Kapitel 1

5 2 0
                                    

Sommer 2021

"Der Himmel war nie die Grenze."

Lia folgte verwirrt dem Blick ihrer Mutter, als diese den Kopf in den Nacken legte, die Hand an ihre Stirn legte, um ihre Augen vor der brutalen Sonne zu schützen und schließlich ehrfürchtig den Himmel anstarrte. Sie sah aus, als würde sie etwas ganz anderes sehen, als das, was Lia vorfand. Einen wolkenlosen, strahlendblauen Himmel mit einer unerträglichen Sonne, die sie zu verbrutzeln schien. Sie hasste es. Sie sollte sich wieder in den Schutz ihres kühlen Zimmers verkriechen, aber irgendetwas an den Worten ihrer Mutter zwang sie, weiterhin im Garten des kleinen Hauses zu stehen und mit gerunzelter Stirn ebenfalls den Himmel anzustarren. Fast so, als würde sie Antworten auf Fragen finden, die sie sich bisher noch nicht gestellt hatte. Sekunden und Minuten vergingen und sie wurde ungeduldig. Also wandte sie den Blick nach links und sah stattdessen ihre Mutter an.

Salena Collins war eine Schönheit und war sich dessen nur zu bewusst. Sie hatte sich am Morgen das braune Haar, das im Sommer blonde Strähnen annahm, zu einem lockeren Knoten am Hinterkopf zusammengebunden, was sie älter aussehen ließ, als sie eigentlich war. Diesen Kommentar behielt Lia aber für sich, denn ihre Mutter fühlte sich stets zu alt. Aus diesem Grund sprach sie auch nicht über die Falten, die sich allmählich in dem sonst makellosen Gesicht bildeten und ein Zeugnis ihrer Jugend waren, in der sie anscheinend viel gelacht hatte. Salenas Augen waren vertraut, mit der gleichen Farbe wie ihre eigenen, aber mit einer solchen Klarheit, dass sie das Gefühl hatte, die Frau hätte Antworten auf alle möglichen Fragen.

Die Worte drangen wieder in ihr Bewusstsein und Lia gab dem Himmel noch eine weitere Chance, diesen Blick ihrer Mutter zu erklären. Sie starrte das über ihnen an, als würde es etwas verbergen. Als würde dahinter etwas liegen, das ihr Herz erfüllte.

Der Himmel war nie die Grenze.

Es klang wie der Anfang einer ihrer Geschichten. Die Geschichten, die Lia so sehr liebte. Sie erinnerte sich an jede einzelne, die ihre Mutter ihr erzählt hatte. Manche waren Märchen von Prinzessinnen und Prinzen gewesen. Andere hatten von besonderen Abenteuern gehandelt, von denen sie auch schon so oft geträumt hatte. Aber ihre liebsten Geschichten waren die über die Feen gewesen. Feen, die mit ihren Flügeln hoch am Himmel fliegen und mit ihren eigenen Händen zaubern konnten. Dann hatte es noch die Hexen gegeben, die Magie wirken, fast wie die Feen und doch anders. Sie hatte sich lange Zeit nicht entscheiden können, was sie am liebsten wäre: Fee oder Hexe. In jeder Geschichte von den Feen und Hexen gab es auch Krieger. Kämpfer mit magischen Waffen und einer beachtlichen Stärke und Geschwindigkeit. Sie lebten in wundervollen Königreichen, in einer Welt voller Magie. Würde dies eine weitere Geschichte werden?

Geduldig - so geduldig wie sie eben sein konnte - wartete sie darauf, dass ihre Mutter weitersprechen würde. Dass sie ihr erzählen würde, wovon diese Geschichte handeln würde. Die Lippen der brünetten Frau verzogen sich schließlich zu einem verträumten Lächeln, als würde sie ihr Herz nicht davon losreißen können, was sie am Himmel sah. Trotzdem wandte sie den Blick ab und sah stattdessen Lia an. "Der Himmel war nie die Grenze, weil es noch so viel mehr gibt."

Das war der Grund, warum sie in der Hitze stehenblieb und sich ihre Haut verbrennen ließ, anstatt in ihr Zimmer zu flüchten. Sie würde sich niemals eine Geschichte ihrer Mutter entgehen lassen. Und wenn sie meinte, dass der richtige Zeitpunkt für die Erzählung jetzt wäre, während sie im Garten standen und ihre Mutter sich der Gartenarbeit widmen wollte, dann würde Lia hier bleiben und gespannt zuhören, jedes einzelne Wort in sich aufsaugen und noch Tage danach davon träumen. "Und was?", fragte sie neugierig nach und folgte ihrer Mutter, die zu den Gemüsebeeten ging. sich davor kniete und begann das Unkraut aus der Erde zu zupfen.

Lia ließ sich neben der Frau im Gras nieder, wich ein wenig zur Seite und dankte stumm dem Baum dafür, dass er ihr wenigstens zur Hälfte Schatten spendete und sie vor der unbarmherzigen Hitze rettete.

Feenglanz - Das Feuer des DrachenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt