Wie weiße Tauben

Kapitel 2

Als ich wach wurde, spürte ich einen Arm um mich geschlungen. Ich erstarrte. Wir sind wohl gestern beim Film eingeschlafen. Aber warum ist er noch da? Ich löste mich vorsichtig aus seiner Umklammerung und ging ins Bad. Nachdem ich geduscht hatte, ging ich zurück in mein Zimmer und war Jason bereits weg.

Wenn er schon meint, hier einschlafen zu müssen, hätte er sich wenigstens verabschieden können. Und was ist eigentlich aus seinem Versprechen geworden, dass er mich nicht anfasst? Schließlich bin ich in seinen Armen aufgewacht. Warum machte ich mir darum eigentlich gerade Gedanken? Das wird nicht nochmal passieren. Zwar will ich wieder zurück zu meinem alten Ich, aber über Jungs möchte ich mir wirklich keine Gedanken machen. Dafür ist mein Weg noch zu weit am Anfang.

***

In der Schule angekommen, sah ich Jason an einer Mauer lehnen. Seine Freunde bildeten einen Kreis um ihn herum, in seinen Armen hatte er ein Mädchen. Er hat eine Freundin? Und schläft bei mir? Mit mir in seinen Armen? So hätte ich ihn nicht eingeschätzt. Soll er doch machen, was er will. Nur nicht mit mir. Eigentlich sollte ich mir darum auch keine Gedanken machen. Ich habe keine Zeit mich mit Jungs zu beschäftigen. Schließlich muss ich erstmal mein Leben wieder in Ordnung bringen.

Ich ging ins Schulgebäude und machte mich auf die Suche nach dem Sekretariat. Zu meinem Glück war die Schule sehr strukturiert aufgebaut und alles mit Wegweisern ausgeschildert. Und so fand ich das Sekretariat ziemlich schnell. Dort wurde mir mein Stundenplan und meine Schließfachnummer ausgehändigt. Schnell machte ich mich auf den Weg zu meinem Schließfach, schließlich wollte ich nicht zu spät zu meiner ersten Stunde kommen. Im letzten Jahr hatten meine Noten unter meiner mentalen Stimmung ziemlich gelitten, aber auch das wollte ich nun wieder in den Griff bekommen, denn eigentlich mochte ich die Schule immer und war auch gut. Zumindest in den Fächern, die mir lagen. In der ersten Stunde hatte ich Physik. Es war einer meiner Lieblingsfächer, weshalb ich schon aufgeregt war, ob das Fach mir auch hier in Deutschland gefallen würde.

Ich setzte mich auf den einzig freien Platz im Klassenraum und holte mein Heft raus.

„Hej, ich bin Leonie.", lächelte mich meine Sitznachbarin freundlich an.

„Hi, ich bin Skye.", sagte ich schüchtern. Früher war ich in diesen Sachen richtig gut gewesen. Ich nahm mir vor, dass das einer der ersten Sachen sein soll, was ich mir wieder zurück hole. Ich habe es nämlich geliebt, mit Menschen zu kommunizieren und neue Menschen kennenzulernen, deren Geschichte zu hören.

Leonie war wunderschön. Blonde lange Haare, Stupsnase, grüne Augen und volle Lippen. Zusätzlich dazu wirkte sie in unserem kurzen Gespräch, was wir bis der Lehrer kam führten, sehr nett.

„Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass wir eine neue Schülerin haben. Willst du dich einmal vorstellen?", sprach der Lehrer mich direkt an.

„Natürlich.", lächelte ich den Lehrer an. „Ich bin Skye und 17 Jahre. Ähm ja ..."

Verdammt war das unangenehm. Warum kann es mir nicht so leicht fallen, wie es mir vor einem Jahr noch gefallen wäre?

***

Zusammen machte ich mit Leonie auf den Weg in die Pause. Die Stunde ist wirklich gut gelaufen und der Lehrer wirkte wirklich nett, was mich sehr freute. Mit Leonie hatte ich immer wieder in der Stunde kurze Gespräche geführt und sie wollte mich nun ihrer Freundin vorstellen. Vielleicht war meine soziale Kompetenz doch nicht so eingerostet wie ich geglaubt hatte, denn das hatte ich doch ganz gut hinbekommen.

Auf dem Weg zum Pausenhof, kamen wir an einer lautstarken Auseinandersetzung von zwei Mädchen vorbei. Anscheinend hatte die eine von ihnen mit dem Freund der anderen geschlafen, der aber auch irgendwie dann doch nicht ihr Freund war. Kompliziert. Deswegen wollte ich mich von Jungs erstmal fern halten, sie verkomplizierten alles.

Gerade als wir an der Auseinandersetzung vorbei gehen wollten, ging die Eine auf die Andere los. Und es ging keiner dazwischen. Auch nicht als das eine Mädchen auf dem Boden lag und das andere Mädchen weiter auf sie einschlug. Ich zerrte das Mädchen von der Anderen runter und hielt sie fest bis sie sich etwas beruhigt hatte. Langsam hatte sich eine kleine Traube von Schülern um uns versammelt. Als sie sich beruhigt hatte, ließ ich sie los. Sie drehte sich zu mir um und schlug mir ins Gesicht. Okay, das habe ich wirklich nicht kommen gesehen. Warum schlägt sie den jetzt bitte mich? Ich habe ihr doch wirklich nichts getan. Außer vielleicht vor einem Schulverweis zu retten.

„Spinnst du? Wieso schlägst du den jetzt bitte mich? Hack's?", zickte ich sie an und hielt meine Nase. Aua.

Ich sah gerade, dass sie wieder ausholte um mich zu schlagen. Ernsthaft? Warum? Was habe ich den jetzt so schlimmes gemacht, dass sie mich schlagen will? Also ich werden mich sicher nicht mit ihr schlagen. Ich machte mich auf den Schmerz bereit, der sich jeden Moment auf meinem Gesicht ausbreiten müsste. Doch es kam nichts.

„Ich denke, du solltest jetzt abhauen.", hörte ich eine tiefe Stimme hinter mir. Danach sah ich nur wie sich das Mädchen umdrehte und gehen wollte.

„Michelle?", erklang die Stimme nochmal. Worauf sich das Mädchen nochmal umdrehte und nickte. „Wenn du dieses Mädchen nochmal anfassen sollte, wirst du dir wünschen mich nie kennengelernt zu haben." Michelle nickte schnell und entfernte sich mit schnellen Schritten.

Ich drehte mich langsam zu der Stimme um. Er war es. Jason. Jason, in dessen Arme ich heute morgen aufgewacht bin. Jason, der anscheinend eine Freundin hatte.

„Alles in Ordnung?", fragte er.

„Ja, alles gut. Danke für deine Hilfe."

„Nächstes Mal solltest du dich vielleicht nicht in die Angelegenheiten von Michelle einmischen. Dieses Mädchen spinnt.", flüsterte er. Warum flüstert er den jetzt? In welchem Film bin ich den gerade gefangen?

„Man lernt aus Fehlern.", sagte ich schlicht und drehte mich zu Leonie. „Wollen wir?"

Draußen hatten Leonie und ich uns einen Tisch zu ihrer Freundin gesetzt. Ihr Name war Sophie. Sie schien ebenso sympathisch wie Leonie zu sein. Wenn ich es jetzt richtig mache, hätte ich bereits am ersten Schultag zwei richtig tolle Freundinnen gefunden.

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