2 - Gelb wie Schwefel

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„Der Wald verbirgt unendlich viele Geheimnisse."

„Bäume sind nun mal die verschwiegensten Zeugen, mein Lieber."

Ohne zurückzuschauen ließ Bianca die scharf geschliffene Klinge der Machete mit einer geschmeidigen Bewegung durch die herabhängenden Lianen gleiten. Wie ein Messer durch weiche Butter. Ein kurzes Bein, das in einer beigen Cargohose und schwarzem Stiefel steckte, trat voraus, dann folgte mit einem Schwung der Rest von Bianca. Sie ächzte nicht einmal unter der Last ihres Rucksacks, der fast so groß war wie sie selbst. Hinter ihr trat Arthur in derselben hellen Montur durch den ausgefransten grünen Vorhang.

Tag zehn der strapaziösen Wanderung durch den Amazonas-Regenwald - die kleine, kräftige Frau mit dem sandfarbenen Zopf voraus, mit dem Kompass und der Karte in den Händen und er, der braunhaarige Lulatsch, stolpernd hinterher. Warum man ausgerechnet dieses höllische Duo losgeschickt hatte, war Arthur nicht erklärlich. Eine zwangsweise frühpensionierte Bankräuberin mit extrem kurzer Zündschnur und ein Giftmischer mit der tänzerischen Leichtigkeit eines Nilpferds.

Als jemand, der praktisch mit zwei linken Füßen auf die Welt gekommen war, hätte Arthur sich auf dem letzten Platz gesehen, wenn es um die Frage ging, wen man am besten in den Regenwald schickte, um nach einem ominösen Diamanten zu suchen. Bei Bianca verstand er wenigstens, warum die Wahl auf sie gefallen war. Sie war nicht zu unterschätzen, schreckte vor nichts zurück, verwegen und mutig. Und er, Arthur? Was hatte er schon viel zu bieten? Er war ein wandelndes Lexikon über Giftpflanzen und das war es dann auch schon. Aber die Wahl war dennoch auf ihn gefallen, angeblich wegen seiner praktischen Kenntnisse über die Vielfalt an mehr oder weniger tödlichen Gewächsen. Wahrscheinlich war aber einfach nur gelost worden.

Unvermittelt blieb Bianca stehen und diesmal rannte Arthur die Frau, die ihm gerade einmal bis zur Brust reichte, beinahe um. Mit dem zentnerschweren Rucksack auf seinem Rücken erhielt er auch noch zusätzliche kinetische Energie, die er nicht gebrauchen konnte. Unsanft bekam Bianca durch den Zusammenstoß einen Ruck, doch sie schnaufte nur, sagte aber nichts. Was sollte sie schon sagen? Den Vorrat ihrer besten Schimpfwörter und Flüche, der unter ihrem langen, hellen Haar abgespeichert war, hatte sie am Abend von Tag sechs schon aufgebraucht. Jetzt wärmte sie alles bereits Gesagte höchstens ein, zwei Mal am Tag wieder auf.

„Was ist los? Warum bleibst du stehen?", fragte Arthur und wischte sich ein paar verirrte Strähnen aus dem Gesicht.

„Etwas stimmt nicht. Hier müsste sich ein schmaler Fluss befinden. Es sieht aber nicht so aus, als ob wir in nächster Zukunft über einen stolpern würden ...", nuschelte Bianca vor sich hin. Oh ja, wenn andere einen Fehler machten, war sie ganz laut, aber wenn sie selbst etwas verbockt hatte, dann wurden die Töne leiser. Arthur verzichtete auf ein Grinsen, denn Bianca war stolze Besitzerin eines nicht zu unterschätzenden linken Hakens. Mit ihr zu scherzen war in etwa so, als würde man Tauziehen mit NATO-Draht spielen.

„Hältst du die Karte auch richtig herum?", hakte Arthur arglos nach und trat vorsorglich einen Schritt zurück, als er von einem Blick getroffen wurde, der zwar genauso blau, aber um ein vielfaches giftiger war als Eisenhut.

„Klar, natürlich, du Idiot. Schau doch selbst. Hier ist kein Fluss. Und es sieht auch nicht so aus, als ob es hier jemals einen gegeben hätte", murmelte sie und hielt ihm die Karte hin. Arthur studierte das bunte Papier konzentriert, doch seine Fähigkeiten, die farbigen Flächen und Linien zuzuordnen, hielten sich in Grenzen. Er konnte nicht einmal ihren aktuellen Standpunkt ausmachen.

„Mhm ... aha, also ... ja, also ...", sprach er vor sich hin und strich sich gedankenverloren eine Strähne schokoladenbraunen Haars hinters Ohr. Bianca seufzte.

„Warum frage ich eigentlich noch?"

Forsch zog sie ihm die Karte aus den Fingern und stapfte weiter voran, wobei sie sich sichtbar hilflos umsah. Arthur folgte ihr auf dem Fuß, blieb jedoch augenblicklich mit selbigem an einer Schlingpflanze hängen und legte sich dabei fast der Länge nach auf den feuchten, grasbewachsenen Boden. Fluchend machte er sich von dem grünen Fallstrick los und holte Bianca ein, die mit ihren kurzen Beinen so zügig laufen konnte wie eine Maus, sodass sich der Abstand zwischen den beiden stetig vergrößert hatte.

Operation Schwefeldiamant | Ideenzauber 2023Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt