Mein Kopf fliegt zur Seite. Es knallt laut und meine Wange fängt an zu brennen. Ich reiße meine Augen auf. David hat mich geschlagen. Er hat mich wirklich geschlagen.
Langsam hebe ich mein Gesicht wieder an und richte meinen Blick auf ihn.
Seine Hand schwebt noch immer in der Luft und zittert leicht.
Seine Augen starren zornentbrannt auf meine zierliche Gestalt hinab.
Allerdings haben sie wieder diesen Ausdruck, den ich schon viel zu oft bei ihm gesehen habe.Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Es ist einfach eine Art Schleier, als würde er die Welt nicht richtig betrachten und in seinem eigenen Kopf feststecken. Besser kann ich es nicht erklären.
"Wie konntest du nur?", schreit er mich an. "Wie? Wie? Wie, wie, wie?! Womit haben wir das verdient? Raus! Raus mit dir!"
Er stößt seine Arme nach vorne und trifft meine Schultern mit so viel Kraft, dass ich nach hinten taumele.
Erst jetzt löst sich mein Körper aus seiner Starre. Langsam sickert die Erkenntnis zu mir hindurch.David schmeißt mich gerade aus meiner eigenen Wonung.
"Geht's noch?", pampe ich ihn an. "Schmeißt du mich gerade aus meiner eigenen Wohnung raus? Bist du noch ganz dicht? Du wohnst hier nicht einmal!"
Jetzt ist es an ihm zu erstarren. Seine Augen wandern langsam durch meine Küche. Er dreht sich um seine eigene Achse, so lange, bis er wieder vor mir steht.
Dann lichtet sich der Schleier, langsam wird er aufgezogen, wie die elektrischen Rollläden in dem Stadtviertel der Reichen und denen, die sich dafür halten.Sein Blick fällt wieder auf mich.
"Oh, hallo Jennie. Ich hab dich gar nicht bemerkt ", lächelt er mich an. "Ich bin hier, weil ich dir meinen selbstgemachten Erdbeerkuchen bringen wollte."Er fasst mit der linken Hand hinter seinen Rücken und zieht einen ganzen Kuchen auf einem Kuchenteller hervor. Wo hatte er den bitte die ganze Zeit gehabt? Unter seinem obligatorischen Umhang, den er heute in der Farbe Hilfe-meine-Augen-tränen-weil-das-Gelb-zu-gelb-ist anhat.
"David."
"Ja?"
"Das sind Blaubeeren."
"Tatsächlich? Faszinierend.", murmelt er und hält den Kuchen näher an sein Gesicht.
Dort wo eigentlich die Erdbeeren im Geele liegen sollten, sind kleine Blaubeeren.Wie hat er das denn geschafft?
--○--
Geschmeckt hat der Kuchen trotzdem gut, auch wenn er schon etwas zu lang im Ofen war.
Nachdem ich David verabschiedet habe, der zum Glück nicht wieder seine zweite Persönlichkeit hervorgeholt hat, leere ich auch gleich meine Briefkasten aus.
Ein Brief liegt darin, derselbe wie der, den ich letzten Freitag bekommen habe. Oder den Freitag vor den letzten Freitag. Oder dem vor dem vorletzten Freitag. Wie der, den ich jeden Freitag zugeschickt bekomme.
Derselber blaue, leichte Umschlag mit der selben kleinen Karte darin. Mit derselben Aufschrift wie immer, außer dass sich die Daten ändern.
Liebe Jennie,
Wenn du das hier liest, liegst du seit 1825 Tagen im Koma. Seit genau 5 Jahren. Bitte wach auf, wir vermissen dich.Keine Unterschrift oder Absender war auf den Umschlag geschrieben. Wie immer.
Die Handschrift hat geschwungene Bögen und die i-Punkte sind kleine Kreise. Unten am Rand des Zettels ist ein kleines Herz gemalt und daneben ein rotes Kreuz.
Jedes Mal, wenn ich einen dieser Briefe erhalte, zieht sich mein Inneres zusammen, wie als ob mein Körper wüsste, was diese Briefe bedeuten. Gesagt oder einen Hinweise hat er mir allerdings nie dazu gegeben.
DU LIEST GERADE
Kampf der Kreativität - Kurzgeschichtensammlung
DiversosHier werden diverse Kurzgeschichten für verschiedene Schreibwettbewerbe veröffentlicht werden. Die Kapitel werden meistens von 1500 bis 3000 Wörter lang werden. Viel Spaß beim Lesen :)