Kapitel eins

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Ich stehe alleine auf dem sandsteinernen Balkon. Der einheitlich graue Himmel erweckt in mir eine mir nur zu familiäre Einsamkeit. Ein sanfter Schnee beginnt aus dem wolkenlosen Himmel zu fallen. Ich trete einen Schritt zurück und lasse meinen Rücken gegen den rauen Putz des Gebäudes fallen. Mein Blick wandert langsam zum Geländer und danach, zu den sich allmälig mit Schnee bedeckenden Grasflächen unter mir. Ich beginne die einzelnen kargen Bäume zu betrachten: Ob sie genau so einsam sind wie ich? In der riesigen Stadt, in der ich mich zur Zeit aufhalte, sind diese sonst so grünen einsamen Fleckchen selten. Der Rest meines Blickfeldes ist von den, mit unzähligen Fenstern versehenen, ebenso grauen Blockbauten besetzt. Alles wirkt so schmerzhaft unmenschlich. Im nächsten Moment höre ich leichtes Knirschen neben mir. Eine junge Frau tritt an das Geländer und lehnt sich mit beiden Ellebogen auf jenes. Ich schiebe mich von der Wand weg und trete neben sie. Ich stütze mich ebenso auf das Geländer.
Sie ist kleiner als ich, sogar um mindestens zehn Centimeter, würde ich schätzen. Ich drehe meinen Kopf zu ihr:
"Wie ist dein Name?" frage ich.
Sie antwortet: "Juliane Laiser und wie heißt du?"
Ich antworte ihr nicht, stattdessen frage ich:
"Bist du auch so einsam?"
Stille.
Wir stehen uns gegenüber.
Eine einzelne Träne läuft aus meinem rechten Auge.
Juliane hebt ihre rechte Hand und fährt mit ihrem Daumen über meine rechte Wange.
Ich spüre nichts und die Träne tropft von meinem Kinn auf den, mit Schnee bedeckten Boden.
Wir schauen uns an.
Sie lächelt.
Ich drücke auf die, sich in meiner linken Hand befindenten, Fernbedienung und Juliane verschwindet. Das war das erste Mal, dass ich sei benutzte. Ich schaue mich um. Die einzigen Fußabdrücke im Schnee sind die meinen. Ich gehe wieder zurück in das Gebäude. Der Schnee ist in Wirklichkeit Asche. Die Bäume aus Kunststoff.
Alles wirkt so unecht, weil es unecht ist.
Als ich das Innere des Gebäude betrete, werde ich kurz von den weißen Neonlampen, die den dunklen, fast klinischen Gang beleuchten geblendet, bevor sich meine Augen an das Licht gewöhnen. Ich beginne den Gang entlang zu gehen. Nach einiger Zeit biege ich links in einen engen Eingang ein. Da die Luft außerhalb kaum sicher ist, für eine längere Zeit zu atmen, wurden vor Jahren Initiativen begonnen, alle Läden, Wohnräume und somit ein Hauptteil der Bevölkerung in geschlossene Komplexe um zu legen. Gerade befinde ich mich in Komplex O-273, welcher keine Wohneinheiten beinhaltet und hauptsächlich von seinen vielzähligen Bars, Clubs und Bordelle überlebt. Jeder Komplex muss, durch entweder Verdienste oder Mieten, Abgaben an dessen Administration leisten, welche dann an die Administration der Stadt weitergeleitet werden. Eine angenehme Wärme überkommt mich wie eine Welle und der von billigem Alkohol belastete Geruch drängt sich allmälig in meine Nase und in mein Kopf. Ich gehe in einen kleinen Empfangsraum, wo sich eine Ladestation für die üblichen digitalen Filtermasken (DFM's) befindet. Ich löse meine eigene Maske von der Halterung an meinem Brustkorb und schließe sie an eines der freien Kabel an. Vom Aussehen her vergleichbar mit Gasmasken, wie sie in Kriegen üblich sind, enthält meine neon-orangfarbene Maske ein digitales Terminal welches die Konfigurationen der Filter auf die Luftbelastung in meinem Umfeld anpasst. Ich hänge außerdem meine mit künstlichem Fell gestopfte Lederjacke an einen Kleiderhacken neben der Ladestation und betrete danach den Hauptraum des 273-Lokals. Wie zu erwarten war, sind nicht wirklich viele Tische belegt. Der Anzahl der Masken im Vorraum nach, hatte ich schon mit nur ein bis zwei anderen Besuchern gerechnet. Jedoch scheint auch der ein oder andere Bewohner da zu sein, der sich stur gegen die Empfehlungen der Administration setzt, die jedem Bewohner empfiehlt eine komerziell erhältliche DFM zu tragen. Ich setze mich an Tisch 7 von 12 und wie erwartet erscheint eine kleine holografische Textbox, direkt zwischen meinen beiden, auf dem Tisch aufgestützten Unterarmen. Mich begrüßt eine weibliche Stimme:
"Wilkommen in Lokal 273, möchten Sie etwas trinken?"
"Nur einen schwarzen Kaffe bitte" antworte ich.
"Auf welchen Namen wird die Rechnung gestellt?" fragt die Stimme.
Und wieder, Stille.
"Juliane Laiser" sage ich und die holografische Box verschwindet.
Ich lege die nötigen Mark zum Bezahlen, meinen Empfängeranschluss für meine Maske und die Fernbedienung für Juliane, links neben mich auf den Tisch. Nach ein paar Minuten bringt ein junger Kellner meinen Kaffe an den Tisch und ich gebe ihm die Mark. Er geht und ich schaue auf meinen Empfänger. Die hellblaue Konsole öffnet sich und zeigt mir, die für mich relevanten Benachrichtungen. Unter ihnen befindet sich eine Nachricht von einem meiner neueren Geschäftspartner:
"2 Stunden, nord von N-152 circa 20 Minuten. Sie werden mich sehen."
Unauffällig schalte ich meinen Empfänger aus. Früher war ich für ein privates Sicherheitsunternehmen angestellt. Nach meinem Militädienst jedoch, viel es mir schwer wieder eine Arbeit zu finden. Zur Zeit lebe ich von staatlichen Unterstützungen, der diese an ehemalige Soldaten zahlt, da die Abneigung gegenüber des Militärs durch den Verlauf des vergangenen Krieges nur noch betärkt wurde. Ich trinke die letzten Schlucke Kaffe aus meiner Tasse und stehe danach zügig auf. Im Vorbeigehen nehme ich meine DFM von der Ladestation und begebe mich wieder auf die langen Gänge. Ein paar Minuten später verlasse ich bereits den O-273 Komplex. Am Ausgang, hinter dem Empfang stehend, betrachte ich die leere Straße, auf der nur mein eigens Fahrzeug geparkt ist. Ich laufe gelassen über die Straße und öffne die Tür von meinem, sich durch sich durch Magneten vom Boden abhebenden Auto. Ich steige ein, setze mich in den Fahrersitz und beginne mit meiner rechten Hand den Hebel für die Tragkraft langsam nach vorne zu schieben, bis sich das Gewicht ausgeglichen hat und ich stabil neben der Bordsteinkante abgehoben bin. Als nächstes schalte ich die Motorkonsole an - keine Fehler werden angezeigt. Vorsichtig bestätige ich den Entzündschalter und generiere mehr Triebstoffzufluss zu dem Plasmadüsen. Langsam aber sicher beginne ich mich fortzubewegen. Straße 94 richtung nord-nord-süd zum Zentrum hingehend und danach vom Zentrum aus nordwärts, bis ich N-152 erreicht habe. Von da an, wie beschrieben, beginne ich 20 Minuten nord zu fahren, wobei ich mich bereits nach dreieinhalb Minuten in der leeren, von grauem Gestein gefüllten Wüste befinde. Also fahre ich weiter durch das Niemandsland. Ich frage mich, was genau so einem eigeligen Handel bedar, dass ich innerhalb kürzester Zeit irgendwo im Nirgendwo erscheinen soll. Als ich nun, nachdem ich den beschriebenen Weg weiterhin gefahren bin, so langsam die Anzeichen von, einer sich in der Wüste befindenden Siedlung bestehend aus mehreren kleinen- und einem größeren Zelt erblickte, überkommt mich nach und nach eine schleichende Angst, ob ich mich nicht in einen Hinterhalt habe locken lassen. Abgesehen von den Zelten, bekomme ich nur noch, zumindest von der Entfernung die ich jetzt noch mit meinem Fahrzeug habe, das schwebende einsitzige Gefährt, welches vermutlich meinem Kontaktpartner gehört, zu sehen. Er jedoch ist weit und breit nicht zu erblicken. Vielleicht hält er sich ja in einem der Zelte auf, was bei den Umständen, die die Wüste häufig über ihre "Opfer" bringt, nur verständlich wäre. Ich fahre nun langsam in die Nähe des anderen Fahrzeuges und parke selbst in dem groben und für mein Getriebe sicherlich tödlichen Sand. Bevor ich aussteige, setze ich meine Maske auf und ziehe die Kaputze meines dunkelbraunen Umhangs über meinen Kopf. Sobald ich meine festen Armeestiefel auf den unebenen Boden setze, beginnt der harsche Wind wieder mein Gesicht zu peitschen. Ich schaue mich um. Von meinem Kontakt ist immer noch kein Zeichen zu sehen. Also beginne ich vorsichtig auf die verschiedenen Zelte zuzugehen. In den kleineren Unterschlüpfen ist nichts von Bedeutung zu finden, Aus dem größerren Zelt jedoch, kommt mir immer mehr ein ekelhaft fauliger Geruch entgegen, umso näher ich an Es heran trete. Ich greife langsam und so unauffällig wie möglich zu meinem, von der Armee standartmäßig erteiltem Plasmarevolver. In einer leicht gehockten Stellung bewege ich mich weiterhin auf das große Zelt hinzu. Mich ergreift eine schockende, gar erstarrende Panik, als ich den Vorhang des Zeltes mit Ruck zur Seite ziehe und mit Schrecken feststellen muss, daß es mein Kontaktpartner ist, der da zu liegen scheint. Trotz der Situation, in der ich mich jetzt finde, lässt mich der Gedanke, daß dies nicht vielleicht doch ein Hinterhalt sein mag, nicht in Ruhe. Ich beuge mich, mit meinem Revolver immer noch in meiner linken Hand, vorsichtig zu dem leblosen Körper hinab. Die in der Wüste lebenden Kleintiere, haben sich in der kurzen Zeit schon reichlich an dem vertotteden Gesicht meines Kontaktes hier, zu schaffen gemacht. So klein sie auch sein mögen, in dieser von Vegetation verschonten Landschaft, dient ihnen alles als Nahrung was sich nicht wehren kann. Nach weiterer Betrachtung gelingt es mir zwischen den reichlichen Bissspuren und mehreren Schusswunden zu unterscheiden. Ich erkenne drei verschiedene Wunden, die von Plasmastrahlen her rühren. Ein Schuss am Hals, direkt über dem Adamsapfel. Ein weiterer Schuss in der Nähe des Herzens und ein dritter in den Oberschenkel. Auf einmal beginnt meine Fernbedienung für Juliane zu leuchten, sodaß ich es durch den Stoff meines Umhangs sehen kann. Ich nehme die Fernbedienung heraus und bestätige den zentralen Schlter zur Bestätigung. Julian ersscheint vor mir und beugt sich interessiert über den vor mir liegenden leblosen Körper:
"Warum würde ein Mensch Soetwas tun?" fragt sie in einem Ton, der sich wohl am besten mit dem eines unschuldigen Kindes vergleichen lässt.
"Das weiß ich nicht und außerdem ist es noch unklar, ob es überhaut ein Mensch war, der daß hier angerichtet hat." antworte ich, ohne dabei Emotionen in meine Stimme einfließen zu lassen.
Juliane jedoch schaut mich verwundert an:
"Aber warst du nicht im Militär? Weißt du nicht besser als jeder Andere, wie es ist das Leben eines Einzelnen, wegen der Ideologie seiner Bestimmer zu beenden?"
Ich bleibe still. Juliane beginnt langsam um mich und um die Leiche herum zu gehen. Sei beginnt leise zu Summen, während ich weiterhin still auf dem Boden hocke. Ich fange an Juliane mit meinen Augen zu folgen. Auf ein Mal bleibt sie stehen.
"Beschäftigt dich etwas?" fragt sie.
Ich halte kurz inne.
Dann antworte ich: "Ein Gedanke, der mich noch nicht los lässt ist; wie der Täte hätte entfliehen können."
Juliane hockt sich neben mich.
Ich fahre fort: "Jetzt wo ich darüber nachdenke, hätte ich eigentlich sofort merken sollen, daß irgend etwas nicht stimmt. Das Radar für Lebenszeichen, hat immerhin nichts angezigt."
Unsere Augen treffen sich und Juliane beginnt leicht zu schmunzeln.
"Ach Menschen, so imperfekt."
Sie kichert etwas.
Ich werfe ihr einen genervten Blick zu. Juliane richtet sich sprunghaft auf und sagt:
"Oh jetzt sei doch nicht so, wenn du möchtest, kann ich gerne einen dreidimensionalen Scan der Gegend erstellen, um Spuren des Täters zu suchen."
Jetzt stelle ich mich selbst auch hin, atme kurz durch nicke ihr dann zu. Die Fernbedienung für Juliane beginnt leise zu summen, während sie sich aufmerksam umschaut. Nach etwa fünf Minuten scheint sie fertig zu sein:
"Und?" frage ich.
Sie richtet ihren Blick wieder zu mir und antwortet:
"Oberflächlich konnte ich nichts auffassen. In einem kleineren Zelt jedoch befindet sich, unter einem Teppich, eine kleine metallische Luke."
Verdutzt schaue ich sie an.
Ich bedanke mich im Aufstehen und fange an mich hastig mit ihr nach Draußen.
"In welchem Zelt?" frage ich und sie zeigt auf ein, an äußeren Rand liegendes. Zusammen nähern wir uns Vorsichtig dem kleinen, aus einfachem Stoff bestehendem, herunter gekommenen Zelt. Als wir das Zelt betreten, sehen wir bereits einen roten Teppich, der schief auf einer Luke aus irgend einem Metall liegt und sie somit auch nicht mehr ganz abdeckt. Rasch rolle ich den Teppich zusammen und schiebe ihn beiseite, während Juliane wartend neben mir steht. Für eine Sekunde scheint die Zeit still zu stehen. Welch absurde Abfolge von Ereignisssen die mich in den jetzigen Moment gebracht haben und warum ich nicht einfach aufhören kann. Ich hätte auf die Nachricht von meinem Kontakt nicht reagieren müssen, nicht daß er es am Ende mitbekommen hätte, aber daß sei mal dahin gestellt. Ich hätte an jedem Punkt aufhören können und jedoch hocke ich jetzt hier, vor dieser mysteriösen Luke und debatiere in meinem Kopf, ob ich dieser Geschichte nicht hier und jetzt ein Ende bereiten sollte.
Und als ob ich meine Gedanken, meine Fragen und mein Dilemma laut in Worte formuliert hätte, sehe ich Juliane an und Frage:
"Was denkst du?"

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 08, 2023 ⏰

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Juliane LaiserWo Geschichten leben. Entdecke jetzt