meiner Liebe zu ihr, aber Louisa sollte es meiner Ansicht nach noch nicht wissen. Davon abgesehen steht in etwa zwei Wochen das Treffen mit meinem Vater an und diesen hatte es beim besten Willen nicht zu interessieren, dass ich eine Frau liebe und Louisa redet eben manchmal wie ein Wasserfall. ,,Wir sehen uns am Montag.", sage ich und lächel meiner Freundin zu diese ein ,,Bis Montag" erwidert und dann in ihr Auto steigt, um zu fahren. Ich sehe ihrem Auto nach, bevor ich die Tür schließe und mit meiner Tochter ins Wohnzimmer gehe. ,,Julietta ist nett.", teilt sie mir mit und ich kann ihr nur Recht geben. ,,Seit ihr jetzt beste Freunde?" Ich muss schmunzeln. Beste Freunde. ,,Ja, so ähnlich. In erster Linie ist sie aber immernoch meine Angestellte." Louisa gibt sich mit dieser Antwort zufrieden und sucht sich noch einen Film aus, bevor sie schlafen geht. Wir machen es uns also auf dem Sofa bequem und ich streiche ihr mit gleichmäßigen Berührungen durch das Haar. Währenddessen mache ich mir Gedanken über meine eben getätigte Aussage. Ich bin ihre Vorgesetzte. Im keinem Fall bereue ich es, eine Beziehung mit ihr eingegangen zu sein, aber dennoch fühlt dich diese Tatsache nicht richtig an. Was ist, wenn ich mich woanders bewerbe oder vielleicht die Leitung abgebe? Natürlich würde das einiges an meinem Gehalt ändern, wenn ich wieder als Lehrkraft tätig wäre, aber dann wäre sie lediglich meine Kollegin. Davon abgesehen bin ich in letzter Zeit übermäßig überfordert mit den Anforderungen des Jobs. Demzufolge wäre es eine Überlegung wert, die ich aber nicht nur mit Julietta, sondern auch mit Sabrina besprechen würde.

The river in her eyes [ txt ]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt